Im Zuge der Schulstreiks, mit denen die schwedische Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg internationale Bekanntheit erlangt hat, kommt es auch in Deutschland immer häufiger zu Schülerdemos – bevorzugt während der Unterrichtszeit. Für die Schulen stellt sich weniger die Frage, wie das politisch, sondern wie das rechtlich zu bewerten ist. Eine Einordnung.
Anstatt für die Zukunft zu lernen, wollen Schüler zurzeit lehren, worauf es in der Zukunft ankommt: Zu Tausenden demonstrieren junge Menschen in unterschiedlichsten Ländern auf dem Globus für eine striktere Klimapolitik der Erwachsenen. Die Proteste werden von der Politik wahr- und ernstgenommen; sie führen sogar dazu, dass angesichts der gezeigten jugendlichen Reife die alte Forderung nach der Absenkung des Wahlalters auf sechzehn Jahre wiederaufflammt. Die Demos finden vorwiegend freitags statt unter dem Motto ‘Youth for climate’ oder ‘Friday for Future’. Egal ob freitags oder an einem anderen Wochentag, der persönliche Einsatz und das politische Engagement von Jugendlichen für ein hehres Ziel ist doch an sich zu begrüßen, werden die meisten Lehrkräfte dabei denken. Begrüßen ja, aber inwieweit unterstützen? Denn das Besondere ist, dass die Demonstrationen, landläufig auch ’Schülerstreiks’ genannt, bewusst während der Unterrichtszeit stattfinden, das heißt Tausende von Schülern schwänzen kollektiv den Unterricht. Ob dieser Umstand stets ein Beleg dafür ist, dass die Jugend bereit ist, für ihre Ziele auch ganz besondere Opfer zu bringen, mag dahingestellt bleiben. Hand aufs Herz: Der eine oder andere junge Demonstrant würde das Opfern wertvoller Freizeitstunden anstelle des Unterrichts sicher als schmerzlicher betrachten.
Ist Demonstrieren während der Unterrichtszeiten erlaubt?
Nichtsdestotrotz stellt sich für die wesentlichen Beteiligten – Schüler, Lehrer, Schulleitungen und Eltern – die Frage nach der rechtlichen Bewertung. Allem voran, ob die Schülerschaft während der Unterrichtszeiten demonstrieren darf.
Auf das im Grundgesetz verankerte Streikrecht können sich die Schülerinnen und Schüler, vorab bemerkt, bei einem Protest beispielsweise gegen mangelnde Unterstützung des Pariser Klimaabkommens und ähnlichem nicht berufen. Denn Artikel 9 Grundgesetz (GG) schützt nur den kollektiven Arbeitskampf von Arbeitnehmern gegenüber Arbeitgebern.
Ginge es danach, wie sich die Kultusministerkonferenz bereits vor über vierzig Jahren dazu in ihrer Positionierung ’Zur Stellung des Schülers in der Schule’ geäußert hat, käme eine Demonstration während der Unterrichtszeit generell nicht in Betracht: »Das Demonstrationsrecht kann in der unterrichtsfreien Zeit ausgeübt werden.« Nur – diese Stellungnahme hat keine Rechtsverbindlichkeit.
Die Schulpflicht wiegt schwerer
Vielmehr ist in dieser Fallgestaltung das Grundrecht aus Artikel 8 Absatz 1 GG, sich versammeln und demonstrieren zu dürfen, gegen Artikel 7 GG abzuwägen. Aus Artikel 7 GG folgen der staatliche Erziehungsauftrag und daraus die allgemeine Schulpflicht, §?43 Absatz 1 Schulgesetz NRW (SchulG). Je schwerer das Demo-Ziel umzusetzen ist, desto eher wird man das Engagement der Schüler zulasten des Unterrichts gehen lassen. So wäre eine sogenannte Spontan-Demo zulässig, wenn ihr Ziel zu einer späteren Zeit nach dem Unterricht seinen Sinn verlieren würde. Dies trifft hier nicht zu, der an sich edle Kampf ums Klima kann auch noch nach der Schule geführt werden. Daher überwiegt die Schulpflicht.
