Man kann es nur immer wieder begrüßen: Was in Baden-Württemberg Grün-Rot gesät hat, kann Grün-Schwarz jetzt ernten. Zum Schuljahr 2016/2017 wird ‘Wirtschaft und Berufsorientierung’ als Pflichtfach eingeführt.

Was bundesweit diskutiert wird, ob nämlich Wirtschaft als eigenständiges Schulfach zu etablieren sei, wird jetzt im ‘Ländle’ umgesetzt. Der entsprechende Bildungsplan sieht vor, dass die Schüler lernen, ökonomisches Verhalten unter sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsaspekten zu beurteilen.
Das Fach (ab Klasse 7 drei Stunden pro Woche in Gymnasien, ab Klasse 8 fünf Wochenstunden in Real- und Gemeinschaftsschulen) soll auch helfen, sich reflektiert und selbstverantwortlich für einen Beruf zu entscheiden. Die pädagogische Freiheit der Lehrer gewährleistet eine ‘neutrale und ausgewogene Gestaltung des Unterrichts’ und eine verantwortungsvolle Verwendung von geeignetem Unterrichtsmaterial.

NRW-Grün ist nicht BW-Grün

Sigrid Beer dagegen stellt als schulpolitische Sprecherin der NRW-Grünen in einem Pressegespräch am 2. Juni 2016 mit Prof. Dr. Kirsten Schlegel-Matthies von der Uni Paderborn fest, dass Konsum, Ernährung und Gesundheit fächerübergreifend vermittelt werden können.

Beer will also weiterhin kein neues, eigenständiges Schulfach für ökonomische Bildung, wie lehrer nrw das wünscht, sondern Kompetenzen interdisziplinär verteilen?(!) und vermitteln. Vor allem im Sachunterricht, in Deutsch und Mathematik (wahrscheinlich Prozentrechnen!?) gäbe es Anknüpfungspunkte.
In der Sekundarstufe I sei vor allem Hauswirtschaft als sogenanntes Ankerfach am Kompetenzaufbau beteiligt. Aber auch zahlreiche andere Unterrichtsfächer (doch nicht etwa die weiter unten folgenden?) leisteten wesentliche Beiträge.

 ‘Anwendungsbeispiele’

Im Musik- oder Kunstunterricht könne mit Blick auf den Bereich Konsum das Thema Urheberrecht behandelt werden.
»In welchen Fällen mache ich mich bei der Verbreitung oder dem Remixen eines Musiktitels strafbar? In welcher Form darf ich ein Foto oder eine Grafik weiterverbreiten bzw. verändern und teilen?«
Im Sozialkundeunterricht könne im Bereich Ernährung das Thema Milchkrise gefragt werden. »Welche Möglichkeiten habe ich als Verbraucher im Supermarkt, um für einen fairen Milchpreis zu sorgen? Wie kam es zu den niedrigen Milchpreisen und was bedeuten sie perspektivisch für die Bäuerinnen und Bauern?«

Im Biologieunterricht könne im Bereich Gesundheit die Glyphosat-Debatte thematisiert werden. »Welche Auswirkungen haben Herbizide auf das Ökosystem? Wie gelangen sie in den Organismus und welche Reaktionen können sie dort hervorrufen?«

lehrer nrw fordert eigenes Fach Wirtschaft

In Verbindung mit solchen Verbraucherfragen brauchen Schüler keinen Kunst-, Musik- oder Sozialkundeunterricht. In Fragen von Urheberrecht und Milchkrise schauen sie schlicht in einen Bildungsplan, wie Baden-Württemberg ihn hat, und finden unter 3.1.1.1 Konsument: »Die Schülerinnen und Schüler können mögliche Verhaltensweisen bei ihren Konsumentscheidungen erörtern und Interessen, Erwartungen und Handlungen in Tauschsituationen beurteilen. Sie können die Rolle von Konsumenten auf dem Gütermarkt bewerten und sowohl die Bedingungen des Gütermarktes als auch den rechtlichen Rahmen überprüfen.« Das hat ein Schüler auf dem Weg zum mündigen Bürger von Ökonomie zu erwarten.Und das Thema Glyphosat sollten wir auf jeden Fall dem Biologie- oder Chemielehrer überlassen. Die Entscheidung, ob man wirtschaftsfreundlich, ideologisch oder neutral das Thema auch in ‘Wirtschaft’ angeht, überlassen wir weder der WHO (die das Pflanzenschutzmittel als unbedenklich eingestuft hat), noch den Bundes- oder Landesministerien, den Bauern- und Winzerverbänden, sondern dem universitär qualifizierten Wirtschaftslehrer, der das Ziel eines mündigen Bürgers im Blick hat.Heribert Brabeck

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