Teufelszeug oder Heilsbringer? Zu keinem schulischen Thema sind die Meinungen so kontrovers wie bei der Digitalisierung. Bereichern digitale Medien den Unterricht oder unterwandern sie ihn? Eröffnen sie neue Wege zum Lernerfolg, oder sind sie das Trojanische Pferd der IT-Lobby?

Die neue Bundesregierung hat klare Prioritäten gesetzt. Das Land braucht eine ‘Digitale Bildungsoffensive’, heißt es im Koalitionsvertrag. ‘Digitalpakt#D’ heißt das Ganze im Twitter-Sprech. Fünf Milliarden Euro will die Große Koalition dafür locker machen. Auch die NRW-Landesregierung will den Digitalisierungs-Zug auf keinen Fall verpassen. Kinder sollen schon im Grundschulalter ans Programmieren herangeführt werden. So steht es im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Die Schulen zwischen Rhein und Weser sollen ausreichend mit Tablets, EBooks und anderen digitalen Endgeräten ausgestattet werden. Zudem soll es eine Fortbildungsoffensive für Lehrerinnen und Lehrer geben. 

 

Zwei Lager in der Lehrerschaft

Denn während auf Schülerseite schon die zweite Generation von ‘digital natives’ heranwächst, ist das Bild auf Lehrerseite zwiespältig: Auf der einen Seite gibt es die technikaffinen Kollegen, die digitale Medien wie selbstverständlich im Unterricht einsetzen und nebenher noch einen Youtube-Kanal mit Mathe-Erklärvideos betreiben. Auf der anderen Seite sind die Skeptiker, die Google, Wikipedia & Co. misstrauen und Datenkraken kein Einfallstor öffnen möchten – oder angesichts des ohnehin schon schwierigen Schulalltags vielleicht auch schlicht keine Lust haben, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. 

Unabhängig von der persönlichen Einstellung der Lehrkräfte, glaubt Frank Görgens, dass viele Kolleginnen und Kollegen – nicht nur an seiner Schule – schlecht auf die Anforderungen digitaler Bildung vorbereitet sind. Görgens leitet eine Gesamtschule in Köln, die dem Thema durchaus offen gegenüber steht. Auf der Schul-Homepage ist sogar ein Konzept zur Digitalisierung zu finden. Die Ausstattung ist allerdings bescheiden: An Görgens‘ Schule gibt es zwei PC-Räume, in jedem Klassenraum einen Internet-Rechner, dazu insgesamt vier Laptops mit Beamer. Das war’s. Leistungsfähiges WLAN? Fehlanzeige. Damit ist an Bring your own device erstmal nicht zu denken.

 

Investitionsbedarf: 2,8 Milliarden Euro

Die digitale Ausstattung der Schule in Nordrhein-Westfalen ist – wohlwollend formuliert – ausbaufähig. Der Investitionsbedarf, um alle Schulen in Deutschland mit einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur auszurüsten, beträgt 2,8 Milliarden Euro. Jährlich, wohlgemerkt. Diese Zahl nennt die Bertelsmann-Stiftung in einer Ende 2017 veröffentlichten Studie. Für schnelles WLAN, technischen Support, Endgeräte für die Schüler, Präsentationstechnik für Klassenräume sowie digitale Unterrichtsmaterialien müssten für eine Grundschule im Schnitt jährlich 45600 Euro ausgegeben werden und für eine weiterführende Schule pro Jahr 301500 Euro.

 

Ideologische Gräben

Was die Abwägung der Chancen und Risiken digitaler Medien angeht, tun sich fast schon ideologische Gräben auf. Wenig überraschend, setzt sich Bertelsmann an die Spitze der Bewegung: »Schule nutzt das pädagogische Potenzial des digitalen Wandels noch nicht«, wird Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, in der ‘Zeit’ zitiert. Digitale Medien könnten dabei helfen, »pädagogische Herausforderungen wie Inklusion, Ganztag oder die Förderung lernschwacher Schüler zu bewältigen«. Nicht nur zwischen den Zeilen nimmt Dräger im Zeit-Artikel die Lehrer in die Pflicht. Digitalisierung dürfe ihnen nicht nur »als zusätzliche Belastung erscheinen, sondern sollte Teil der Lösung für ihre pädagogischen Herausforderungen sein«. 

