Im September geht das Programm ‘Lehrkräfte Plus’ der Universität Bielefeld in die zweite Runde. Dann startet für 25 Lehrerinnen und Lehrer mit Fluchtgeschichte ein einjähriges Qualifizierungsprogramm, das die Teilnehmenden auf eine Tätigkeit an deutschen Schulen vorbereitet. 

Nach erfolgreichem Abschluss können die Absolventinnen und Absolventen, abhängig von ihren jeweiligen individuellen und formalen Voraussetzungen, beispielsweise als Vertretungslehrkräfte oder als Lehrkräfte im herkunftssprachlichen Unterricht arbeiten. Das Programm der Bielefeld School of Education wird in Kooperation mit dem Ministerium für Schule und Bildung NRW, der Bertelsmann Stiftung und den Kommunalen Integrationszentren durchgeführt. Es ist auf insgesamt drei Jahre angelegt. Auf den ersten Durchgang, der im August 2017 gestartet ist, hatten sich 270 Personen beworben. 

 

Vorbilder und Brückenbauer

Schulministerin Yvonne Gebauer betont: »Das Programm ‘Lehrkräfte Plus‘ ist ein Beitrag zur Integration und hilft Lehrkräften, die in ihrer neuen Heimat Nordrhein-Westfalen langfristig eine Zukunft in ihrem Beruf suchen. Die Pädagoginnen und Pädagogen, die bereits in ihren jeweiligen Herkunftsländern unterrichteten, können neue Perspektiven in unsere Schulen bringen. Mit ihrer interkulturellen und fachlichen Kompetenz sind sie Vorbilder für gelungene Integration und Brückenbauer zu Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern mit ähnlichen Fluchterfahrungen.« Auch deshalb, so die Ministerin, unterstütze das Land NRW das Pionierprojekt Lehrkräfte Plus. Das Programm gebe den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine erste Möglichkeit, sich ein Jahr lang sprachlich und pädagogisch auf eine Tätigkeit in Schulen vorzubereiten.

Auch Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, unterstreicht die Bedeutung des Programms: »Schulen brauchen auch die Kompetenz von Lehrkräften mit Migrationshintergrund. Deswegen sollten wir auch qualifizierten und engagierten Lehrkräften aus dem Ausland Wege eröffnen, im deutschen Schulsystem arbeiten zu können.« Mit dem Programm ‘Lehrkräfte Plus‘ werde ein solcher Pfad für Lehrkräfte mit Fluchtgeschichte geschaffen, so Dräger.

 

Aufbau des Qualifizierungsprogramms ‘Lehrkräfte Plus’

Das Qualifizierungsprogramm wird ab August 2017 insgesamt dreimal angeboten. Es erstreckt sich jeweils über ein Jahr und findet in Vollzeit an der Universität Bielefeld und an Schulen statt. Das Programm ‘Lehrkräfte Plus’ besteht aus folgenden Komponenten:

  • Deutsch-Intensivkurs (Abschluss DSH-Prüfung /C 1)
  • Gruppenhospitationen an Schulen
  • Pädagogisch-interkulturelle Qualifizierung
  • Fachliche und fachdidaktische Vertiefungen
  • Praktische Erfahrungen an einer Schule mit Begleitung durch eine Lehrkraft als Mentor/in
  • Beratung zu beruflichen Perspektiven im schulischen Kontext

 

Voraussetzungen für Interessenten

Interessenten können sich für Lehrkräfte Plus bewerben, wenn Sie als geflüchtete Lehrkraft folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Sie verfügen über einen universitären Lehramtsabschluss aus Ihrem Heimatland.
  • Sie verfügen über Berufserfahrung als Lehrkraft in Ihrem Heimatland.
  • Sie verfügen über gute Deutsch-Kenntnisse auf B1-Niveau.
  • Sie können sich dem Programm ein Jahr lang in Vollzeit widmen und die Universität Bielefeld täglich erreichen.

 

Über das Programm

Das Programm ‘Lehrkräfte Plus’ wird seit diesem Jahr in ähnlicher Form auch von der Ruhr-Universität Bochum angeboten. Kooperationspartner sind das Schulministerium und die Kommunalen Integrationszentren. Das Bochumer Programm wird von der ‘Stiftung Mercator’ und der ‘Bertelsmann Stiftung’ gefördert.

 

Info:

www.bised.uni-bielefeld.de/LKplus/

Zur Originalausgabe (PDF-Datei)


 

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Vergötzung der Bildung

Unsere Schulen werden immer mehr mit gesellschaftlichen Aufgaben überfrachtet, die im Elternhaus besser aufgehoben wären. Sie sollten sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: guten Unterricht, die Schulung des Denkens und Geistes.

