Die schulische Integration von Flüchtlingskindern ist eine enorme Herausforderung für das nordrhein-westfälische Schulsystem. Sie kann gelingen – aber sie kann auch scheitern. Das zeigen zwei Praxisbeispiele aus Schulen in Nordrhein-Westfalen.

Das Drehtürmodell – schrittweise Integration

Die igis Köln bietet bereits im zweiten Schuljahr ihres Bestehens eine Seiteneinsteigerklasse an, die mit Beginn des aktuellen Schuljahres gestartet ist. »Bei der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation und in der Situation der Flüchtlinge in der Stadt Köln waren wir der Ansicht, dass eine innerstädtische Gesamtschule in einer solchen Situation unterstützend arbeiten muss«, erläutert Schulleiter Frank Görgens. »Unser Selbstverständnis als Gesamtschule war hier angesprochen, und wir sind glücklich darüber, dass der absolut überwiegende Teil unseres Kollegiums auch in der Phase des Schulaufbaus diese schwierige und wichtige Aufgabe angehen wollte. Wir hatten Bedenken wegen der vielen offenen Fragen, und auf der anderen Seite haben wir eine systemische Verpflichtung empfunden.«

Professionelle Zusammenarbeit mit dem Schulträger

In der Seiteneinsteigerklasse der igis Köln werden achtzehn Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Herkunftssprachen unterrichtet. Sie kommen u.a. aus Syrien, Spanien, Iran, Irak, Polen, Albanien und der Ukraine. Da die igis Köln im zweiten Jahr ihres Bestehens ausnahmslos Kinder in den Jahrgangsstufen 5 und 6 unterrichtet, sind auch die Schülerinnen und Schüler, die die zuständige Integrationsstelle des Schulträgers der Schule zuteilt, für diese Altersstruktur passend. »Hier arbeitet der Schulträger absolut verlässlich und behutsam mit uns zusammen. Das läuft sehr gut«, so Görgens. »Die Zusammenarbeit mit dem Schulträger ist in diesem Bereich sehr professionell und nimmt die Situation der Flüchtlingskinder wie die schulische Situation vor Ort gleichermaßen in den Blick.«

Die igis Köln hat zwei Kolleginnen, die im Bereich Deutsch als Fremdsprache bzw. Zweitsprache ausgebildet sind. Sie unterrichten vornehmlich in dieser Klasse – unterstützt von Kolleginnen und Kollegen aus dem allgemeinbildenden Bereich, die sich einen Einsatz in dieser Klasse explizit gewünscht haben.

Seiteneinsteigerklasse mit 24 Wochenstunden

Inhaltlich werden die Schülerinnen und Schüler nahezu in allen Unterrichtsfächern der Stundentafel einer nordrhein-westfälischen Gesamtschule unterrichtet. »Die Kinder erhalten selbstverständlich verstärkt Deutschunterricht, damit die Sprachbarriere möglichst schnell überwunden wird und sie gut und sinnvoll in den Unterricht der allgemeinbildenden Klasse integriert werden können«, erklärt Görgens.

An der igis Köln wird im 60-Minuten-Takt unterrichtet – in der Seiteneinsteigerklasse sind es 24 Wochenstunden, so dass die Schülerinnen und Schüler der Seiteneinsteigerklasse in den Übermittagsbereich und in die Struktur der Arbeitsgemeinschaften an der igis Köln integriert sind. »Unser Ziel ist es, diesen Kindern von Beginn an die größtmögliche Integration in unser Schulleben zu ermöglichen. Gleichzeitig wollen wir mit der Seiteneinsteigerklasse einen Rückzugsraum bieten, in dem wir die Kinder unterstützen und begleiten«, sagt Görgens. »In der Stundentafel der Seiteneinsteigerklasse versuchen wir, ein Fächerangebot zusammenzustellen, das die Kinder einerseits auf den Unterricht in den allgemeinbildenden Klassen vorbereitet. Andererseits versuchen wir Unterrichtsfächer anzubieten, die nicht vornehmlich sprachlastig sind und den Kindern Erfolgserlebnisse und ganzheitliche Erfahrungen ermöglichen. Vor diesem Hintergrund sind insbesondere Fächer wie Musik, Hauswirtschaft, Kunst und Sport neben Deutsch und Mathematik von besonderer Bedeutung«, erläutert Frank Görgens die konzeptionellen Überlegungen.

