Lehrkräfte wünschen, dass ihre Schülerinnen und Schüler während des eigenen Unterrichts nicht auf die Toilette gehen, sondern diese nur in den Pausen aufsuchen. Das Aufstehen, Hinausgehen und geräuschvolle Wiederkommen stellt jedes Mal eine unnötige Unterrichtsstörung dar. Darf aber der Toilettengang deshalb während des Unterrichts verboten werden?

Wenn‘s um die Wurst geht, muss es schnell gehen. Das wissen natürlich auch Schüler – sie müssen dann schnell mal weg. Oft drängt sich leider der Verdacht auf, dass sie eigentlich gar nicht müssen, sondern nur eine geschmeidige Möglichkeit suchen, um sich während der Mathematikstunde, möglichst ungestört von dem jungen Referendar, zum persönlichen Gespräch in der Porzellanabteilung zu treffen, dort LSD-Globuli einzuwerfen oder zu kiffen. Ein möglicher Lösungsansatz ist die in vielen Klassen praktizierte Übung, dass nur ein Schüler den Unterrichtsraum in Richtung Toilette verlassen darf. Alle anderen müssen warten, bis er sich erleichtert hat. Kommt es bei den anderen, wartenden Schülerinnen und Schülern aber zu einer spontanen Entleerung, drohen die verärgerten Erziehungsberechtigten nicht selten mit Dienstaufsichtsbeschwerde oder gar einer Strafanzeige. Und die Lehrkräfte sehen sich dem Vorwurf der Körperverletzung im Amt gegenüber. Zu Recht?

 

Das Recht auf Toilettenbesuch

Jedermann hat das Recht zum ungehinderten Besuch einer Toilette zur Verrichtung seiner Notdurft. Das lässt sich aus Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 1 und 2 Grundgesetz ableiten. Es ist ein elementares Grundrecht, seine Notdurft ungehindert verrichten zu können. Das ausdrückliche Verbot, die Toilette aufzusuchen, begründet einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK im Sinne des Verbots der Folter und der unangemessenen Behandlung sowie gegen Art. 1 und 2 Grundgesetz im Sinne einer Verletzung der Menschenwürde und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit. Darüber hinaus kommen verschiedene Straftatbestände in Betracht.

 Das erzwungene Einhalten des Stuhlgangs oder Urins führt regelmäßig zu schmerzhaften Verkrampfungen des Verdauungstraktes bzw. der Blase und erfüllt den Tatbestand einer Körperverletzung. Kann ein Schüler den Drang nicht mehr halten und macht sich in die Hosen, treten zudem regelmäßig psychosomatische Folgeerscheinungen auf, etwa der Verlust der Selbstachtung, Angst vor Gespött und das Gefühl der Hilflosigkeit. Auch psychische Verletzungsfolgen stellen eine Gesundheitsschädigung im Sinne der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB dar. Wenn ein Schüler nach der Bitte um Erlaubnis eines Toilettenganges ein ausdrückliches Verbot erhält, handelt der Lehrer zudem vorsätzlich, da er zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Schüler in die Hosen macht.

 

Vorsatz der Körperverletzung

Sollte sich die Lehrkraft darauf berufen, sie sei davon ausgegangen, der Schüler habe gar nicht auf die Toilette gemusst oder zumindest bis zum Stundenschluss aushalten können, so ändert dies nichts an dem Vorsatz der Körperverletzung. Denn das erzwungene Einhalten des Stuhlgangs oder Urins stellt für den Schüler auch dann eine erhebliche Qual dar, wenn er dann doch durchhalten kann. Die Lehrkraft hätte bei einer solchen Einlassung jedenfalls eine Qual des Opfers bis zum tatsächlichen Toilettengang beabsichtigt. Schlecht beraten wären Lehrkräfte auch bei der Annahme, der Schüler habe den Toilettenbesuch rechtsmissbräuchlich erbeten, um sich zum Beispiel auf der Toilette mit anderen Schülern zum Gespräch zu treffen, dort Drogen zu konsumieren oder mit dem Mobiltelefon zu telefonieren. Für einen solchen Rechtsmissbrauch ist die Lehrkraft darlegungs- und beweispflichtig. Und diesen Nachweis kann sie erfahrungsgemäß in der Regel nicht führen.

