Der Kampf für die Bosse Realschule hat sich gelohnt. Die Bielefelder Realschule, die eigentlich geschlossen werden sollte, bleibt erhalten. Der hartnäckige und engagierte Widerstand von Eltern, Schülern und Lehrkräften, die für ‘ihre’ Schule kämpften, gab den Ausschlag.

Im Frühjahr 2017 war der Schulstreit in Bielefeld hochgekocht: Die Stadtverwaltung wollte zwei Realschulen, die Bosse Realschule und die Kuhlo-Realschule, schließen und stattdessen zwei Sekundarschulen installieren. Dabei gab es eine große Nachfrage nach Realschulplätzen in Bielefeld. Gegen die Schließungspläne gingen insbesondere an der Bosse Realschule die Eltern auf die Barrikaden. Sie organisierten Demos und Protestmärsche, um für den Erhalt der Schule zu werben. Brandbriefe an die damalige Schulministerin Sylvia Löhrmann und Bielefelds Oberbürgermeister Pit Clausen wurden geschrieben. 

 

Breite Unterstützung

Die Eltern suchten Unterstützung bei den Eltern der anderen Realschulen in Bielefeld, bildeten einen gemeinsamen Realschulelternrat und wurden auch noch von den Schulleitern der anderen Realschulen und dauerhaft von der FDP unterstützt. Allgemein herrschte Unverständnis, dass die Stadt Realschulen schließen will, obwohl es in den letzten Jahren einen Überhang an Anmeldungen für diese Schulform gab und im Gegenzug Gesamtschulplätze frei blieben.

Dennoch stimmte der Schulausschuss der Stadt am 17. Oktober für die Schließung der beiden Realschulen. Danach erhöhten Eltern, Schüler und Lehrkräfte den Druck nochmals. Die Eltern brachten daraufhin eine Petition auf den Weg und nahmen Kontakt zu einem Rechtsanwalt auf, um mit Rechtsmitteln gegen die Schließung zu klagen. Das sorgte in Teilen der Politik für ein Umdenken. Denn in der Ratssitzung am 8. November wurde der Beschluss des Schulausschusses gekippt. Die Bosse Realschule bleibt bestehen. Zahlreiche Eltern, die die Sitzung im Ratssaal verfolgten, brachen in Jubel aus.

Gleichzeitig beschloss der Rat jedoch auch, wie ursprünglich geplant, zwei Sekundarschulen zu errichten. Die Anmeldezahlen werden nun zeigen, welchen Weg die Eltern in Bielefeld für ihre Kinder wählen.

 

Keine Schulpolitik über die Köpfe der Eltern

Aus Sicht von lehrer nrw zeigt der Schulstreit in Bielefeld wieder einmal: Eine Schulpolitik über die Köpfe der Eltern hinweg muss und wird scheitern. Jenseits von Schulstrukturfragen müssen in den Kommunen Lösungen gefunden werden, die zur jeweiligen Situation passen. Dabei müssen Eltern, Schüler und Lehrkräfte einbezogen und gehört werden, denn letztlich sind sie vor Ort die wahren Bildungsexperten.

Jochen Smets

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Von Psychotechniken bis zum Maulkorb

Demokratie oder ‘sanfte Steuerung’ der Schule?

Unter dem Motto ‘Time for change?’ findet am 3. Februar 2018 eine Tagung an der Universität Wuppertal statt, die die Manipulationstechniken und Steuerungsmechanismen der bildungspolitischen Akteure entlarven will. Die Teilnahme ist kostenlos.

Schulen stehen seit den PISA-Studien unter immensem Reformdruck: Kompetenzorientierung, Vergleichstests, zentrale Prüfungen, individuelle Förderung, selbstgesteuertes Lernen, Methodentraining, Schulprogramme, Qualitätsmanagement, Inklusion usw. sollen umgesetzt werden. Das große Versprechen: Dadurch würden Schule und Unterricht besser, gerechter und moderner.

Im Erleben vieler Lehrerinnen und Lehrer bewirken sie faktisch das Gegenteil: Der Alltag ist geprägt von unsinniger Arbeitsverdichtung durch Bürokratisierung und der Ablenkung vom Kerngeschäft Unterricht. Wissen und Können der Schüler nehmen nicht zu, sondern ab, Inhalte werden unwichtig, Noten werden durch den Druck von Schulleitungen und Eltern angehoben und geschönt. All dies führt zum Rückzug aus dem Erziehungsauftrag, auch weil der Lehrer zum ‘Lernbegleiter’ reduziert werden soll. Durch externe Kontrollen (‘Qualitätsanalyse’) geht die pädagogische Freiheit verloren. Schulleitungen üben einerseits Druck auf die Kollegien aus, stehen andererseits selbst unter Umsetzungsdruck der Behörden.

