Gastkommentar: Der Deutschlehrer und Kabarettist Johannes Schröder nimmt Risiken und Nebenwirkungen der schulischen Digitalisierung aufs Korn.

Ein neues Angst-Szenario hält die Nation in Atem: Geht der Bildungsstandort Deutschland ohne Tablet-Klassen vor die Hunde? Lassen sich die Lernleistungen unserer Schüler durch das digitale Klassenzimmer wirklich verbessern? Und warum hat Studienrätin Rita Westermann (Deutsch/katholische Religion) schon wieder mit dem schwarzen Edding auf das Smartboard geschrieben?

Da kann man als Pädagoge schon verzweifeln: Jetzt haben wir die Schüler jahrzehntelang mit immer neuen Sozial-Curricula, Streitschlichter-Seminaren und Fächern wie ’Soziales Lernen’ auf eine bessere face-to-face Kommunikation vorbereitet und müssen jetzt bedröppelt feststellen, dass diese analoge Form der Interaktion einem untergegangenen Zeitalter angehört und in der Lebenswelt der Schüler so gar nicht mehr stattfindet. Oder wie Goethe sagen würde: »In seinen Armen das Kind war tot.« Aus dem Stuhlkreis ist die Whatsapp-Gruppe geworden, die Ich-Botschaft wurde durch das Selfie ersetzt und für die Subtilität der Körpersprache steht längst ein Arsenal an Emoticons in den Startlöchern. Was haben wir uns bemüht, die Jugendlichen in der behutsamen Technik der gewaltfreien Kommunikation zu stärken? Streitschlichter stellten Regeln des respektvollen Miteinanders auf, die doch jetzt in der befreienden Anonymität des Internets so gar nicht mehr nötig sind.

Aber begegnen wir mutig den Anforderungen der digitalen Zeitenwende. Auch wenn bisher keine einzige wissenschaftlich valide Studie den Nutzen von digitaler Technik für schulische Lernprozesse hat nachweisen können. Was inzwischen jedes mittelständische Unternehmen kann, können wir schon lange. Stellt uns ein paar veraltete Atari-Rechner in das ungenutzte Sprachlabor im Keller. Irgendein motivierter Junglehrer wird sich sicherlich finden und für eine halbe Deputatsstunde ein zukunftsfähiges Konzept zimmern. Lehrermangel haben wir ja nicht. Mit Fortbildungen müssen wir das Cholerikum ebenfalls nicht behelligen, denn die IT-Industrie wird uns in ihrer genuin selbstlosen Art schon mit tragfähigen pädagogischen Inhalten treu zur Seite stehen.

WLAN, Tablets und Smartboards im Klassenzimmer. Das eigentliche Problem ist doch: Wie kommen wir mit der Häme der Schüler klar, die uns Lehrern die neuen Geräte erklären? Lehrer meiner Generation waren doch schon mit der Komplexität eines VHS-Rekorders komplett überfordert. Als damals der Medienwagen ins Klassenzimmer gerollt wurde, da hast du als Schüler intuitiv gewusst: »Das dauert!«

Wenn wir unsere Schüler ’fit fürs digitale Zeitalter’ machen wollen, dann muss das vor allem folgendes heißen: Wie entwickeln wir in ihnen eine mündige Distanz zu den IT-Konzernen, wie bewahren wir sie vor digitalem Mobbing und der Beliebigkeit des Netzes? Wie schützen wir sie im Straßenverkehr und verwandeln ihren aufs Smartphone gesenkten Blick in eine in jeder Hinsicht aufrechte Haltung? Nur indem sich Schule offensiv einmischt, indem sie die Dinge anpackt und nicht nur an der Seitenlinie steht, quasi am Korrekturrand der Gesellschaft. Dazu braucht es zeitgemäße Hardware vor Ort und eine moderne digitale Infrastruktur. Die Reihenfolge sollte aber sein: erst ein durchdachtes Konzept für die Vermittlung von Medien-Kompetenz ausarbeiten, das Lehrpersonal entsprechend entlasten und fortbilden und dann die Geräte an den Schulen verteilen.

Das wichtigste ist, einen kühlen Kopf zu bewahren: »Ganz egal, ob ich das Abitur schaffe, ich werd’ sowieso Influencer!« – »Keine Sorgen, Torbi, du bist geimpft!«

Zur Person

Johannes Schröder ist studierter Deutschlehrer und Comedian/Kabarettist. Nach zwölf Jahren Schuldienst und dem Nebenjob als Pausenaufsicht befindet sich der inzwischen mehrfach preisgekrönte Humorist alias ’Herr Schröder’ gegenwärtig mit seinem ersten Comedy-Soloprogramm ’World of Lehrkraft – Ein Trauma geht in Erfüllung’ auf großer Live-Tour durch Deutschland.

www.herrschröder.de

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