Realschüler bekommen nun die Möglichkeit, in einem zweijährigen Berufsfachschulgang die Qualifikation für das Bachelor-Studium bei der Polizei NRW zu erwerben. Damit erfüllt die nordrhein-westfälische Landesregierung eine langjährige Forderung von lehrer nrw. Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Nordrhein-Westfalen, erklärt im Interview, welche Perspektiven sich hier auftun.

lehrer nrw: Mit einem mittleren Bildungsabschluss eine Polizeiausbildung zu beginnen, das war in den letzten zwanzig Jahren in Nordrhein-Westfalen nicht auf direktem Wege möglich. Nun eröffnet sich über die Zwischenstation Berufskolleg mit dem Bildungsgang ’Fachoberschule für Polizei’ eine neue Perspektive. Wie bewerten Sie das?

Rettinghaus: Bereits vor der Einführung eines Studienganges ’Polizeidienst und öffentliche Verwaltung’ in Rheinland-Pfalz im Jahr 2008 setzten wir uns als DPolG NRW dafür ein, den Polizeiberuf auch Bewerberinnen und Bewerbern mit mittleren Bildungsabschlüssen zu ermöglichen. Wir betrachten das als ein probates Mittel, um der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken, den Kreis der Bewerber insgesamt zu vergrößern, so eine bessere Auswahl – ohne Senkung der Standards – unter den qualifizierten Bewerbern zu erzielen und so im Wettbewerb um die besten Bewerberinnen und Bewerber erfolgreich zu bestehen.

Dazu regten wir bereits mehrfach ein Pilotprojekt an, um diesen Studiengang in Nordrhein-Westfalen zu erproben. Nun endlich setzte das die Regierung aus CDU und FDP mit unserer Bildungsministerin, Yvonne Gebauer, getreu des Koalitionsvertrages um.

Wer sich so zwei Jahre lang gezielt auf das Bachelor-Studium bei der Polizei NRW vorbereitet und Praktika absolviert, wird hochmotiviert und gut vorbereitet das Studium beginnen und absolvieren. Durch das zweijährige Studium – mit Erwerb der Fachhochschulreife – hat sich dann auch das Lebensalter dem der Bewerber mit direktem Abitur angeglichen.

Außerdem bietet das Modell eines neuen Studienganges mit mittlerem Bildungsabschluss auch die Möglichkeit, den Bewerberkreis der Migrantinnen und Migranten, welche in Deutschland einen hohen und steigenden Bevölkerungsanteil ausmachen, zu erweitern. Die Polizei ist ein Spiegel der Gesellschaft und möchte das Potenzial dieser Bürgerinnen und Bürger im Interesse der öffentlichen Sicherheit nutzen. Sprachkenntnisse, und insbesondere das interkulturelle Wissen der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund, sind für die Polizei von hohem Stellenwert. Um den Bedürfnissen unserer vielfältigen Gesellschaft besser gerecht werden zu können, ist es von großem Interesse, Migrantinnen und Migranten für den Polizeiberuf zu interessieren und zu gewinnen.

Welche Wege stehen Absolventen des künftigen Bildungsgangs ’Fachoberschule für Polizei’ offen?

Rettinghaus: Nach Erwerb der Fachhochschulreife beginnen die Absolventinnen und Absolventen mit dem Bachelor-Studium an einem der Standorte der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen. Das Studium endet mit dem Abschluss ’Bachelor of Arts’. Sie haben dann bereits mehr Einblick in den Polizeiberuf erhalten und sind mit Studienbeginn anderen Berufseinsteigern gleichgestellt. Nach dem Studium stehen allen identische Verwendungsmöglichkeiten – nach Eignung und Befähigung – zu. Um sich zu entscheiden, durchleben die Studierenden in Theorie und Praktika nahezu alle polizeilichen Bereiche. Auch eine absolute Spezialisierung hinsichtlich Technik und IT bei unserem Landesamt für zentrale polizeitechnische Dienste ist ebenso möglich wie die Zugehörigkeit zu einem Spezialeinsatzkommando oder für wenige gar die Ausbildung zum Hubschrauberpiloten. Wir verfügen über Reiterstaffeln, Diensthunde, achtzehn Einsatzhundertschaften Bereitschaftspolizei, eine landesweite Wasserschutzpolizei, Drohnen etc. – da ist für jeden eine adäquate Verwendung mit hoher Motivation möglich.

Ein Aufstieg in den höheren Polizeidienst mit einem Studium an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster-Hiltrup ist auch eine Option. Allen steht alles offen – jeder entscheidet für sich, das Spektrum bei uns ist groß.

Die Bewerberzahlen für den Polizeidienst sind zuletzt gestiegen: 2014 haben rund 1.500 Polizeischülerinnen und -schüler ihre Ausbildung begonnen, 2019 waren es schon knapp 2.500. Warum braucht die Polizei Nachwuchs mit mittlerem Bildungsabschluss?

Rettinghaus: Im Kampf um die besten Köpfe müssen wir uns alle potenziellen Bewerber sichern und unseren Beruf möglichst attraktiv für alle Bildungsabschlüsse gestalten sowie die Zugänge so schaffen, dass im Ergebnis alle auf einem Level mit einheitlichen Standards abschließen. Entscheidend ist für mich: Wer sich so zwei Jahre lang gezielt auf das Bachelor Studium bei der Polizei NRW vorbereitet und Praktika absolviert, wird hochmotiviert und gut vorbereitet das Studium beginnen und absolvieren. Früher hat sich die Polizei fast ausschließlich aus Bewerbern mit Realschulabschluss generiert. Die Schülerzahlen an den verschiedenen Schulformen haben sich heute verändert, wir reagieren somit auf die geänderten Abschlüsse und sichern uns die Besten aus allen Schulformen und Bildungsabschlüssen.