 

Wie Lehrer auf Kurs gebracht werden

Die Reformen selbst kommen in der emphatischen Sprache völliger Alternativlosigkeit daher. Sie unterstellen: »Es ist Zeit für den Wandel!« Die Reform ist immer besser als das Erprobte. Wer nicht mitmacht, ist von gestern – und wird mit sanftem oder unsanftem Druck auf die neue Linie gebracht. Dazu werden zunehmend sozialpsychologische Steuerungsinstrumente des sogenannten ‘Change Managements’ eingesetzt: durch psychologischen Gruppendruck, Spaltung von Kollegien durch Bevor- und Benachteiligung, Einsatz nicht legitimierter Gremien (‘Steuergruppen’) bis hin zu direkter Drohung und Maßregelung durch Schulleitungen und Behörden ist inzwischen ein breites Repertoire zu beobachten, wie Lehrer auf Kurs gebracht werden sollen. Statt Sachdiskussionen zu führen, wird an ‘Einstellungen’ gearbeitet; es wird nicht argumentiert, sondern ‘mitgenommen’ – oder eben ausgegrenzt. Reale Probleme von Heterogenität bis Inklusion, von der Erziehungsvergessenheit vieler Elternhäuser bis zur digitalen Verwahrlosung werden mit Schönrednerei und weltfremden Rezepten aus den Küchen der Fortbildungsinstitute übergangen. Derart sollen Lehrer unter Druck gesetzt werden, sich von ihren wohl begründeten pädagogischen Überzeugungen zu verabschieden und ihre Kritik herunterzuschlucken.

 

Durch Überforderung und Überlastung weichgekocht

Was bei allen Reformen bleibt, ist einzig das: Was nicht funktioniert in Schule und Unterricht, sind die Lehrer schuld. So durch Überforderung und Überlastung weichgekocht, passt sich mancher doch dem neuen Mainstream an, wenn er nicht an Burnout erkrankt.

Diesem Vorgehen vor Ort entspricht die bildungspolitische Großstrategie. Seit zwanzig Jahren werden Bildungsreformen insbesondere von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und ihrem nationalen Transmissionsriemen, der Bertelsmann Stiftung, an der demokratischen Öffentlichkeit vorbei durchgesetzt. So wurde etwa ‘Kompetenz’, die die OECD als ‘Fähigkeit zur Anpassung’ versteht, gegen den Bildungsauftrag von Verfassung und Richtlinien, der auf das genaue Gegenteil, nämlich Mündigkeit zielt, in die Kernlehrpläne implantiert. ‘Soft governance’ (sanfte Steuerung) nennt sich diese Methode, durch Vergleichstest wie PISA nationale Bildungssysteme unter Druck zu setzen, sich den neuen bildungsökonomischen Vorgaben der OECD anzupassen.

All das geht bislang auch bei wechselnden Regierungen weiter. Denn längst sind die Manipulationstechniken und Druckmechanismen in den Ministerien, Schulbehörden und Schulleitungen als selbstlaufende Programme installiert worden. Obwohl auch in den Apparaten viele Kollegen mit kritischer Vernunft arbeiten, sehen auch sie sich als insoliert und dem gleichen Druck der Reformmaschine ausgesetzt.

 

Tagung setzt Kontrapunkt

Es wird also Zeit, sich zusammenzufinden und gemeinsam die Entwicklungen zu beleuchten und das, was vielfach im alltäglichen Irrsinn der Schulen untergeht, ans Licht der Öffentlichkeit zu holen. Die Methoden und Hintergründe müssen analysiert und der Kritik zugeführt werden. Denn wie soll manipulative Steuerung mit Schule in der Demokratie vereinbar sein? Wie sollen Lehrerinnen und Lehrer Schülern zu Mündigkeit verhelfen, wenn sie selbst als gesteuerte Untertanen behandelt werden? Und wie können das pädagogische Selbstverständnis und die Widerstandskraft gegen Denkverbote und Kontrollen gestärkt werden? Was können Lehrer, was Eltern und was alle Bürger unternehmen, um Schule in demokratische Verantwortung zu holen? Diesen Fragen geht die unten angekündigte Tagung nach.

Tatsächliche Demokratie beruht auf Urteilskraft, sozialer Verbundenheit und dem aus beidem erwachsenden Mut jedes Einzelnen. Hierin liegt der Bildungsauftrag der Schule für die jüngere Generation. Und dazu will auch die Tagung alle an Schule Beteiligten ermutigen.

