Der Übergang von der Schule in den Beruf ist eine Herausforderung – sowohl für die betroffenen jungen Menschen, als auch für das Bildungs- und Ausbildungssystem insgesamt. Nordrhein-Westfalen ist mit der Initiative ’Kein Abschluss ohne Anschluss’ auf einem guten Weg.

Im Jahr 2016 lag der Quote der jungen Erwachsenen im Alter von 20 bis 34 Jahren ohne Berufsausbildung bei 14,3 Prozent – ein Anstieg um ein Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das berichtet die Onlineplattform ’Deutsches Schulportal’ (herausgegeben von der Robert Bosch Stiftung und der Deutschen Schulakademie gGmbH) unter Berufung auf den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebenen Berufsbildungsbericht 2018. Zudem habe die Abbrecherquote in der beruflichen Ausbildung 2016 bei 25,8 Prozent gelegen und damit den höchsten Wert seit Beginn der 1990er Jahre erreicht. Auch an den Universitäten kapitulieren sehr viele junge Menschen schnell: Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung aus dem Jahr 2017 bricht fast jeder dritte Bachelor-Student sein Studium ab.

Akademisierungswahn auf der einen Seite, Fachkräftemangel auf der anderen Seite – und dazwischen jede Menge verunsicherte, frustrierte junge Menschen. Damit der Übergang von der Schule in den Beruf besser gelingt, hat das Land Nordrhein-Westfalen mit Beginn des Schuljahrs 2012/2013 die Initiative ’Kein Abschluss ohne Anschluss’ gestartet. Zentral ist dabei die frühzeitige Berufs- und Studienorientierung sowie Hilfe bei der Berufswahl und beim Eintritt in Ausbildung oder Studium. Ziel ist es, allen jungen Menschen nach der Schule möglichst rasch eine Anschlussperspektive für Berufsausbildung oder Studium zu eröffnen und durch eine effektive Koordinierung unnötige Warteschleifen zu vermeiden.

Zunächst 2012 in sieben Referenzkommunen gestartet, ist das Übergangssystem seit dem Schuljahr 2016/2017 in allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten Nordrhein-Westfalens eingeführt. Bis Ende 2018/19 soll die Zahl der jährlich teilnehmenden Schülerinnen und Schüler die 500.000er Marke erreichen. Potenzialanalysen, Berufsfelderkundungen, Praxiskurse, Studienorientierung, Kampagnen für die duale Ausbildung – das Spektrum der Maßnahmen und Angebote ist vielfältig.

Weitere Infos:

www.berufsorientierung-nrw.de

Zur Originalausgabe (PDF-Datei)


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Interview: »Es gibt keine Sackgasse«

Im Interview erklären Michael Suermann, Vorsitzender des Verbandes der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen (vlbs) und Hilmar von Zedlitz, Vorsitzender des Verbandes der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen in Nordrhein-Westfalen (vLw), was es für einen gelingenden Übergang von der Schule in den Beruf braucht.

In Deutschland herrscht einerseits ein gravierender Fachkräftemangel und andererseits ein Run auf die Hochschulen (Schlagwort Akademisierungswahn). Was läuft da schief?

von Zedlitz: Hier sehe ich zwei Ursachen, die unmittelbar miteinander zusammenhängen. Erstens wollen Eltern natürlich das Beste für ihr Kind. Leider wird dieser Wunsch häufig nur gleichgesetzt mit dem Wunsch nach dem höchsten Schulabschluss für ein Kind. Zweitens fehlt vielen Eltern der Überblick über die schulischen Alternativen in Nordrhein-Westfalen nach der Grundschule.

Suermann: Um das Beste für die jungen Menschen zu erreichen, ist es unerlässlich, dass die möglichen Bildungswege transparent und bekannt sind. Zurzeit fokussieren sich die Menschen in unserer Gesellschaft meist direkt auf das Gymnasium als Königsweg und lassen alternative, oft individuell viel passendere Bildungswege außer Acht. Wir brauchen mehr Transparenz darüber, dass Berufskollegs die Chancenermöglichungsschulen unseres Landes sind, an denen sich sämtliche Bildungsabschlüsse in Kombination mit dem Erwerb von beruflichen Kompetenzen, vom Hauptschulabschluss über das Abitur bis zum staatlich geprüften Techniker/Betriebswirt, erwerben lassen.

