Über den Wandel der politischen Kultur

Landesvorsitzende Brigitte Balbach

Zu den Highlights meiner persönlichen Erfahrungen im Landtag NRW zählen die häufigen Besuche im Plenum mit dem damaligen Vorsitzenden unseres Realschullehrerverbands, Ulrich Brambach, der als Vorsitzender des RLV häufig von CDU oder FDP zu schulpolitischen Anhörungen in den Landtag eingeladen wurde. Und ich durfte als Schriftleiterin und später als Stellvertreterin oft mit! Toll!

Die Themen aus dem Schulbereich waren vielfältig, interessant und weckten meinen Wunsch, dort ’mitreden’ zu dürfen. Unsere Meinung als Fachleute, die jahrelang vor der Klasse gestanden haben, war gefragt. Es war spannend – damals. Und erst dort habe ich die Leidenschaft unseres Vorsitzenden kennengelernt, der kein Blatt vor den Mund nahm und häufig auch lautstark für unsere Belange, also die der Lehrerinnen und Lehrer an den Realschulen in Nordrhein-Westfalen, Einsatz zeigte. Dort war ihm keine Auseinandersetzung zu scharf, kein Kritikpunkt vonseiten der Lehrerinnen und Lehrer, die er vertrat, zu viel, kein Streit vermeidbar! Sein Auftreten vor den Abgeordneten wäre es wert gewesen, in die Schulen live übertragen zu werden!

Auf Augenhöhe mitreden

Und ich habe zugehört, beobachtet, gelernt, wie es geht und gehen kann. Später hat mir das erleichtert, meinen eigenen Weg als Vorsitzende zu finden! Ich hatte bereits einen Background – als Schriftleiterin und als Stellvertreterin – auch im Landtag! Gelernt ist halt gelernt! Eine Weiterentwicklung kommt meist von allein – fast! Auf Feiern, Festen, sonstigen offiziellen, themenorientierten Veranstaltungen und auf Einladung verschiedener Fraktionen fanden auch außerhalb des Plenarsaals im Landtag und ’zu Hause’ bei den Parteien Treffen auch bei Bier oder Wein und Häppchen auf lockeren Abenden statt, auf denen man sich mit Landtagsabgeordneten und anderen Politikern unterschiedlicher Parteien treffen konnte und somit weitere Gelegenheiten nutzen durfte, gemeinsam ins Gespräch zu kommen, gemeinsame Ziele ins Auge zu fassen und sozusagen kommunikativ ’am Ball’ zu bleiben. Gemeinsames Trinken und Reden und kontroverses Diskutieren schweißen zusammen – das wissen wir alle. Das zentrale Gefühl für uns Eingeladene lautete immer wieder: Wir dürfen auf Augenhöhe mitreden! Wir werden gefragt! Wir werden ernst genommen, man interessiert sich für uns und unsere Belange! Super! Diese Art und Weise der Wertschätzung gab es im Landtag über Jahre hinweg, egal unter welcher Regierung! Ein Glücksfall für alle Beteiligten! Danke dafür!

Das sieht heute ganz anders aus. Die Abgeordneten laden auf Eigeninitiative zu einigen Treffen ein, möglichst allein oder mit quasi Gleichgesinnten oder themenorientiert quer durch die politische Ebene. Offene Gespräche im Vorfeld von Anhörungen sind rarer geworden. Gastabende im Landtag sind out. Von Feiern ist keine Rede mehr. Und das ist nicht erst während Corona so.

Schielen auf die nächste Koalition

Auch im Landtag haben sich die Dinge verändert. Schon zu Beginn ihrer Legislaturperiode werfen die Gewinner der Wahlen einen zunächst ’zarten’ Blick auf die mögliche nächste Koalition. Und während die Menschen ’vor dem Landtag’ darauf warten, dass Versprochenes umgesetzt wird, wie zum Beispiel die Lehrerbesoldung, wird schon sehr früh geschaut, mit wem denn die nächste Koalition bestritten werden könnte – was zur Folge hat, dass man als ’regierender’ Abgeordneter seine eigene Opposition im Landtag nicht als solche erkennen kann, sie steht einem irgendwie zu nah. Man verbrüdert sich in Anhörungen mit dem politischen Gegner, mit der Opposition, den Blick fest in eine vermeintliche Zukunft gerichtet! Das den eigenen Wählern Versprochene wird fast belanglos.

Auf diese Weise wird das Politikerwort quasi unseriös – man kann das erfahrungsgemäß nicht mehr für wahr und verlässlich erachten! Das liegt nicht an den Wählern! Das erledigen Regierungen meist selbst! Leider!