Jochen Krautz

Hinweis:
Weitere Informationen:

bildung-wissen.eu/fachbeitraege/contributions/time-for-change.html

Info:

Das Wichtigste zur Tagung in Kürze

Die Tagung ‘Time for Change? Schule zwischen demokratischem Bildungsauftrag und manipulativer Steuerung’ findet statt am Samstag, 3. Februar 2018 in der

Bergischen Universität Wuppertal
Hörsaal 32
(Gebäude K, Raum 11.23)
Gaußstraße 20

42119 Wuppertal.

Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldungen sind bis zum 19. Januar 2018 möglich unter tagungfk8@uni-wuppertal.de.

Zu den Referenten gehören Prof. Dr. Jochen Krautz (Bergische Universität Wuppertal), Dr. Matthias Burchardt (Universität zu Köln), Prof. Dr. Ursula Frost (Universität zu Köln), Prof. Dr. Silja Graupe (Cusanus Hochschule), Prof. Dr. Volker Ladenthin (Universität Bonn). Als Teilnehmerin einer Podiumsdiskussion ist auch Brigitte Balbach, die Vorsitzende von lehrer nrw, bei der Tagung vertreten.

 

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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

Wenn es um die Besoldung der Lehrkräfte geht, hinkt Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten (!) anderen Bundesländern hinterher. Gerade vor dem Hintergrund des akuten Lehrermangels muss die Landesregierung auch finanzielle Anreize setzen, um den Lehrerberuf attraktiver zu machen.

In einer Anhörung im Landtag hat die SPD das Thema nun auf die Agenda gebracht. Dass ausgerechnet die SPD, die die Missstände in der Lehrerbesoldung in vielen Jahrzehnten Regierungsverantwortung nicht behoben hat, sich nun zum Vorkämpfer für eine bessere Bezahlung der Lehrkräfte aufschwingt, ist kurios. Denn die im Vergleich zu anderen Bundesländern seit Jahrzehnten schlechtere Besoldung in Nordrhein-Westfalen existiert seit den 1970er Jahren, als die damalige SPD-geführte Landesregierung in der Lehrerausbildung den sogenannten ‘Stufenlehrer’ eingeführt hat. Danach gab es für die Grundschule den ‘Primarstufenlehrer’, für die Klassen 5 bis 10 den ‘Sekundarstufenlehrer I’ und für die Klassen 10 bis 13 den ‘Sekundarstufenlehrer II’. Die Einführung der Stufenlehrer ging jedoch unter anderem mit einer Zuordnung zu einer niedrigeren Besoldungsgruppe einher, und zwar für die Sekundarstufenlehrer I. Da andere Bundesländer in dieser Zeit eine höhere Besoldung für die Sekundarstufenlehrer I versprachen, entstand das Problem der Abwanderung bzw. Abwerbung von Lehrkräften – und existiert noch heute.

 

Mangel an allen Schulformen

Auch deswegen sind Personalnotstände entstanden, die sich in den letzten Jahren noch verschärft haben. Vom fachspezifischen Mangel sind alle Schulformen betroffen:

  • an Grundschulen gibt es viel zu wenig grundständig ausgebildete Mathematik-, Musik- und Sportlehrer;
  • an Schulen der Sekundarstufe I fehlen Lehrkräfte in den Fächern Englisch und Französisch;
  • an Gymnasien mangelt es an Lehrkräften in den MINT-Fächern.

Vom allgemeinen Lehrermangel, unabhängig von der jeweiligen Fächerkombination, sind vor allem Grundschulen und die Schulen der Sekundarstufe I betroffen. Die möglichen Gründe dafür sind vielfältig und nicht ausschließlich auf die Besoldung zurückzuführen:

  • Das Image des Lehrerberufs hat in den letzten Jahren erheblich gelitten. Zu viele neue Aufgaben sind auf die Lehrkräfte zugekommen, zu wenig Unterstützung ist trotz aller politischen Versprechungen angekommen.
  • Die pädagogische Arbeit im eigentlichen Sinne kommt zu kurz. Es bleibt den Lehrkräften einfach zu wenig Zeit, um dem einzelnen Schüler gerecht werden zu können. Wenn aber das Ergebnis der pädagogischen Tätigkeit nicht mehr im Verhältnis zu dem eigenen pädagogischen Anspruch steht, dann nimmt das Berufsethos Schaden, und die Identifikation mit dem Arbeitgeber/Arbeitsplatz geht verloren.
  • Und wenn dann auch noch die Bezahlung gemessen an der Ausbildung, der Arbeitsintensität und dem Selbstwertgefühl deutlich zu gering ausfällt, dann äußert sich dieses Gefühl der Diskrepanz in einer allgemeinen Unzufriedenheit.
  • Dieses Image in der Öffentlichkeit trägt inzwischen ganz erheblich zu dem Studienwahlverhalten der Schulabgänger bei. Andere Berufsfelder gelten aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen als attraktiver, sowohl in Bezug auf die Arbeitsintensität als auch in Bezug auf die Vergütung. 

