Die neue Schulministerin Yvonne Gebauer hat von der rot-grünen Vorgängerregierung viele ungelöste Probleme geerbt. Lehrermangel, ungleiche Rahmenbedingungen, Fehlentwicklungen bei Inklusion und Integration sind da nur einige Beispiele. Wie Gebauer die Probleme lösen und wo sie eigene Akzente setzen will, erläutert die Ministerin im großen Interview mit lehrer nrw
lehrer nrw: Sie sind von der Oppositionspolitikerin zur maßgeblichen Gestalterin der Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen geworden. Was hat dieser Wechsel mit sich gebracht?
Yvonne Gebauer: Eine große Veränderung. Ich habe jetzt die Möglichkeit, gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Schulministerium die Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen zu gestalten. Ich gehe die neue Aufgabe mit dem nötigen Respekt an. Die Menschen in NRW schauen mehr denn je auf die Schulpolitik und erwarten Antworten auf die vielen offenen Fragen. Die Schulzeitverkürzung und die Inklusion sind nur zwei Beispiele, bei denen wir jetzt gut überlegt Schritt für Schritt vorankommen wollen. Im Mittelpunkt stehen für mich dabei immer die Qualität und die Frage: Was ist gut für unsere Schülerinnen und Schüler?
Sie haben eine Kampagne angekündigt, um mehr junge Menschen für den Lehrerberuf zu begeistern. Wie soll die aussehen?
Die Kampagne wird zurzeit erarbeitet. Der Lehrermangel ist eines der gravierendsten Probleme, die ich bei Amtsantritt vorgefunden habe. Deshalb werden wir im nächsten Jahr eine breit angelegte Werbekampagne für den Lehrerberuf starten. Dabei werden wir auch ganz gezielt die sozialen Medien nutzen, um junge Menschen direkt anzusprechen. Wir wollen deutlich machen, dass der Lehrerberuf eine Berufung ist, ein verantwortungsvoller Beruf mit großen pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten. Und für beste Bildung brauchen wir die besten Köpfe. Die Kampagne soll aber auch deutlich machen, dass der Lehrerberuf grundsätzlich mehr Wertschätzung verdient.
Mehr Wertschätzung für den Lehrerberuf ist das eine. Eine adäquate Bezahlung ist das andere. Die wirkungsvollste Maßnahme zur Attraktivitätssteigerung des Lehrerberufs wäre eine Eingangsbesoldung nach A?13 für alle regulär ausgebildeten Lehrkräfte. Wie stehen hier die Chancen?
Die neue Landesregierung will die Gerechtigkeitslücke bei der Besoldung schließen. Die stellvertretenden Schulleiterinnen und Schulleiter sind von der Vorgängerregierung bei der Besoldungsanhebung der Schulleitungen übergangen wurden. Diese Ungerechtigkeit werden wir beenden. Außerdem müssen wir uns auch mit der Besoldung der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer befassen. Wir wollen die besoldungsrechtlichen Konsequenzen aus der Reform der Lehrerausbildung von 2009 und der damit verbundenen Verlängerung der Grundschullehrerausbildung ziehen.
Die rot-grüne Vorgängerregierung hat aus ideologischen Gründen Lehrkräfte insbesondere an Schulen des längeren gemeinsamen Lernens mit einer besseren Schüler-Lehrer-Relation und einer geringeren Unterrichtsverpflichtung bevorzugt. Werden Sie diese Ungerechtigkeit beenden?
Ich stehe für Schulvielfalt. Mein Ziel ist, die Rahmenbedingungen an allen Schulen zu verbessern. Die neue Landesregierung ist angetreten, um die Benachteiligungen einzelner Schulformen in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt abzubauen.
Im Inklusionsprozess haben Sie mit dem Aussetzen der Mindestgrößenverordnung für Förderschulen ein wichtiges Signal gesetzt. Welche weiteren Schritte planen Sie, um bessere Rahmenbedingungen für die Inklusion zu schaffen?
Nordrhein-Westfalen braucht bei der Inklusion einen Kurswechsel. Die Vorgängerregierung hat bei der Umsetzung zu sehr auf die Inklusionsquote gesetzt. Diesen Fehler werden wir korrigieren. Die Landesregierung steht zur Inklusion, setzt aber die Qualität bei der Umsetzung an erste Stelle. Wir werden Ressourcen für die Inklusion stärker bündeln, um mehr Qualität als bisher zu gewährleisten. Schwerpunktschulen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Ich möchte die Inklusion in geordnete Bahnen lenken. Deshalb machen wir aktuell eine Bestandsaufnahme der schulischen Inklusion, auf deren Grundlage wir dann ein fundiertes Konzept für die weitere Umsetzung vorlegen werden.
In Hagen und Mülheim haben die Kommunen mit Billigung der jeweiligen Bezirksregierung reine Ausländerschulen zur Beschulung von Zuwandererkindern eingerichtet. Laufen solche Schul-Ghettos nicht dem Gedanken der Integration zuwider?
Ja, ich finde dieses Modell auch hochproblematisch. Integration braucht den Kontakt und den Austausch. Der ist in einem separaten Schulgebäude nicht gegeben, auch wenn es sich formal um einen Teilstandort einer anderen Schule handelt. Es ist ausdrücklich eine zeitlich befristete Ausnahme, die der besonderen Situation des knappen Schulraums in Hagen geschuldet ist.
Im Koalitionsvertrag hat die schwarz-gelbe Landesregierung angekündigt, dass das Landesinstitut für Schule ‘QUA-LiS’ auf den Prüfstand kommt. Was ist hier konkret geplant?
Wir werden mit den Kolleginnen und Kollegen in Soest eine Aufgabenkritik vornehmen und prüfen, welche neuen Schwerpunkte gesetzt werden können und müssen, um die Schulen zielgerichtet und bestmöglich zu unterstützen.
lehrer nrw begrüßt sehr, dass die Einführung des Faches Wirtschaft geplant ist. Hierfür hat unser Verband lange gekämpft und den erfolgreichen Modellversuch ‘Wirtschaft an Realschulen’ intensiv begleitet. Was werden Ihre nächsten Schritte zur Einführung des Fachs sein?
In den kommenden Monaten werden wir einen Zeitplan für die Einführung vorlegen. Die Umsetzung könnte dann Schritt für Schritt zur Mitte der Legislaturperiode beginnen. Dabei werden wir auf bestehende Ansätze wie zum Beispiel den von Ihnen genannten erfolgreichen Schulversuch ‘Wirtschaft an Realschulen’ zurückgreifen und auch Expertenrat von außen einholen. Wir wollen Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, ein selbstbestimmtes Leben in unserer Gesellschaft zu führen. Die ökonomische Bildung ist ein wichtiger Teil der Allgemeinbildung. Deshalb gehört das Thema auch auf den Stundenplan.
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