Schrittweise Integration

Das Drehtürmodell in der Seiteneinsteigerklasse sieht vor, dass die Kinder schrittweise in eine allgemeinbildende Klasse integriert werden. Konkret bedeutet dies, dass ein Schüler zunächst in einem Fach – oft zuerst in Mathematik und/oder Sport – in den Unterricht einer allgemeinbildenden Klasse integriert wird. Im Anschluss an diese Fachunterrichtsstunde kehrt der Schüler in den Unterricht der Seiteneinsteigerklasse zurück und bereitet den Unterricht aus der allgemeinbildenden Klasse nach. Hierbei werden offene Fragen (sprachliche wie auch fachinhaltliche Verständnisfragen) mit der Lehrperson besprochen.

Die schrittweise Integration erfolgt nahezu immer in der Klasse, in der der Schüler abschließend integriert wird. Der Anteil der Unterrichtsstunden, die in einer allgemeinbildenden Klasse verbracht werden, steigert sich sukzessive bis zur vollständigen Integration des jeweiligen Schülers spätestens nach zwei Jahren. »In diesem Modell können wir sehr variabel auf unterschiedliche Entwicklungswege der Kinder reagieren. Durch das Drehtürmodell entsteht ein erheblicher Kommunikationsbedarf zwischen den Lehrpersonen der Seiteneinsteigerklasse und den allgemeinbildenden Klassen. Hier leisten die Kolleginnen und Kollegen eine tolle Arbeit«, betont Görgens.

Noch keine Erfahrungen mit traumatisierten Kindern

Mit traumatisierten Schülerinnen und Schülern hat die igis Köln bislang eher wenig zusammengearbeitet. »Bisher mussten wir uns dieser großen Herausforderung nicht stellen. Das ist aber nach meiner Einschätzung eine Frage der Zeit, weshalb wir bereits aktuell die Aufgabe haben, ein multiprofessionelles Netzwerk aufzubauen«, so Görgens. Hier ist die Zusammenarbeit mit dem schulpsychologischen Dienst der Stadt Köln und die Akquise eines Schulpsychologen aufgenommen bzw. auf der Agenda.

Ungelöst ist das Problem, dass die Schülerinnen und Schüler der Seiteneinsteigerklasse zusätzlich in die allgemeinbildenden Klassen zu integrieren sind. »Als innerstädtische Gesamtschule haben wir – wie alle Gesamtschulen – einen erheblichen Anmeldeüberhang. Das bedeutet, dass unsere Klassen gut gefüllt sind. Wir können im Anmeldeverfahren keine Schulplätze für Schüler der Seiteneinsteigerklasse frei halten. Sie sind zusätzlich zu integrieren. Bisher gelingt uns dies sehr gut. Das ist der Arbeit aller Kollegen und Kolleginnen an der igis Köln zu verdanken«, hebt Görgens hervor.

Jochen Smets / Frank Görgens

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Viele Schwierigkeiten, kein Konzept

Die Integration von Flüchtlingen im Schulalltag ist eine Herausforderung, um die früher oder später kein Lehrer herumkommen wird. Aktuell fehlt in Nordrhein-Westfalen aber ein vernünftiges Konzept, um diese wichtige Aufgabe erfolgreich umsetzen zu können.
Mathe ohne Sprachkenntnisse

