Das Fach Wirtschaft kommt – aber es deutet einiges auf eine schwere Geburt hin. Die rot-grüne Opposition mag das Fach nicht und versucht die Einführung zu verhindern oder zumindest zu erschweren.

Der Stand der Dinge: Das Fach Wirtschaft startet im Schuljahr 2019/2020 an den Gymnasien. An den Realschulen und den übrigen Schulformen geht es ein Jahr später los, also mit Beginn des Schuljahres 2020/2021. Das Fach wird aufwachsend ab Jahrgangsstufe 5 eingeführt, und zwar zunächst nur im Kernbereich, nicht im Wahlpflichtbereich. Die Realschulen können dabei wählen zwischen einem ’reinen’ Fach Wirtschaft und einem Kombifach Wirtschaft/Politik wie an den Gymnasien.

Kernlehrpläne in Arbeit

Die Lehrplankommission für die Realschulen ist berufen und hat ihre Arbeit inzwischen aufgenommen. Sie wird sich zum einen an den bereits vorhandenen Kernlehrplänen für die Gymnasien und zum anderen an den Inhalten des sehr erfolgreichen Modellversuchs ’Wirtschaft an Realschulen’ (2010 bis 2014) orientieren. So findet die Arbeit der siebzig am Modellversuch beteiligten Realschulen erfreulicherweise Eingang in die künftige schulische Praxis. Die Kernlehrplan-Entwürfe werden für Anfang 2020 erwartet. Sie gehen dann in die Verbändebeteiligung und sollen bis Frühjahr 2020 in Endfassung vorliegen, damit die Schulen genug Zeit haben, auf dieser Basis ihre eigenen Lehrpläne zu entwickeln.

Rot-Grün macht Stimmung

So weit, so gut. Doch das Fach Wirtschaft, das die schwarz-gelbe Landesregierung als Wahlversprechen aus dem Koalitionsvertrag nun einlöst, stößt nicht überall auf Gegenliebe: Der rot-grünen Opposition gefällt das Fach Wirtschaft gar nicht – schon seit jeher. Auch deshalb hat die damalige Schulministerin Sylvia Löhrmann schon 2014 den gelungenen Modellversuch eingestampft. Weil die Regierungsverantwortung zwischenzeitlich gewechselt hat, machen SPD und Grüne nun auf anderen Wegen Stimmung gegen das Fach. Die beiden Parteien haben einen gemeinsamen Antrag unter dem Titel ’Mehr Demokratie wagen’ verfasst und in einer Expertenanhörung am 13. März zur Diskussion gestellt.

Manipulativ und unredlich

Die Stoßrichtung kristallisierte sich dort sehr schnell heraus: Rot-Grün geht es vor allem darum, das Fach Wirtschaft zu verhindern. »SPD und Grüne spielen aus ideologischen Gründen Demokratie und Wirtschaft als Fächer bzw. Unterrichtsinhalte gegeneinander aus. Der gemeinsame Antrag ‘Mehr Demokratie wagen‘ gibt vor, Demokratiekompetenz fördern zu wollen, ist aber letztlich nicht mehr als ein schlecht getarnter Angriff auf das von der CDU-FDP-Landesregierung geplante Fach Wirtschaft. Das ist manipulativ und unredlich. Von einem ausgeprägten Demokratieverständnis zeugt diese Vorgehensweise nicht«, sagte die lehrer nrw?-Vorsitzende Brigitte Balbach in der Expertenanhörung im Landtag.

Ideologische Denkfehler

Klarzustellen ist: Demokratie ist die Basis unseres Zusammenlebens. Sie ist deshalb der rote Faden allen schulischen Tuns. Demokratische Bildung muss aus Sicht von lehrer nrw? Teil eines jeden Unterrichtsfachs sein. Dem steht das Fach Wirtschaft überhaupt nicht entgegen – im Gegenteil: Dass Wirtschaft einen demokratischen Rahmen braucht, ist gerade in Zeiten einer globalisierten und digitalen Welt die oberste Maxime. Nicht zuletzt darauf zielt das Fach Wirtschaft ab. Kernziel ist es, Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern zu erziehen und nicht zu kritiklosen Konsumenten. Dazu gehört auch wirtschaftliche Alltagskompetenz, etwa im Hinblick auf den verantwortungsvollen Umgang mit Geld. Das Fach Wirtschaft sollte grundlegende Einsichten in strukturelle Zusammenhänge von Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt, Politik und Recht vermitteln. Selbstverständlich erfordert das auch erhebliche Investitionen in die Lehreraus- und -fortbildung. »Demokratie und Wirtschaft schließen einander nicht aus, sie bedingen einander. Hier liegt der ideologische Denkfehler von Rot-Grün«, betonte Balbach.

