Mit einer Schulmail vom Mai 2017 hat die Bezirksregierung Düsseldorf den Fokus auf einen schulrechtlichen Klassiker gerichtet, der auch nach Jahrzehnten nichts an Aktualität verloren hat: Die Doppel-, Parallel- oder Mitaufsicht. 

 

Wie man’s macht…

Das Bild ist an allen Schulen gleich: Den steten Beteuerungen des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW zum Trotz fehlen überall grundständig ausgebildete Lehrkräfte, um einen geordneten Schulbetrieb zu gewährleisten. Freie Stellen bleiben unbesetzt, weil junge Kolleginnen und Kollegen nicht zu bekommen sind, die Vertretungsbedarfe sind hoch, die mit der Erstellung der Stundenpläne betrauten Schulleitungen jonglieren mit den wenigen Springstunden, die das System zulässt. Zu wenig, zu spät, zu oft – das ist längst Realität. Was liegt näher, als Lehrkräfte zu beauftragen, zusätzlich zum eigenen Unterricht eine benachbarte, verwaiste Klasse mit zu beaufsichtigen? Selbst die zur Aufsicht erlassene Verwaltungsvorschrift zu § 57 Abs. 1 SchulG NRW enthält die griffige Formulierung, dass eine ständige Anwesenheit der aufsichtsführenden Lehrkraft nicht in jedem Fall zwingend geboten ist, vgl. BASS 12-08 Nr. 1, dort 3.

 

…macht man’s falsch

Ein probater Weg, aus Nichts positive Energien zu gewinnen? Wenn alles gut geht, ja. Wie gesagt: Wenn alles gut geht. Nur haben betroffene Lehrkräfte darauf keinen Einfluss. Bei der Mitaufsicht ergeben sich regelmäßig kritische Sicherheits- und damit Haftungsfragen, wenn Schülerinnen und Schüler während der Unterrichtszeit nicht ständig beaufsichtigt sind. Kommt es zu einem Zeitpunkt, wo sich die zwischen zwei Klassen ‘aufteilende’ Lehrkraft gerade nicht in der Klasse aufhält, in dieser Klasse etwa zur Schädigung einer Schülerin oder eines Schülers, liegt objektiv erkennbar eine Verletzung der Aufsichtspflicht vor. Ordnet der Schulleiter also an, dass eine Lehrkraft neben ihrer eigenen noch eine andere Klasse mit beaufsichtigen muss, begeht er bereits mit der Anordnung eine Amtspflichtverletzung, entschied der Bundesgerichtshof schon mit Urteil vom 19. Juni 1972 zu Az. III ZR 80/70.

Die Schulleitung genügt nach Auffassung des erkennenden Senates mit der von ihr gewählten Vertretungsregelung ihrer Pflicht, für eine genügende Beaufsichtigung der Schülerinnen und Schüler zu sorgen und Gefahren für Schüler so niedrig wie den Umständen nach möglich und geboten zu halten, nicht. Dabei sei es, so die Richter, eine Erfahrungstatsache, dass sich unbeaufsichtigt fühlende Schulkinder gerne, und zwar desto lieber, je länger die Klasse ohne geeignete Aufsicht sei, in den Klassenräumen Unfug trieben und Streitigkeiten austrügen, was leicht zu nachteiligen Folgen für Mitschüler führen könne. Die Gefahr der gesundheitlichen Schädigung einer Schülerin oder eines Schülers ist in aller Regel vorherzusehen und sollte daher tunlichst verhindert werden, vorrangig durch Vermeidung der Mitaufsicht und Änderung des Vertretungsplanes. 