Einige Beispiele aus dem Alltag: Ich unterrichte Mathematik an einer mittelgroßen Realschule in einem ländlichen Gebiet im Rheinland. Eigentlich ist die Welt dort noch in Ordnung. Die Anzahl der zugewiesenen Flüchtlingskinder ist gering, pro Klasse sind es aktuell maximal drei Schüler. Eine Lehrkraft für DaZ konnte schon kurz vor der Ankunft dieser Kinder gefunden und eingestellt werden. Leider funktioniert aber auch unter diesen augenscheinlich optimalen Bedingungen die Integration eher schlecht. Ohne Rücksicht auf vorhandene Sprachkenntnisse wurde entschieden, dass diese Kinder in Mathematik und Sport am regulären Unterricht ihrer Klassen teilnehmen sollen. So kommt es, dass ich in Klassen, in denen Schüler mit Förderbedarf verschiedenster Richtungen sowie AD(H)S, Dyskalkulie und Lese-Rechtschreibschwäche sitzen – was ja oft schon eine Herausforderung für sich ist – nun Kindern Mathematik beibringen muss, die weder Deutsch noch Englisch sprechen. In den meisten Klassen ist auch kein Schüler vorhanden, der zur Not mal übersetzen kann.

Eine Übersicht, ob und wie lange die Flüchtlinge eine Schule besucht haben und auf welchem Wissensstand sie sind, gibt es nicht. Eine Integration in die aktuellen Themen ist gerade in den höheren Klassen, insbesondere auch durch die mangelnden Sprachkenntnisse, so nicht möglich. Müssen engagierte Lehrkräfte also von vorne starten und auch in einer zehnten Klasse Themen aus der Grundschule abfragen?

Lückenhaftes Lernmaterial

Der von einem großen deutschen Schulbuchverlag kostenlos zum Download bereitgestellte Sprachführer Mathematik mit passenden Aufgaben, um die deutschen Fachausdrücke zu lernen, sieht zunächst gut aus. Übersetzungen bietet er auf Türkisch, Arabisch und Russisch. Leider braucht man zur Bearbeitung der Aufgaben aber farbige Ausdrucke. Daran scheitert es schon. Auch reichen die drei angebotenen Sprachen in einigen Fällen nicht aus.

Flüchtlingskinder, die gerade in den niedrigeren Klassen themengleich unterrichtet werden könnten, bekommen zudem keine Bücher gestellt – mit der Begründung, dass sie ja jederzeit einer anderen Unterkunft und damit auch einer anderen Schule zugewiesen werden könnten. Die Bücher würden damit wahrscheinlich der Schule verloren gehen. Auch sonst ist das dringend für den Unterricht benötigte Material (Papier und Stifte) oft nicht vorhanden. Wie eine Benotung für Zeugnisse aussehen kann bzw. soll, ist immer noch unklar. Ein ‘Ungenügend’ aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und fehlender Ausstattung mit dringend benötigten Sachmitteln überzeugt mich jedenfalls nicht.

Komplizierte Klassenfahrten

Auch die Planung von Klassenfahrten gestaltet sich kompliziert. Schon Fahrten in ein anderes Bundesland können je nach Aufenthalts- bzw. Duldungsstatus nur mit Genehmigungen verschiedenster Ämter möglich sein. Welcher Status allerdings vorliegt, ist meist unbekannt und müsste erst mühsam bei den zuständigen Behörden abgefragt werden. Insgesamt also ein zusätzlicher Arbeitsaufwand, der kaum noch zu stemmen ist. Dazu stellt sich die Frage, ob man mit Schülern, mit denen eine Kommunikation kaum möglich ist, auf eine Klassenfahrt gehen möchte, zumal sich ja auch ein zwingend im Vorfeld nötiges Gespräch mit den Erziehungsberechtigten schwierig gestaltet. Dolmetscher hierfür zahlt die eigentlich zuständige Kommune übrigens nicht. Die verschiedensten religiösen und kulturellen Besonderheiten der Herkunftsländer sind oft gänzlich unbekannt und können im Alltag zu zusätzlichen Herausforderungen werden. Fortbildungen hierzu gibt es aktuell kaum.Soll die Integration von Flüchtlingsindern gelingen, muss sich an den Voraussetzungen schnellstmöglich etwas ändern. Sie einfach in den Unterricht zu setzen und mitlaufen zu lassen, gefährdet die ohnehin meist gestörte Entwicklung unnötig, statt endlich ihre Schullaufbahn zu sichern.    Tina Papenfuß

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