Anhörungen im Landtag sind immer auch eine Chance, zu einer gemeinsamen Verständigung miteinander zu einem bestimmten Thema (Gesetzesvorlage) zu kommen. Dies gelingt eher selten, da jede Fraktion eigene Kandidaten zu dieser Veranstaltung einladen darf und diese selbstverständlich so ausgewählt werden, dass sie auch möglichst die Meinung der Fraktion vertreten – und die ist zwangläufig in der Parteienlandschaft nicht einheitlich. Das ist vom Grundsatz her eher ein Gewinn für die Demokratie. Denn bekanntlich schärfen sich Meinungen am besten in der Diskussion mit Andersdenkenden. Die eigene Sichtweise kommt auf den Prüfstand und gewinnt an Festigkeit oder erhält Korrekturen oder wird gar verworfen.

Insofern finde ich Auseinandersetzungen im Landtag immer sehr interessant und weiterführend, weil sich eigene Denkweisen bewähren müssen. Andernfalls muss man umdenken, oft neu denken, weil der Blickwinkel des jeweiligen Redners immer anders ist und seine Inhalte auf die Tauglichkeit hin von den Zuhörern geprüft werden. Als Experte befindet man sich dabei ununterbrochen im sprachlichen Diskurs, oft über Stunden hinweg, was die ganze Person herausfordert und den Abgeordneten deutlich macht, wofür jeder Geladene steht. Nichts finde ich spannender! Die Lust am sprachlichen Gefecht ist eine hohe Kunst, die es immer wieder neu zu erlernen gilt! Das hört nie auf!

Kritischer Blick auf Bildung

Bei diesem Phänomen der Divergenz und Heterogenität der Referenten zum Thema ‘Lehrerausbildung’ in der Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag im Februar 2016 ist es umso erstaunlicher, dass während der vielen Stunden intensiver Auseinandersetzung völlig unterschiedlicher Redner aus vielfältigen gesellschaftlichen Bereichen, darunter zahlreiche Hochschulprofessoren, eine deutliche Mehrheit der Experten die Entwicklung des Begriffs Bildung im Bereich der Lehrerausbildung sehr kritisch sah. Das ist bemerkenswert und auch überraschend. Die Verschulung der BA/MA-Ausbildung wurde von vielen als negativ bewertet; darüber hinaus vermissten einige die Lust am Lernen im Studium, die fehlende Persönlichkeitsentwicklung wurde angeprangert und die Reduktion der Fachwissenschaften deutlich bemängelt.

Die Experten beschworen seitens der Hochschulen das Zusammenspiel von Lehre und Forschung, das Ziel eines mündigen Bürgers und die Erziehung zur Demokratie. Außerdem widersprachen zahlreiche Fachleute einem pragmatischen Ansatz in der Lehrerausbildung, der sich lediglich darauf gründet, das zu lehren, was gesellschaftliches Erfordernis ist. Kurz: Es wurde heftig um den Begriff Bildung gerungen. Ich habe unter anderem darauf hingewiesen, dass mir nicht klar wäre, warum wir uns alle bei der Gestaltung unserer eigenen Bildungsbasis, die ja heute für viele Jahrzehnte eine gute Grundlage für unser Leben bilden muss, zeitlich so beeilen müssten  – obwohl wir wüssten, dass wir alle demografisch gesehen immer älter würden?! Bildung braucht Zeit! – Das war mein Mantra.

Missachtung der Fachleitungen

Auf völliges Unverständnis stieß letztlich die Missachtung der Fachleitungen, die die wichtige Aufgabe der Lehrerbildung zu schultern haben. Die Absenkung ihrer Anrechnungsstunden wurde als kontraproduktiv beschrieben, fehlende Wertschätzung derjenigen, die diese neue Ausbildung umsetzen müssen, wurde diagnostiziert, und die Landesregierung wurde deutlich aufgefordert, die Gesetzesvorlage insgesamt zu überarbeiten.

Besonders angegriffen wurde der Versuch, die Vorgehensweise der Landesregierung mit dem Haushalt zu begründen. Nach dem Motto: Was im Haushalt vorgegeben ist, muss beachtet werden. Insider fanden das sogar witzig, denn seit fast drei Jahrzehnten ist die Vorgabe des Haushalts an dieser Stelle nicht eingehalten, ja bewusst ignoriert worden von den Landesregierungen. Der Haushalt, so trug ich vor, muss sich grundsätzlich an den Notwendigkeiten orientieren und nicht umgekehrt. Aber da sagte ich eigentlich nichts Neues. Dachte ich.

Rarität im politischen Diskurs

Dieses Zusammenspiel einer deutlichen Mehrheit aller Experten ist eine Seltenheit, eine Rarität, die im Landtag nicht so oft vorkommt. Es war beeindruckend und zwar so sehr, dass einige wenige Redner sich sogar darum bemühten, sich im Sinne der Landesregierung von diesem Mehrheitsvotum zu distanzieren!Jetzt kommt es darauf an: Wie verhält sich die Landesregierung, was tut das Ministerium? Wird es wie gefordert zu einer Korrektur der Gesetzesvorlage kommen? Oder bleibt alles wie gehabt?! Ein Vertreter des MSW soll auf einer Veranstaltung vor der Anhörung gesagt haben, es würde den Verbänden noch leidtun, sich für die Fachleitungen eingesetzt zu haben, denn jetzt käme es noch schlimmer.Wir werden erleben, ob die Landesregierung die Experten anhört, um ihr Wissen und ihre Meinung tatsächlich in ihre eigenen Überlegungen einzubeziehen, oder ob diese Anhörungen nur Alibiveranstaltungen sind, die keinerlei weitere Bedeutung für die Absichten der Legislative haben. Warten wir es ab – im April wird die Entscheidung fallen. Wir glauben an den Wert der Demokratie!Brigitte Balbach

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