Anders ist die Lage dann, wenn der Weg zur Teilnahme an einer Veranstaltung durch Beurlaubung vom Unterricht auf Antrag und nach Entscheidung der Schulleitung geebnet ist. In Einzelfällen und unter entsprechenden Voraussetzungen könnte dies nach §?43 Absatz 4 SchulG und dem einschlägigen Erlass ermöglicht werden.
Liegt keine Beurlaubung vor, stellt die Teilnahme an einer Demonstration während der Unterrichtszeit unentschuldigtes Fehlen der beziehungsweise des betreffenden Schulpflichtigen dar. Wer dadurch sogar eine Klassenarbeit versäumt, sollte sich darüber klar sein, dass er die Leistung aus einem von ihm beziehungsweise ihr zu vertretenden Grund nicht erbringt. Eine auf diese Weise verweigerte Leistung wird wie eine ungenügende Leistung bewertet (§?48 Absatz 5 SchulG).
Märtyrer-Rolle für Demonstranten?
Aber auch wer einfache Unterrichtszeit versäumt, kann seinen Preis bezahlen – allerdings ist hier die Lehrkraft im Zugzwang, sich zunächst eine durchgreifende Reaktion auszudenken, die insbesondere auch pädagogischen Ansprüchen genügt. Die Ordnungsmaßnahme des Verweises für die unentschuldigt Demonstrierenden könnte gegebenenfalls nur die Solidarisierung der Betroffenen auslösen. Unter Umständen werden diese sich geradezu sogar in einer Art ’Märtyrer’-Rolle sonnen können. Noch weniger ist an den vorübergehenden Ausschluss vom Unterricht als Sanktion zu denken. Denn es wird in den meisten Fällen wohl effektlos sein, jemanden ausgerechnet damit zu bestrafen, was ihm letztlich vorgeworfen wird, das heißt die mangelnde Teilnahme am Unterricht.
Weitaus mehr noch ist von Seiten einer Schulleitung zu beachten, wenn sie inspiriert durch das Anliegen der Schülerinnen und Schüler selbst eine spezielle Schulveranstaltung zulässt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des aktuell besonders diskutierten Gedankens der Stärkung des Demokratieverständnisses von Schülerinnen und Schülern könnte sich dies aufdrängen. Und tatsächlich haben auch bereits an einigen Schulen nachmittägliche Diskussionsrunden stattgefunden – im Endeffekt haben hier Schülerinnen und Schüler zeigen können, dass sie sich auch dann für das Klima einsetzen, wenn sie dafür zusätzliche Zeit aufbringen müssen. Bei schulischen Veranstaltungen ist jedoch darauf zu achten, dass nicht der Eindruck entsteht, eine Schule setze sich einseitig zugunsten oder zu Ungunsten bestimmter gesellschaftlicher oder politischer Gruppen oder Interessenverbände ein. Es gilt, die Unparteilichkeit der Schule zu wahren, wie das Schulministerium NRW extra in seinem Bildungsportal betont. Daneben ist an die Gewährleistung der Aufsicht der Schülerinnen und Schüler zu denken, was angesichts der Sicherheitslage bei einer Demonstration nicht ohne Risiko sein wird.
Unterricht verlegen?
Es wird klar, dass es für Lehrkräfte und Schulleitungen nicht immer einfach ist, politisches Engagement der Schülerschaft wertzuschätzen. Eine an sich naheliegende, aber oftmals nachvollziehbar unpopuläre Möglichkeit könnte dabei auch gewählt werden: Bietet es sich vertretbar an, so können Unterrichtszeiten im Einzelfall so verlegt werden, dass Schüler an Demos teilnehmen können, ohne dass überhaupt Unterricht ausfallen muss.
Zu kurz gegriffen ist dagegen wohl, sich aus dem Gedanken heraus mit der Thematik gar nicht auseinanderzusetzen, dass die Klima-Demos ja vermutlich ohnehin früher oder später einschlafen werden. Denn wer sagt nicht, dass junge Menschen nicht bald auch neue Demos und Aktionen auf die Beine stellen, gerade im Zeitalter rasanter Mobilisierung von Personengruppen über Internet und Smartphone?
Es könnte allenfalls sein, dass sich dann anderweitige Rechtsfragen stellen, so wie beim Schülerprotest gegen ’Mama-Taxis’ vor einer Schule in Daglfing – diese finden nicht während, sondern sogar vor dem Unterricht statt.
Christopher Lange
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