 

Im Zweifel remonstrieren

Die höchstrichterliche Rechtsprechung erfordert, dass eine Mitaufsicht von zwei Klassen in zwei Räumen nur dann erfolgen darf, wenn die Lehrkraft darauf vertrauen kann und darf, dass die Klasse ohne Lehrkraft den Anweisungen der Vertretung folgen wird – eigentlich also nie. In jedem Fall dürfen Lehrkräfte Klassen mit bekanntermaßen auffälligen Kindern nicht aus den Augen lassen. Die Konsequenz ist, dass die betroffene Lehrkraft bei der Schulleitung remonstrieren muss, also aufgrund ihrer persönlichen Verantwortung nachdrücklich darauf aufmerksam macht, die ihr zugemutete Aufgabe nicht erfüllen zu können. Wird die Anordnung aufrechterhalten, muss die Lehrkraft sie zunächst ausführen, wird aber von der eigenen Verantwortung insoweit befreit, dass ein dienstrechtlicher Vorwurf entfällt. Aus schulpraktischer Sicht sollten dann jedoch im eigenen Interesse der reguläre Unterricht aufgeben und die beiden Klassen zusammengefasst werden, weil oftmals nur so der Aufsichtspflicht genügt werden kann. Remonstrieren lässt aber nicht die Pflicht zur gewissenhaften Wahrnehmung übertragener Dienstaufgaben entfallen und hebelt auch nicht eine strafrechtliche und ggf. auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gerichtete zivilrechtliche Würdigung im Falle der Schädigung einer Schülerin oder eines Schülers aus. Dieses Risiko tragen Lehrkräfte immer! 

Die Hoffnung, alles werde gut gehen, weil die Mitaufsicht »unter Beachtung der rechtlichen und fachlichen Vorgaben« selbst von der Bezirksregierung Düsseldorf als grundsätzlich zulässig erachtet wird, ist trügerisch. Letztlich kommt es nicht darauf an, ob es Beanstandungen schon vor einem schädigenden Ereignis gegeben hat, wenn Klassen still beschäftigt wurden und die Lehrkraft einer benachbarten Klasse die Aufsicht übernahm. Die Möglichkeit, dass dem anders werden könnte, liegt nahe.

 

Wie ich es sehe

Die Schulleitung genügt ihrer Amtspflicht, zur Vermeidung von Schäden für die Beaufsichtigung minderjähriger Schüler zu sorgen, jedenfalls dann nicht, wenn sie duldet, dass eine Klasse während zweier Unterrichtsstunden ohne wirksame Aufsicht durch Lehrkräfte bleibt. So sagt es der Bundesgerichtshof. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist kein Gesetzesrecht. Sie entfaltet jedoch eine Bindungswirkung unter dem aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Vertrauensschutzgebot, von der nicht ohne weiteres abgewichen werden kann, auch nicht mit der Begründung, dass die Entscheidung beinahe 50 Jahre zurückliegt. Das Problem ist allgegenwärtig, die Entscheidung also hochaktuell. 

Die Formulierung der Bezirksregierung Düsseldorf in ihrer Handreichung zu ‘Aufsichtspflichtverletzungen’, dass die Mitaufsicht unter Beachtung der sonstigen rechtlichen und fachlichen Vorgaben grundsätzlich zulässig ist, ist nicht falsch. Sie ist nur unvollständig. Eine kurze, fünf bis zehn Minuten nicht überschreitende spontane Mitaufsicht der benachbarten Klasse halte ich persönlich für (gerade noch) vertretbar. Das Risiko, wie es Dr. iur. Günther Hoegg sehr treffend formuliert hat, »zwei spaßorientierte Mittelstufenklassen gleichzeitig für eine Stunde oder gar länger zu beaufsichtigen«, ist es nicht. Weder die Schulleitung noch die Bezirksregierung können die drohende Strafverfolgung im Falle eines Falles abwenden – genauso wenig wie finanzielle Forderungen der Erziehungsberechtigten oder etwa einer Versicherung bei der gesundheitlichen Schädigung eines Schülers. Dieses Risiko, das jede Lehrkraft, die sich zu einer Mitaufsicht bereit findet, immanent trägt, übersieht die Bezirksregierung Düsseldorf leider geflissentlich.

Michael König

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