Zu den schärfsten Kritikern des Digitalisierungs-Wahns zählt Prof. Dr. Ralf Lankau. »Digitalisierte Bücher, Arbeitsblätter oder Filme sind nur die technische Codierung, um Inhalte zu fixieren bzw. zu speichern. Sie bringen (…) in der Schule keinerlei Vorteil. Es gibt weder fachliche noch fachdidaktische noch pädagogische Notwendigkeiten, digitale Medien und Lehrmittel zwingend im Unterricht einzusetzen. Alles, was digitale Medien leisten, können traditionelle Medien ebenso, wenn nicht besser«, so der Bildungswissenschaftler in einem Beitrag für lehrer nrw’ (Ausgabe 4/2015)

 

Digitale Medien sind kein Nürnberger Trichter

Auch Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, warnt vor ungezügelter IT-Euphorie: »Die Mehrzahl der bisher vorliegenden Studien zeigt keine bzw. eher geringe Effekte des verstärkten Einsatzes von Computern und digitalen Medien im Unterricht, was den Lernerfolg betrifft. Wir müssen unsere Schüler fit machen im souveränen Umgang mit digitalen Medien, diese sind aber nicht der Nürnberger Trichter, der zu einer Revolutionierung des Lernens führen wird«, betont der DL-Präsident. Ein Erklärvideo aus dem Internet könne niemals die Lehrkraft und der virtuelle Austausch über soziale Netzwerke könne nie den persönlichen Kontakt im Unterricht vollständig ersetzen.

 

Jochen Smets

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Metastudie

Metastudie:
Erfolgreicher Unterricht ist digital – und analog

Schülerinnen und Schüler erzielen in Naturwissenschaften und Mathematik bessere Leistungen und sind motivierter, wenn im Unterricht digitale Medien eingesetzt werden. Allerdings hängt der Erfolg von der Gestaltung der Mediennutzung ab. Er ist größer, wenn Kinder und Jugendliche nicht allein lernen und wenn weiterhin auch traditionelles Lernmaterial verwendet wird. Dies zeigt eine der größten Untersuchungen zum Thema. Dazu hat das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) 79 Studien ausgewertet, die seit 2000 weltweit erschienen sind. Die wesentlichen Aspekte der Metastudie:

  • Kinder und Jugendliche profitieren von digitalen Unterrichtsmedien stärker, wenn sie nicht allein, sondern in Paaren arbeiten. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass Computerprogramme in besonderer Weise Gespräche zwischen ihnen anregen, die das Lernen fördern.
  • Schülerinnen und Schüler erzielen bessere Leistungen, wenn sie bei der Arbeit mit Digitalmaterial von Lehrkräften begleitet werden. Arbeiten sie vollkommen selbstständig mit Computerprogrammen, ist deren positiver Effekt gering.
  • Die erwünschte Wirkung digitaler Medien ist größer, wenn sie klassische Unterrichtsmaterialien nicht vollständig ersetzen. Erfolgversprechend ist, sie ergänzend zu analogen Methoden zu verwenden.
  • Digitale Medien steigern die Leistungen stärker, wenn sie von professionell geschulten Lehrerinnen und Lehrern in den Unterricht integriert werden. 

»Digitale Medien sollten im Unterricht mit Augenmaß eingebaut werden«, sagt Prof. Kristina Reiss, Leiterin des ZIB und Dekanin der TUM School of Education. »Es würde über das Ziel hinaus schießen, bewährte analoge Formate zu verbannen. Außerdem sehen wir, dass auch sehr gut gemachte Lernprogramme nicht die Lehrerinnen und Lehrer ersetzen können.«

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