Politiker aller Parteien werden nicht müde, Bildung als den Schlüssel zur Lösung all unserer Probleme anzupreisen. Um griffige Metaphern sind sie dabei nicht verlegen. Schulen sollen ‘Leuchttürme’ sein oder ‘Kathedralen’. Vielfältige Heilserwartungen knüpfen sich an unser Bildungssystem. Es soll die klugen Köpfe hervorbringen, die durch ihre Erfindungen unserem rohstoffarmen Land weiterhin Wohlstand sichern. Bildung soll als Fahrstuhl des sozialen Aufstiegs fungieren. Für die Bertelsmann-Stiftung – um Skandalisierungen nie verlegen – ist der Zusammenhalt unserer von sozialer Spaltung bedrohten Gesellschaft nur durch Bildung zu retten. Auch die Integration von Schülern mit Migrationsgeschichte könne nur durch Bildung gelingen. 

 

Bildung als säkularisierte Religion

In der Aufladung von Bildung zum universellen Heilsbringer sieht der Philosoph Konrad Paul Liessmann eine »säkularisierte Religion«. Wer den Heilserwartungen keinen Glauben schenkt, weil er einen realistischen Blick auf das durch Bildung Leistbare hat, gelte als ketzerischer Ignorant. Da Schule alles können soll, wird der Bildungsprozess ständig mit gesellschaftlichen Anliegen überfrachtet: Verkehrserziehung müsse sein, damit die Kinder nicht Opfer im Straßenverkehr werden; Sexualaufklärung mit HIV-Prophylaxe sei ethisch geboten; sich in der Geschlechtervielfalt unserer Zeit auszukennen könne auch nicht schaden; gesunde Ernährung? Auch sie sei als Lernthema nützlich. 

All diese Themen gehen, da sie in die existierenden Fachlehrpläne eingefügt werden, zeitlich zulasten des Fachunterrichts. Außer den Lobbyverbänden hat niemand daran wirklich Freude. Den Lehrkräften bleibt der ideologische Background dieser Themen nicht verborgen. Kritiker sprechen von »Schulungskursen für Political Correctness« (Norbert Bolz). Die meisten Schüler langweilen sich, weil sie das nötige Wissen schon im Elternhaus erworben haben. Mit der größer werdenden Vielfalt schulischer Themen korrespondiert ein auffälliger Rückgang bei den Leistungen in den elementaren Kulturtechniken. 

 

Schule muss sich wieder auf ihre Kernaufgaben besinnen

Die 2017 vorgestellte Grundschulstudie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) brachte Erschütterndes zutage: Bei den Viertklässlern erreichten in Deutsch nur 55 Prozent den Mindeststandard gegenüber 65 Prozent im Jahr 2011. Fast jedes zweite Kind in der vierten Grundschulklasse beherrscht demnach nicht die deutsche Rechtschreibung. Das fragwürdige »Schreiben nach Gehör« hat zu dieser Misere sicher beigetragen. In den weiterführenden Schulen setzt sich dieser Leistungsabfall fort, wie die VERA-Vergleichsstudie des IQB für Achtklässler ergeben hat. Der Verdacht liegt nahe, dass den Schulen die Einübung der Kulturtechniken weniger wichtig ist als die schicke Ausgestaltung der ‘gesellschaftlich relevanten’ Orchideen-Fächer. Was ist zu tun? Schule muss sich wieder auf ihre Kernaufgaben besinnen, die – seit es die Schule gibt – im Prinzip die gleichen geblieben sind.

Schule soll den jungen Menschen die Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die sie benötigen, um erfolgreich ins Berufsleben starten zu können. Gleichzeitig soll sie zur Persönlichkeitsbildung beitragen. Denn die geistige Auseinandersetzung mit dem Weltwissen kann den Menschen bereichern. Die verschiedenen Schulformen müssen sich dabei wieder mehr ihrer spezifischen Aufgaben annehmen. Die Gesamt- und Sekundarschule muss ihre Schüler optimal auf den Beruf vorbereiten und es endlich schaffen, die Zahl der Schulversager – jedes Jahr sind es rund 50000 Schüler – zu reduzieren. Das gelingt ihr nur, wenn sie sich strikt auf die elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen und das Verständnis der Arbeitswelt konzentriert. Diese Schulform muss aufhören, ‘Gymnasium light’ spielen zu wollen. 

