Gastkommentar: Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, äußert sich kritisch zur Praxis der fehlenden Vor- und Nachqualifizierung von Seiten- und Quereinsteigern in einigen Bundesländern.

Um die Jahreswende sorgte die über die deutsche Presseagentur verbreitete Meldung, ich hätte den Einsatz unzureichend qualifizierter Quereinsteiger als Verbrechen an den Kindern bezeichnet, für ein großes Medienecho, aber auch für Kritik von seit Jahren an Schulen tätigen Quer- und Seiteneinsteigern, die sich zu Unrecht an den Pranger gestellt sahen. Wer allerdings mein vollständiges Interview in der ’Welt’ nachlas, leider wieder einmal versteckt hinter einer Paywall, hat erkannt, dass die Aussage sehr klar differenziert war. Harte Kritik geübt habe ich an der Praxis der Bundesländer, die wie etwa Berlin Seiteneinsteiger nach einem ein- oder zweiwöchigen Crashkurs mit fast vollem Stundendeputat an die Schulen schicken und ihnen überdies eine umfängliche berufsbegleitende Nachqualifikation vorenthalten.

Opfer verfehlter Bildungspolitik

Verbrecherisch in diesem Sinne ist das Handeln der dortigen Schul- und Bildungsbehörden und nicht der Unterricht der unvorbereitet in die Schulen geschickten Seiteneinsteiger, die ebenso wie die Kinder Opfer und nicht Verursacher solcher Bildungspolitik sind. Verbrechen wird in den einschlägigen Wörterbüchern in doppeltem Sinne definiert, erstens formaljuristisch als eine Tat, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet wird, und zweitens in materieller, moralischer Bedeutung, nämlich als verantwortungsloses Handeln. Genau dies liegt aber in Berlin oder auch Brandenburg und Thüringen vor.

Dabei können Quer- und Seiteneinsteiger durchaus eine Bereicherung für die Schulen sein. Voraussetzung dafür ist aber, dass nach Abschluss eines Nichtlehramtsstudiums etwa bei Quereinsteigern ein vollständiges Referendariat abgeleistet wird und dass die studierten Fächer ’schulfächernah’ sind. Bei Seiteneinsteigern, die eine kürzere Vorbereitungsphase durchlaufen, muss ergänzend eine umfassende, am besten zweijährige berufsbegleitende Nachqualifizierungsphase mit Prüfungen durchlaufen werden.

Auf den Webseiten der Schulministerien in allen Bundesländern steht das auch so oder so ähnlich. In der Praxis allerdings tauchen viele Länder wegen des Lehrermangels unter den selbst gesetzten Qualitätsstandards durch. Grundsätzlich gilt: Je größer der Lehrermangel, desto größer die Absenkung der Qualitätsstandards. Wir reden da übrigens nicht von Vertretungslehrkräften, sondern von Personen, die eine unbefristete Beschäftigung anstreben. Bei Letzteren reicht derzeit auch schon mal ein gerade abgelegtes Abitur.

Geringschätzung des Lehrerberufs

Das Bild, das in der Öffentlichkeit auf diese Weise vermittelt wird, ist fatal. Es wird der Eindruck erweckt, dass Lehrertätigkeit keiner besonderer Vorqualifikation bedarf, dass die Lehrerbildung letztendlich verzichtbar ist. Eine bodenlose Geringschätzung unserer Berufsprofessionalität!

Was ist zu tun? Kurzfristig wird man ohne Notmaßnahmen nicht auskommen. An einer ausreichenden Nachqualifikation von Seiten- und Quereinsteigern führt aber auch da kein Weg vorbei. Langfristig geht es darum, den ständigen Wechsel zwischen Lehrermangel und Lehrerarbeitslosigkeit endlich in den Griff zu bekommen. Und das geht nur dadurch, indem in Zeiten des Überangebots Einstellungskorridore offengehalten und über Bedarf eingestellt wird, damit man in den folgenden Zeiten des Mangels entsprechende Unterrichtsreserven hat. Das ist bislang versäumt worden.

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