Insbesondere für die Realschulen ist das Fach Wirtschaft eine große Chance zur Profilierung. Und sie wollen diese Chance nutzen – trotz aller Störfeuer.

Jochen Smets

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Drei Schritte vor und zwei zurück?

Einschätzung zur Einführung des Schulfachs ‘Wirtschaft’ in Nordrhein-Westfalen

Ökonomische Bildung ist eine zentrale geistige Ressource für die Bewältigung des Lebens im 21. Jahrhundert. Viele Studien zeigen aber, dass das Niveau an ökonomischer Bildung in Deutschland immer noch maßgeblich durch den sozialen Hintergrund bestimmt wird. Ein höheres Maß an ökonomischer Bildung wird vor allem bei Kindern und Jugendlichen festgestellt, die in einem Unternehmerhaushalt aufwachsen. Anderen wiederum bleiben Kompetenzen im ökonomischen Bereich eher verschlossen. Das verhindert gleiche Chancen in der Wirtschafts- und Arbeitswelt, und hier muss die allgemeinbildende Schule ansetzen.

Unterschiedliche Interessen

In Nordrhein-Westfalen hat sich seit dem Regierungswechsel in Bezug auf die ökonomische Bildung einiges in Bewegung gesetzt. Die Entscheidung aus den 1970er Jahren, das Fach Wirtschaftslehre in Sozialwissenschaften umzubenennen, soll nun wieder rückgängig gemacht werden. Wie das aber immer so ist, bringen solche politischen Bewegungen auch schnell Gegenbewegungen mit sich. Nicht selten geht es dabei nur noch vermeintlich um die Frage, mit welchen Kompetenzen Jugendliche heute die allgemeinbildende Schule verlassen sollten. Tatsächlich stehen oftmals unterschiedliche Interessen von Akteuren und daraus resultierende Verteilungskonflikte im Vordergrund.

In diesem Spannungsfeld ist es für die aktuelle Regierung sicher nicht einfach, das im Koalitionsvertrag gemachte Versprechen der Einführung eines Schulfachs Wirtschaft in allen allgemeinbildenden Schulformen umzusetzen – und das merkt man auch. Nachdem anfänglich sehr stringent ein Schulfach Wirtschaft angekündigt wurde, bleibt es an den Gymnasien nun bei einem Integrationsfach. Die Umbenennung in der Sekundarstufe I von ’Politik-Wirtschaft’ in ’Wirtschaft-Politik’ muss man auch mit Blick auf den nahezu unveränderten Lehrplan als ’Window-Dressing’ bezeichnen. Auch in der Oberstufe bleibt es zunächst bei der Fachbezeichnung ’Sozialwissenschaften’. Da wäre es glaubwürdiger, wenn sich die Regierung offen zu einem Integrationsfach bekennen würde. Ein Schulfach Wirtschaft ist das nicht und eine Lehramtsausbildung (Master of Education GYM) Wirtschaft wird auf diese Weise nicht möglich.

Alleinstellungsmerkmal für Realschulen?

Die Hoffnung für die ökonomische Bildung in Nordrhein-Westfalen ruht auf den Realschulen. Wenn hier – wie angekündigt – ein Fach Wirtschaft eingeführt wird, dann wird sich tatsächlich eine neue Situation ergeben, was zu einem beachtlichen Alleinstellungsmerkmal der Realschulen werden könnte. Ein Wermutstropfen ist, dass es auch hier für die Hochschulen schwierig werden könnte, einen Master of Education GHR zu realisieren, insbesondere, weil das Fach an den Gesamtschulen und Sekundarschulen ’Wirtschaft-Politik’ heißen wird.

Wollen wir hoffen, dass in dieser bildungspolitischen Gemengelage die Interessen der Schülerinnen und Schüler schlussendlich nicht zu kurz kommen. Die wünschen sich – das zeigen viele repräsentative Umfragen – in großer Mehrzahl ein Schulfach Wirtschaft.

Prof. Dr. Dirk Loerwald

Der Autor:

Prof. Dr. Dirk Loerwald ist stellvertretender wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer am Institut für Ökonomische Bildung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
 

Originalausgabe (PDF-Datei)

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