Zur Seiteneinsteiger-Thematik (siehe ‘Im Nirwana der Lehrerbildung’ in lehrer nrw 3/2017) hat die Redaktion ein Leserbrief erreicht, der zeigt, welche Probleme die aktuelle Situation nach sich zieht.

Mit Interesse habe ich Ihren Artikel ‘Im Nirwana der Lehrerbildung’ gelesen. Genau dort befinde ich mich nämlich, und egal, was ich versuche, die Verantwortlichen unseres Schulsystems lassen mich dort nicht hinaus.

Nach einer Ausbildung zur Stuckateurin habe ich Diplom-Biologie studiert und im Zuge dessen ein Vordiplom unter anderem in Chemie und Physik gemacht. Den Diplomstudiengang schloss ich mit 1,0 mit Auszeichnung ab. Eher zufällig nahm ich eine Vertretungsstelle an einer Realschule an. Meine pädagogische Einführung der Kollegen und der Schulleitung lautete: »Seien Sie streng, und Frau XY ist für die Schulbücher zuständig, hier ist Ihr Stundenplan.« 

Im sehr kalten Wasser schwimmen gelernt

Nachdem ich lernte, im sehr kalten Wasser zu schwimmen, fing der Beruf an, mir richtig Spaß zu machen, und mein Vertrag wurde verlängert. Mittlerweile blicke ich auf sechseinhalb Jahre Unterricht an fünf verschiedenen Schulen an drei unterschiedlichen Schulformen zurück. Unter anderem leitete ich eine Primar-Förderschulklasse ‘ES’.

Als Nicht-Pädagogin schien ich ausreichend qualifiziert, mich in einer verantwortungsvollen Position in einem sonderpädagogischen Posten einzusetzen. Parallel bewarb ich mich NRW-weit auf rund sechzig ausgeschriebene OBAS Stellen. Bei einem der beiden OBAS-Bewerbungsgespräche lautete eine der Absagen, dass ich die kaputten PCs nicht reparieren könne. Unzählige Zeitverträge, oft bis zu drei parallel an derselben Schule, sicherten mir von Monat zu Monat meinen Lebensunterhalt. Nachdem die Verträge immer mehr zu meinem Nachteil gestaltet wurden und ich keine andere Möglichkeit auf Festanstellung mehr sah, nahm ich den Rechtsweg und erhielt die Festanstellung, zumindest mit halber Stelle. Nun kämpfe ich um die Aufstockung.

Seit Beginn meiner Schultätigkeit unterrichtete ich bereits die Fächer Biologie, Erdkunde, Kunst, Physik und seit 2014 auch Chemie. Im nächsten Schuljahr soll ich den gesamten Chemieunterricht der Schule gewährleisten, daher bewarb ich mich um einen Chemie-Zertifikatskurs. Dieser wurde abgelehnt mit der Begründung des fehlenden Lehramtes. Das ist genau das Problem, auf das Sie das Ministerium offensichtlich schon zweifach hingewiesen haben und zu meinem Unverständnis die Gespräche ergebnislos abgebrochen wurden.

Chancen verweigert

Wie kann es sein, dass man mir seit eineinhalb Jahren die entfristete, volle Stundenanzahl verweigert? Immerhin könnte ich (erst) dann ein OBAS Verfahren beantragen, das Lehramt nachholen und noch qualifizierteren Unterricht erteilen.

Wie kann es sein, dass die Politik lautstark in den Medien fordert, Lehrer sollten zu Fortbildungen verpflichtet werden, mir aber verweigert man jegliche Chance?

Wie kann es sein, dass ich zu unqualifiziert bin, um mich zu qualifizieren, aber den gesamten Chemieunterricht einer Schule tragen soll? 

Wenn man zu ‘Notlösungen’ (Seiteneinsteigern) greift, muss es Konzepte geben, aus der Not eine Tugend zu machen! Andernfalls solle man sich bitte auf den Einsatz von fertig ausgebildeten Fachkräften beschränken, und bei deren Mangel muss der Unterricht eben entfallen. 

Liebe Landesregierung, tragt bitte Eure neue Verantwortung und erstellt vernünftige tragfähige Konzepte und lasst Euch dabei von lehrer nrw beraten!

Fördert mich endlich, statt mich auszubremsen!

Heike Drapatz
Köln, in Duisburg arbeitend

Hinweis:

Lesen Sie hierzu auch das Interview mit Ulrich Wehrhöfer vom NRW-Schulministerium auf der folgenden Seite

Originalausgabe (PDF-Datei)


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Wege für Seiteneinsteiger

Zur Seiteneinsteiger-Problematik im Allgemeinen und zum Leserbrief auf der vorangegangenen Seite im Besonderen äußert sich im Interview mit lehrer nrw Ulrich Wehrhöfer, Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Schulministerium.

