Anmerkungen zur NRW-Gesetzesinitiative: Aufnahme einer gegenüber dem Gemeinwohl feindlichen oder gleichgültigen Haltung als besonderer Umstand der Strafzumessung.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat am 16. Dezember 2016 einen Vorschlag zur Änderung des Strafgesetzbuches (StGB) in den Bundesrat eingebracht. Bei der Strafzumessung soll unter anderem strafschärfend eine »gegenüber dem Gemeinwohl feindliche oder gleichgültige Haltung, wie sie insbesondere bei Taten zum Nachteil von Amtsträgern (…) zum Ausdruck kommen kann«, zu berücksichtigen sein.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft begründet die Notwendigkeit der Gesetzesergänzung unter anderem damit, dass die Grundstimmung in der Gesellschaft in einigen Bereichen immer aggressiver werde und insbesondere auch Lehrer dies im Schulalltag zu spüren bekämen. Gerade Lehrkräfte verdienten aber einen besonderen Respekt, der mit Mitteln des Strafrechts zu verteidigen sei.

Kann das Strafrecht mehr Respekt gegenüber Lehrkräften vermitteln?

Fraglich ist allerdings, ob das Strafrecht tatsächlich in diesem Bereich ein geeignetes Mittel ist, einen größeren Respekt gegenüber Lehrern zu vermitteln bzw. die Grundstimmung der Gesellschaft zu ändern. Anders gewendet: Hätte eine Änderung der Strafzumessungserwägungen, wie sie die NRW-Gesetzesinitiative vorsieht, de facto überhaupt Auswirkungen auf die Bestrafung von Schülern, die Lehrkräfte beleidigen, belästigen oder gar körperlich angreifen? Das erscheint mehr als fraglich.

Erstens ist es nicht primäre Aufgabe des Strafrechts, Verbrechen zu bekämpfen, wie es häufig suggeriert wird. Es setzt nämlich erst ein, wenn »das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist«, es also zu einer Straftat gekommen ist. Als Bekämpfungsmittel kommt es damit immer zu spät.

Änderung geht ins Leere 

Zweitens: Selbst wenn man bereits der Strafandrohung eine präventive, abschreckende Wirkung zuschreibt (was allerdings nicht bewiesen ist), hätte die Änderung der Strafzumessungserwägungen gerade für Schüler, die Lehrkräfte beleidigen oder tätlich angreifen, kaum bis gar keine Auswirkung. Denn zum einen setzt Strafe die Schuldfähigkeit des Täters voraus. 

Das ist bei Kindern, die bei Begehung der Tat das vierzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben, nicht der Fall. Sie können also gar nicht bestraft werden.

Zum anderen gilt für vierzehn- bis einschließlich siebzehnjährige Jugendliche (ebenso zumeist für achtzehn- bis einschließlich zwanzigjährige Heranwachsende) das Jugendgerichtsgesetz (JGG).

Sie können zwar eine Straftat nach dem Strafgesetzbuch begehen, jedoch gelten für sie gerade die in ihm zu findenden Strafzumessungserwägungen in der Regel nicht. Die konkrete Sanktion der Tat orientiert sich bei Jugendlichen vornehmlich am Erziehungsgedanken und nicht – wie im Erwachsenenstrafrecht – an der Schwere der Tat und am Grad der persönlichen Schuld. Daher treten an die Stelle der Hauptstrafen des Erwachsenenstrafrechts (Freiheits- und Geldstrafe) spezifische jugendstrafrechtliche Rechtsfolgen, wie Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und als ultima ratio die Jugendstrafe.

Gut gemeinter Aktionismus

Insgesamt handelt es sich, jedenfalls für die Gruppe der Lehrerinnen und Lehrer, um einen – wenn auch gut gemeinten – Gesetzesaktionismus, der versucht, mit verhältnismäßig einfachen und kostengünstigen Mitteln den eigentlichen (gesellschaftlichen) Problemen auszuweichen.

Viel wichtiger wären klare Strukturen, an wen sich betroffene Lehrer wenden können und was nach einem Übergriff zu tun ist. Lehrkräfte, die Opfer von Übergriffen seitens Schülern oder auch Eltern werden, sollten der vollen Unterstützung ihrer Dienstherren sicher sein können. Das bedeutet auch, dass ein solcher Vorgang – sei es auch aus schulpolitischen Erwägungen heraus – nicht klein- oder gar weggeredet wird.

BETTINA NOLTENIUS
Ruhr-Universität Bochum

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