Schließlich haben Lehrer gegenüber den ihnen anvertrauten Schülern eine Fürsorge- und Erziehungspflicht, die sie gröblich verletzen, wenn sie einen erbetenen Toilettenbesuch verweigern. Durch die Tathandlung bringen Lehrer ihre Schüler in die Gefahr, in der psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden. Kinder und Jugendliche, die so etwas einmal durchleiden mussten, haben regelmäßig Angst vor der Wiederholung einer solchen, ja: Misshandlung. Denn das erzwungene In-die-Hosen-Machen birgt die Gefahr, dass die Betroffenen auf lange Zeit zum Gespött ihrer Mitschüler werden und die psychische Entwicklung erheblichen Schaden nimmt.

 

Wie ich es sehe 

Es steht außer Frage, dass gruppenweises Aufstehen und Setzen von Schülerinnen und Schülern gelegentlich unaufschiebbaren Harndranges den Unterricht stört. Durch das ausdrückliche Verbot, Schüler zur Toilette gehen zu lassen bzw. erst nach mehrfachem Nachfragen, kann ein Lehrer aber gleich mehrere Straftatbestände erfüllen. Es ist daher jedem Lehrer dringend zu raten, die Schüler gehen zu lassen. Andernfalls droht neben einem Strafverfahren auch die Einleitung eine Disziplinarverfahrens mit ggf. erheblichen Folgen.

Jeder hoheitlich handelnde Beamte ist verpflichtet, sich bei der Amtsausübung aller Eingriffe in fremde Rechte zu enthalten, die eine unerlaubte Handlung im Sinne des bürgerlichen Rechts darstellen. Ein Beamter, der in Ausübung seines öffentlichen Amtes in diesem Sinne eine unerlaubte Handlung begeht, verletzt dadurch zugleich eine ihm dem Träger des Rechts oder Rechtsguts gegenüber obliegende Amtspflicht. Zu den dergestalt geschützten sonstigen Rechten zählt auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, so die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Die Fürsorge- und Erziehungspflicht eines Lehrers gegenüber seinen Schülern geht über die allgemeine Amtspflicht eines Beamten sogar noch hinaus. Dadurch, dass die Schüler verpflichtet sind, die Schule zu besuchen, resultiert für Lehrer während der Schulzeit die Amtspflicht, die Schulkinder vor Schäden an Gesundheit und Vermögen wie auch vor Verletzung anderer grundrechtlich geschützter Güter zu schützen. Sie dürfen weder selbst grundrechtsverletzende Handlungen vornehmen noch solche dulden. Diese Amtspflicht dient dem Schutz der Grundrechte der Schüler, da sie sich während der Schulzeit in der Obhut der Schule befinden. Sie besteht also gerade und unmittelbar den Schülern gegenüber, vergleiche Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken in einem lesenswerten Urteil vom 6. Mai 1997, Az. 7 O1150/93.

Wenn also ein Schüler eine Unterrichtsunterbrechung wünscht und vorgibt, unbedingt zur Toilette zu müssen, lässt sich das nur unterbinden, wenn die Lehrkraft das Risiko in Kauf nimmt, dass sich der Schüler in die Hose macht. Mag es auf den ersten Blick auch vertretbar erscheinen, immer nur einen Schüler zur selben Zeit auf die Toilette zu lassen, wenn den Schülern diese Regelung vorher bekannt ist und sie wissen, dass sie sich rechtzeitig für einen Toilettengang melden müssen – das Risiko bleibt. Grundsätzlich können Lehrer von Oberstufenschülern zwar ein ungleich größeres Durchhaltevermögen verlangen als von Fünft- oder Sechstklässlern. Aber auch hier gilt: Wenn ein Schüler einnässt oder sich zukotet, liegen nicht nur dessen Nerven, sondern auch die der Erziehungsberechtigten blank. Und juristisch steht der Lehrer dann auf ziemlich verlorenem Posten. Da ist die Unterrichtsstörung das erkennbar kleinere Übel …

Michael König

Originalausgabe (PDF-Datei)

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