Der Leserbrief auf der vorangehenden Seite steht stellvertretend für zahlreiche Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen, die uns ähnlich gelagerte Fälle schildern. Können Sie den Unmut nachvollziehen, der bei vielen Seiteneinsteigern herrscht?

Wehrhöfer: Ein Einsatz von Lehrkräften ohne volle Lehramtsbefähigung ist natürlich für die Schulen und die Lehrkräfte selbst eine Herausforderung und führt sicher in manchen Situationen zu Unmut. Zur Frage der Aufstockung: Die Schulaufsichtsbehörden sind zur Sicherung der Unterrichtsversorgung mit Erlass vom 7. Juli 2016 gebeten worden zu prüfen, ob bisher teilzeitbeschäftigten Lehrkräften eine Aufstockung der Arbeitszeit angeboten werden kann. Dies hängt aber vom Bedarf der Schule und der Eignung der Lehrkraft ab. Sofern eine teilzeitbeschäftigte Lehrkraft den Wunsch äußert, die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit aufzustocken, ist sie nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz über freie Stellen an ihrer Schule, die ihrer Qualifikation entsprechen, zu informieren und bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen.

Offensichtlich sind zahlreiche Seiteneinsteiger, darunter viele mit hervorragender fachlicher Qualifikation, regelrecht im System Schule gestrandet: Sie sind einerseits entfristet und damit ein (Berufs-)Leben lang Lehrer, sie sind andererseits aber zum Beispiel nicht OBAS-fähig und daher von Weiterbildungen speziell im Hinblick auf Pädagogik und Didaktik ausgeschlossen. Das kann nicht im Sinne der Bildungsqualität sein.

Wehrhöfer: Zur Fortbildung: Zahlreiche Angebote stehen dem gesamten Schulpersonal zur Verfügung: sowohl die schulinternen und schulexternen Fortbildungsangebote der 53 Kompetenzteams in den Schulamtsbezirken als auch die schulexternen Fortbildungsangebote der Bezirksregierungen. Nur in wenigen Fällen gelten engere Voraussetzungen. Insbesondere zu Zertifikatskursen haben nur Lehrkräfte mit einer Lehrbefähigung Zugang, die sich in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis befinden. Gründe sind: Ein Zertifikatskurs knüpft an die schon erlangten Kompetenzen in den studierten Fächern an, des Weiteren muss die Qualifizierung auch wirtschaftlich sein (nicht für Befristete).

Zu Maßnahmen der Lehrerausbildung: Hier werden Seiteneinsteiger entsprechend den Möglichkeiten zugelassen, die ihre Vorqualifikation und ihr Beschäftigungsverhältnis bieten. Lehrkräfte mit einem universitären Hochschulabschluss mit bestimmten Anteilen in zwei Lehramtsfächern haben ggf. Zugang zum berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst (OBAS) und dem Erwerb einer vollen Lehramtsbefähigung. Die Entscheidung über den Zugang trifft dabei im Wesentlichen die Schule! Das gilt auch für ‘entfristete’ Lehrkräfte (§?4 OBAS). Eine Teilnahme setzt allerdings einen bestimmten Beschäftigungsumfang voraus (zwanzig Pflichtstunden). Eine weitere Qualifizierungsmöglichkeit wollen wir in Kürze schaffen: Personen, die nur ein Fach studiert haben, benötigen nach einer ‘Entfristung’ zwar nicht mehr eine Einführung wie Berufsanfänger; für diese Gruppe können aber Elemente der ‘Pädagogischen Einführung’ noch eine gute Unterstützung darstellen.

In den Kollegien an den Schulen treffen Seiteneinsteiger auf Kollegen, die den klassischen Weg der Lehrerausbildung gegangen sind. Wie kann verhindert werden, dass hier eine Zweiklassengesellschaft entsteht?

Wehrhöfer: Natürlich ist der Idealfall immer der nachträgliche Erwerb einer vollen Lehramtsbefähigung mit zwei Fächern. Nachqualifizierungen finden aber eine gewisse Grenze in den Vorqualifikationen: Schulpraktische Ausbildung muss auf akademischer Qualifikation im Fach aufbauen. Das gilt nach ‘Entfristungen’ ebenso wie bei Neueinstellungen ohne Lehramtsbefähigung. Letzteres gibt es in Ausnahmefällen seit Langem – und es müssen Ausnahmefälle bleiben! Alles andere würde den Lehrerberuf als akademischen Beruf mit anspruchsvoller Ausbildung selbst in Frage stellen. Selbst bei Ausnahmefällen gibt es aber häufig Wege: Die Beschäftigten sollten Beratungen an Hochschulen nutzen und mit ihren Schulleitungen prüfen, welche Möglichkeiten eines berufsbegleitenden Nachstudiums sich – privat und schulisch – individuell organisieren lassen.

Zur Originalausgabe (PDF-Format)


 

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