Junge Menschen müssen die Möglichkeit bekommen, ihre persönliche und individuelle Berufung zu erkennen. So lassen sich persönliche Misserfolge wie Schulscheitern und Studienabbrüche verhindern. Hier müssen wir bereits beim Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen ansetzen. Eltern, die sich beispielsweise für die Realschule als weiterführende Schule für ihr Kind entscheiden, muss deutlicher bewusst werden, dass sie ihrem Kind keine Chancen nehmen, sondern ganz im Gegenteil. Sie eröffnen ihrem Kind einen breiteren Korridor ohne Grenzen.

Wie kann der Übergang von der Schule in den Beruf gelingen?

von Zedlitz: Unbestritten ist die Landesinitiative ’Kein Abschluss ohne Anschluss’ ein erster Ansatz. Aber es ist auch unbestritten, dass in vielen Kommunen noch viel Luft nach oben besteht. So sind sich alle einig, dass eine Kompetenzanalyse, die Erkundung eines Ausbildungsbetriebes oder der Besuch einer Ausbildungsmesse nur einige Elemente eines systematischen Übergangsmanagements sein können. Durch die Systematisierung unterschiedlicher Bausteine von der Diagnose über Information bis zur konkreten Berufswelterfahrung nicht nur durch Betriebspraktika muss in den Schulen der Sekundarstufe I das Übergangsmanagement auch mit geeigneten Wahlpflichtfächern und Projekten fest im Schulleben verankert werden.

Suermann: Durch eine engere strukturelle Verzahnung zwischen den allgemeinbildenden Schulen und den Berufskollegs bestünde ein enormes Potenzial für einen erfolgreichen Übergang in den Beruf. An vielen Schulen gibt es bereits hervorragende Kooperationen, um jungen Menschen der allgemeinbildenden Schulen Einblicke in berufliche Prozesse zu geben. Aber hierzu bedarf es Freiräume und Ressourcen. Diese Investitionen sind dringend überfällig, um dem Fachkräftemangel von morgen entgegenzuwirken.

Welchen Beitrag können die Berufskollegs und Wirtschaftsschulen leisten?

Suermann: Am Ende der Sekundarstufe?I muss Schulabgängerinnen, Schulabgängern und Eltern gerade auch in den Realschulen klar sein, dass der Übergang in die Sekundarstufe I niemals eine Sackgasse darstellt, egal für welche Schulform sie sich entschieden haben. Die Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs sind die Experten für berufliche Bildung. Diese kann man gar nicht früh genug einbinden. Durch Kooperationen der Berufskollegs mit allgemeinbildenden Schulen erhalten die jungen Menschen frühzeitig Einblicke in Berufsbilder, bekommen Kontakte zu Betrieben, machen frühzeitig Erfahrungen zu den Chancen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt und bekommen Perspektiven über berufliche und allgemeinbildende Anschlüsse. Schon heute wird hier viel geleistet. Das, was noch fehlt, ist eine konsequente strukturierte Verzahnung, welche durch verlässliche Ressourcen gestützt wird.

von Zedlitz: Die Einführung des Faches Wirtschaft ist ein wichtiger Schritt, um ökonomische Grundbildung in die Sekundarstufe I zu übertragen. Davon losgelöst, müssen wir Jugendlichen aber auch die vielfältigen Berufsperspektiven in der Arbeitswelt verdeutlichen. Dazu gibt es bereits in etlichen Kommunen gute Kooperationsprojekte zwischen Realschulen und Berufskollegs, wie zum Beispiel Tage zur beruflichen Orientierung in Berufskollegs für Schülerinnen und Schüler der Klasse 9 der Realschulen. Dies kann und muss weiter ausgebaut werden. Dazu können Unterrichtsprojekte zu wirtschaftlichen Fragestellungen (wie zum Beispiel Existenzgründungen) zwischen Realschulen und Berufskollegs, der Einsatz von angehenden Informatikkaufleuten als Experten und Lotsen bei EDV-Projekten in Realschulen und natürlich ein institutionalisierter Austausch zwischen den Lehrerinnen und Lehrern beider Schulformen gehören.

Gerne wollen unsere Verbände vLw und vlbs mit lehrer nrw dazu die ersten Schritte unternehmen. Herr Suermann und ich sind uns aber auch einig: Zur Umsetzung brauchen wir einen geeigneten Rahmen und überschaubare Ressourcen, um so gemeinsam den Fachkräftemangel zukünftig besser beheben zu können.

Das Interview führte Jochen Smets

Zur Originalausgabe (PDF-Datei)


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