Dieses Jahr stellen wir insgesamt 2.660 Studentinnen und Studenten ein, diese werden nach Verabschiedung des Haushalts 2021 nochmals um 100 weitere Studierende verstärkt, die bis dato in einem Gasthörerstatus am Studium teilhaben und, sobald der Haushalt Gesetz ist, sofort eingestellt werden. Das ist seit Jahrzehnten die höchste Einstellungszahl in einem Jahrgang. In der Praxis und in den Praktika stellt uns das vor große Herausforderungen, welche wir meistern werden.

Was würden Sie beispielsweise einem Realschüler oder einer Realschülerin raten, die sich eine berufliche Zukunft bei der Polizei vorstellen können?

Rettinghaus: Jedem Bewerber, so auch den Realschülern, kann ich nur empfehlen, sich bestmöglich über die Herausforderungen und Anforderungen an den Beruf der Polizeibeamtin/des Polizeibeamten zu informieren. Das Studium ist ein langer Weg mit vielen Prüfungen und Hürden. Aber auch sich den physischen und psychischen Belastungen des Berufes sicher zu sein. Wir müssen oftmals alles abdecken; wir sind Sozialarbeiter, müssen aber auch hart durchgreifen, Verständnis haben, vermitteln, auch Zwang mit allen Mitteln – bis hin zu körperlicher Gewalt mit Schusswaffen – anwenden. Dabei zählen weder unsere Einstellung/Meinung noch persönliche politische Ansichten. Die Polizei ist immer neutral und handelt stets nach Recht und Gesetz – orientierend an unserem Grund- gesetz und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Nebenbei meistern wir unser Privatleben mit allen Höhen, Tiefen, Freuden und Belastungen.

Welche Fähigkeiten, Stärken und Interessen sollte ein junger Mensch mitbringen, der zur Polizei möchte?

Rettinghaus: Er sollte sich all den Anforderungen, welche auf ihn zukommen werden, bewusst sein und sich mit dem Berufsbild realistisch beschäftigt haben. Wichtig sind eine starke Psyche und körperliche Fitness. Die Anforderungen bei der polizeiärztlichen Untersuchung sind hoch. Körpergröße, Sehstärke etc. sind wichtige Faktoren. Aber auch Körperschmuck und Tätowierungen sind ein nicht zu vernachlässigendes Thema. Sich vorher informieren und wissen, was auf einen zukommt, ist hier die Formel. Empfehlen kann ich dazu unser Bewerberportal (www.genau-mein-fall.de/index. html), welches sicherlich auch noch bald für unsere neuen Kolleginnen und Kollegen, die Realschüler, aktualisiert sein wird. Bis dahin findet man aber schon reichlich Infos über die Anforderungen und derzeitigen Voraussetzungen.

Ich hoffe auf viele Bewerber mit Realschulabschluss und würde mich natürlich ebenso über viele neue Mitglieder freuen, die zur DPolG NRW kommen. Wir waren und sind die, die gegen viele Widerstände das jetzt Erreichte in die Politik getragen haben und wünschen nun allen Realschülerinnen und Realschülern viel Erfolg bei Ihrer Bewerbung und für das Studium mit der DPolG NRW im Deutschen Beamtenbund DBB NRW an ihrer Seite. Wir werden frühzeitig für die Realschüler eine Mitgliedschaft mit unseren vielfältigen, umfangreichen Leistungen anbieten.

Interview: Jochen Smets

Zur Originalausgabe (PDF-Datei)


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Von der Realschule über das Berufskolleg zur Polizei

Die schwarz-gelbe Landesregierung will Realschülern den Weg zur Polizei wieder öffnen. Sie bereitet einen Bildungsgang ’Fachoberschule für Polizei’ an Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen vor. Details zu den Inhalten und möglichen Standorten werden noch erarbeitet.

Durch den zweijährigen Bildungsgang sollen die Teilnehmer nicht nur das Fachabitur, sondern auch Fertigkeiten und Kenntnisse für den Polizeivollzugsdienst erwerben. Realschüler können sich damit die Basis für ein anschließendes Studium an der Hochschule für Polizei und Verwaltung erarbeiten. »Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Berufskollegs über die notwendige Erfahrung verfügen, um die jungen Menschen gut auf ihre wichtigen Aufgaben im Polizeidienst vorzubereiten«, sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) gegenüber der WAZ. Sie verwies darauf, dass die FDP schon im letzten Landtagswahlkampf mit der Forderung angetreten sei, qualifizierten Bewerbern mit mittlerem Schulabschluss wieder einen Zugang zum Polizeidienst zu eröffnen.

Der mittlere Dienst bei der NRW-Polizei war vor knapp zwanzig Jahren abgeschafft worden. Seither konnten nur noch Bewerber mit Fachhochschulstudium oder abgeschlossener Berufsausbildung das dreijährige duale Bachelor-Studium zum Kommissar im gehobenen bzw. höheren Dienst aufnehmen.

Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, betont: »Polizeibeamte sind vor allem Bürger in Uniform. Daher ist es uns ein zentrales Anliegen, möglichst vielen motivierten jungen Menschen den Weg in den Polizeidienst zu eröffnen. Denn warum sollte ein motivierter Realschüler nicht ein guter Polizist werden? Der Rechtsstaat lebt doch von Menschen, die sich aktiv für ihn stark machen wollen – wir wollen dieses Engagement ermöglichen, statt es zu verhindern.«

Originalbeitrag (PDF-Datei)


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