 

Angemessene Bezahlung für hohe Professionalität

Lehrkräfte haben einen hohen Anspruch an die Professionalität ihrer Ausbildung und ihrer Berufstätigkeit. Schließlich arbeiten Lehrkräfte mit besonders schutzbedürftigen Menschen in einer äußerst wichtigen Lebens- und Entwicklungsphase. Das macht den Beruf auf der einen Seite hochspannend und persönlich gewinnbringend, auf der anderen Seite aber auch höchst störanfällig, sobald die Arbeitsstrukturen bzw. -bedingungen eine Umsetzung dieser Professionalität behindern oder gar unmöglich machen. 

Eine angemessene Bezahlung (d.h. Besoldung und Entgelt), die dieser Professionalität gerecht wird, ist daher eine zwangsläufige Schlussfolgerung. Mit dem neuen Lehrerausbildungsgesetz sollte gerade diesem Anspruch auch bei Primarstufen- und Sekundarstufe I-Lehrkräften Rechnung getragen werden. Es wäre bereits damals die sachlogische politische Konsequenz gewesen, mit der gleichen Ausbildungsdauer über alle Schulformen hinweg auch die Bezahlung anzugleichen. Dieses Versäumnis war lange abzusehen, hat sich von Jahr zu Jahr weiter verschärft und ist nun nicht mehr zu vertuschen. Insofern ist es erstaunlich, dass der Antrag ausgerechnet jetzt eingebracht wird. Die abgewählte rot-grüne Landesregierung hatte über Jahre die Möglichkeit, so zu handeln, wie im Antrag gefordert! Für die Politik besteht nun ein erheblicher Handlungsdruck, mit einem sinnvollen Schritt die Negativentwicklung umzukehren. 

 

Neujustierung des Beförderungssystems erforderlich

Wer den Aspekt der Bezahlung angehen will, muss die Gesamtsystematik in den Blick nehmen. Zum einen: Welche fatalen Auswirkungen übereilte und von falschen Prämissen ausgehende Entscheidungen zeitigen können, zeigt ein Blick auf die Bezahlung angestellter Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen. Nach der Umstellung auf das neue Tarifrecht im Jahr 2006 hat es erhebliche Verwerfungen gegeben, die teils mit Sofortmaßnahmen, teils in langwierigen Tarifverhandlungen, korrigiert wurden und auch noch weiter korrigiert werden müssen. Ein jahrelanger Prozess, der zu viel Enttäuschung, Wut und Frustration geführt hat!

Zum anderen: Nicht minder ‘gefährlich’ wäre es, die Systematik des Beförderungssystems nun mit einer Höhergruppierung aller grundständig ausgebildeten Lehrkräfte außer Kraft zu setzen. Im Tarifbereich hat man soeben unter größten Mühen die systemwidrigen Verwerfungen korrigiert und eine neue sachlogisch begründbare Systematik wieder hergestellt. Deshalb kann die Forderung nach einer Höhergruppierung aller Lehrkräfte auch nur mit einer neuen Justierung des Beförderungssystems einhergehen. 

 

Stufenplan zur Besoldungsanpassung

Die Forderung ‘Gleicher Lohn für gleiche Arbeit’ sollte die Gesamtproblematik mit Blick auf den Lehrermangel nicht außer Acht lassen, da ansonsten die Ziele verfehlt würden, nämlich neue Lehrkräfte zu gewinnen, neue Ungerechtigkeiten zwischen Beamten und Angestellten sowie zwischen Lehrkräften verschiedener Schulformen zu vermeiden und überdies die Arbeitsbedingungen an Schule insgesamt zu verbessern. Die Bezahlung der Lehrkräfte, und zwar von Beamten und Angestellten, ist ein wichtiges Kriterium für die Anerkennung und Wertschätzung des Berufsstandes. Daher unterstützt lehrer nrw die Forderung einer Besoldungsanpassung unter der Voraussetzung, dass dabei die Gesamtproblematik des Arbeitsplatzes ‘Schule in NRW’ in den Blick genommen und ein Gesamtkonzept für dessen zukünftige Ausgestaltung entwickelt wird. Dazu muss ein Stufenplan aufgelegt werden, der vom jetzigen Zeitpunkt an die Besoldung der Ausbildung langfristig angleicht.

 

Ulrich Gräler

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