 

Das Gymnasium ist keine Schule für alle

Auf der anderen Seite muss das Gymnasium wieder zu seinem alten humanistischen, wissenschaftspropädeutischen Anspruch zurückkehren, den es durch zu starke Berufsorientierung und durch den Anspruch, ‘Schule für alle’ zu sein, zu verlieren droht. Dabei kann das humboldtsche Unterrichtskonzept durchaus als Vorbild dienen. Im alten Gymnasium genossen im geistigen Kosmos des Wissens alle Fächer den gleichen Rang. Eine Fuge von Bach analysieren zu können war genauso wichtig, wie die Keplerschen Planetengesetze zu verstehen. Ein Bild von Rembrandt deuten zu können, besaß den gleichen Wert wie die Interpretation eines Gedichtes von Friedrich Hölderlin. Zweckfreiheit der Bildung bedeutet immer, sich dem Eigenwert des jeweiligen Gegenstandes auszuliefern. Ein Impromptu von Schubert am Klavier zu spielen hat seinen Zweck in sich, bedarf keiner weiteren äußeren Zweckbestimmung. Deshalb gehörten auch die ‘toten’ Sprachen Latein und Alt-Griechisch selbstverständlich zum Bildungskanon des Gymnasiums. Sie zu studieren war einfach ‘schön’. Sie zu lernen stand noch nicht unter dem Rechtfertigungszwang gesellschaftlicher Zweckbestimmung. 

 

Bildung als Wert an sich

Der amerikanische Ökonom Bryan Caplan bestreitet in seiner polemischen Schrift ‘The Case Against Education’, dass Schüler in der Schule überhaupt ein geistiges ‘Humankapital’ erwerben. Sie würden in ihrer schulischen Laufbahn nur demonstrieren, dass sie die sozialen Tugenden beherrschen, die der spätere Beruf verlangt: Fleiß, Durchhaltevermögen und Konformität. Dem ökonomischen Denken Caplans bleibt verschlossen, dass die Bereicherung der Persönlichkeit das eigentliche ‘Kapital’ ist, mit dem Gymnasiasten später in allen Berufen wuchern können. Wer gebildet ist, handelt bei beruflichen Entscheidungen variabler, vielleicht auch humaner. Von dem romantischen Dichter Jean Paul stammt das schöne Wort: »Was für die Zeit erzogen wird, das wird schlechter als die Zeit.« – Der Dichter wusste, dass eine gute Bildung immer einen geistigen Überschuss, eine kleine utopische Verheißung über das gesellschaftlich Notwendige hinaus enthalten muss. Anders gesagt: Was PISA nicht misst, ist die eigentliche Bildung. Da das verfügbare Wissen stetig zunimmt und sich die Wissenschaften immer weiter ausdifferenzieren, kann in der Schule nur noch ein kleiner Teil davon vermittelt werden. 

 

Exemplarisches Lernen

Zur Bändigung der Stoffmengen ist das exemplarische Lernen das ideale Lernprinzip. In Geschichte lernen die Schüler dabei die Analyse von Bild- und Textquellen so intensiv, dass sie das Verfahren auf die Zeugnisse aller Zeitepochen anwenden können. Die anderen Fächer verfahren ebenso. Die durch das exemplarische Lernen frei werdende Zeit sollte dafür verwendet werden, einen geistigen Orientierungsrahmen zu vermitteln, an den die Schüler erworbenes Wissen andocken können. Der Umgang mit digitaler Informationsbeschaffung im Unterricht hat hier nämlich große Defizite offenbart. Die Schüler ertrinken in der Informationsflut, weil ihnen das nötige Wissen zum Sichten und Bewerten fehlt. Auf sie trifft die Charakterisierung des Schülers in Goethes ‘Faust’ zu: »Dann hat er die Theile in seiner Hand, / Fehlt leider! nur das geistige Band«. 

 

Schule muss den Mut haben, auch gegen gesellschaftliche Trends zu erziehen

Wichtiger als die Abarbeitung einer Stofffülle ist deshalb die Schulung des Denkens, wichtiger als Detailwissen die Erschließung des geistigen Horizonts. Schule muss den Mut haben, auch gegen gesellschaftliche Trends zu erziehen: Gegen den unverbindlichen Smalltalk setzt sie die Zuhörkultur, gegen motorische Kurzatmigkeit die Konzentration, gegen die zappenden Bildläufe der Medien die Ruhe des Nachdenkens, gegen schwafelige Beliebigkeit die Genauigkeit im Denken und Sprechen. Vor allem muss das Gespräch als wertvolle Kulturtechnik bewahrt werden. Es ist nicht nur eine ideale Methode, individuelle Einsichten, die jeder Schüler auf seine spezielle Art gewonnen hat, mit anderen Schülern auszutauschen. Es hat auch eine erzieherische Funktion, weil es eine wichtige Grundlage unserer Demokratie stärkt: den vernunftgeleiteten Diskurs. All unser Bildungsbemühen sollte sich an dem großen Ziel ausrichten, »den Menschen zum Menschen zu begaben« (Heinz-Joachim Heydorn). Rainer Werner

 

Quelle: DIE WELT vom 17. Februar 2018, Rainer Werner.

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