Was gilt da für die allgemeine Wählerschaft noch das gesprochene Wort eines Regierenden? Denn sind die Wahlen vorbei – beginnen die nächsten (nach der Wahl ist vor der Wahl!). So schnell kann ein Wähler kaum noch gucken!

Vergessene Versprechen

Statt das Versprochene umzusetzen (als Beispiel die Änderung und Erneuerung der Lehrerbesoldung), wenn auch abgewandelt, erinnern sich viele Politiker höchst ungern an ihre gemachten Versprechen (auch wenn diese verschriftlicht wurden, im Koalitionsvertrag stehen und Jahre danach in einem Brief zum Beispiel an lehrer nrw bestätigt wurden). Nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz oder Schreiben (von Laschet!) von gestern. Beispiele dafür finden Sie in fast jeder Legislaturperiode im aktuellen Koalitionsvertrag einer Regierung. Lesen Sie in Ruhe nach! Die Gründe dafür interessieren uns Wähler kaum, sie werden ja auch wenig kommuniziert. Geht es um Geld, ist meist der Finanzminister schuld – der arme Kerl!

In der Folge dieser politischen Demenz schielt man schon im ersten Jahr nach den Wahlen zur Opposition rüber und brüstet sich damit, sich mit den netten Kollegen prima zu verstehen. Schade! Für die Politik insgesamt. Denn eine klare leidenschaftliche Auseinandersetzung in der Sache, mit lauten, später zu entschuldigenden Worten würde uns allen gesellschaftlich gesehen total gut tun! (Das können Sie in alten Niederschriften des Landtags nachlesen!)

Hoffen auf die Demenz der Wähler

Es könnte etwas bewegt werden, wo bisher ein laues Lüftchen im Landtag weht – zumindest im Bildungsbereich! Und damit werden Zeit und Gelegenheit zur Veränderung verschenkt! Ohne Sinn, ohne Grund! Einfach so – weil wir uns alle doch so gut verstehen und eigentlich doch alle nur Gutes wollen – ist doch so, oder?

Der Schaden ist jedoch verursacht, Versprechen gebrochen, die Wähler verunsichert und verärgert. Kommen Neuwahlen, suchen alle ’Täter’ neues Spiel, neues Glück und hoffen auf die Demenz ihrer Wähler. Hat der Landtag gar nichts mehr an seine Lobbyisten zu verkaufen, machen sich einige Abgeordnete schon während der laufenden Legislaturperiode vorzeitig vom Acker und steigen irgendwo anders wie Phönix aus der Asche! Muss halt jeder sehen, wo er bleibt! Sorry! Ja, klar, ist halt gerade eine gute Gelegenheit, die vielleicht nicht wiederkommt. Da hat man als Wähler ja voll Verständnis, oder? Wahrhaftigkeit muss man da – um im Bild zu bleiben – mit der Lupe suchen.

Wir bleiben lautstark am Ball

Dumm nur, dass das Versprechen zur Veränderung der Lehrerbesoldung schriftlich an uns gegangen ist. Die Hoffnung auf ein devotes Schweigen ist hier also vergeblich! Wir werden weiterhin lautstark am Ball bleiben! Und die Hoffnung auf den Beginn einer Besoldungsveränderung bleibt unverändert und stark, wie es sich für eine große Hoffnung gehört. Sie lässt sich nicht verbittern. Sie bleibt einfach bestehen, bis ihr Tag kommt.

Bei einer solchen enttäuschenden Vorgehensweise wird das Politikerwort jedoch zum Geschwätz degradiert, ohne dass dies jemals die Absicht war, von keiner Seite! Was gilt da für die Wählerschaft insgesamt noch das gesprochene oder geschriebene Wort?! Denn sind die Wahlen vorbei, beginnen die nächsten schon. Der Landtagsabgeordnete sucht sehr früh schon nach künftigen Mehrheiten nach seiner aktuellen Legislaturperiode. Er arbeitet an einer Vision für die Zukunft. Das ist grundsätzlich nicht falsch, kann aber erst Wirklichkeit werden, wenn man als Abgeordneter auch bereit ist, in der Gegenwart zu agieren und Versprechungen zunächst einmal wahr zu machen, bevor man die Zukunft in den Blick nimmt.

Erst die Veränderung, dann die Vision

Und da sitzt meiner Meinung nach der Haken: Erst muss die Veränderung erfolgen, dann sind neue Visionen angesagt. Erst wenn die gelebte Wirklichkeit für Schüler und Lehrer den Versprechungen folgt, können neue Visionen in Politikern wachsen. Es gilt auch für sie, einen Schritt nach dem anderen zu tun – und nicht alle Schritte gleichzeitig zu erwarten und umsetzen zu wollen. Das geht an jeder Realität vorbei!

Brigitte Balbach

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