Parallel zu den Corona-Infektionszahlen sind in den letzten Wochen Sorge, Unsicherheit und Unzufriedenheit an den Schulen in Nordrhein-Westfalen gewachsen. Aus den Kollegien kommen Kritik an starren Regelungen und mangelnder Flexibilität, aber auch positive Beispiele für kreative Lösungen im Umgang mit der Krise.

Ende November konnte an vier von fünf Schulen in Nordrhein-Westfalen regulärer Präsenzunterricht stattfinden. Exakt waren es 3692 Schulen oder 81,3 Prozent, wie das Schulministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Am 4. November waren es noch 87,5 Prozent. Wegen Corona komplett geschlossen waren demnach 13 Schulen. 64000 Schülerinnen und Schüler waren in Quarantäne – umgekehrt konnten 95,9 Prozent der Schüler am Präsenzunterricht teilnehmen. Bei den Lehrkräften befanden sich (Stand Mitte November) rund 4700 in Quarantäne, bei 695 bestätigten Fällen.

Soweit die nackten Zahlen. Deren Interpretation fällt sehr unterschiedlich aus. Schulministerin Yvonne Gebauer sieht sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass Schulen keine Corona-Hotspots sind und hält an der Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts fest. Das Vorziehen der Weihnachtsferien um zwei Tage soll – so das Kalkül der Landesregierung – das Infektionsrisiko an den Weihnachtstagen senken.

Angst vor Ansteckung

Derweil wachsen an den Schulen in Nordrhein-Westfalen Sorge, Unsicherheit und Unzufriedenheit. »Viele Kolleginnen und Kollegen haben Angst davor, sich in der Schule anzustecken«, berichtet ein Lehrer an einer Realschule im Ruhrgebiet. Problematisch seien zum einen die viel zu vollen Klassen, zum anderen die Lüftungssituation. Fenster könnten zum Teil nicht vollständig geöffnet werden, und eine Querlüftung sei nicht möglich.

Die Disziplin, die ein Großteil der Schülerinnen und Schüler beim Tragen der Alltagsmasken an den Tag legt, wird von vielen Lehrkräften gelobt. Kritisch sei hingegen das Gedrängel an den Schultüren, auf den Gängen und vor den Klassenräumen bei Unterrichtsbeginn. Mindestabstände könnten in dieser Situation kaum noch eingehalten werden, sagt eine Gesamtschullehrerin aus Ostwestfalen. Aufgrund räumlicher Engpässe im vollen Präsenzbetrieb könnten die vor den Ferien gültigen Hygienestandards nicht mehr eingehalten werden, denn das Händewaschen vor dem Unterricht und eine Desinfizierung der Tische nach jeder Doppelstunde seien zeitlich gar nicht möglich. »Im Kampf gegen die schädlichen Aerosole nimmt das Lüften einen großen Stellenwert an unserer Schule ein. Im Gegensatz zu anderen Schulen lassen sich bei uns alle Fenster weit öffnen, was die meisten Kollegen aus Angst vor einer Infektion auch gerne nutzen«, berichtet die Kollegin. »So stehen oder sitzen wir also mit Jacke, Mütze, Schal, Wolldecke und kalten Füßen im Unterricht und nehmen eine herkömmliche Erkältung in Kauf. Hauptsache, der Schulbetrieb läuft weiter…«

Schulen werden ausgebremst

Nicht nur in Solingen, wo ein stadtweit geplantes Wechselmodell aus Präsenz- und Distanzunterricht am Veto des Schulministeriums gescheitert ist, haben viele Schulen kreative Ideen, um Bildung auch unter einer sich zuspitzenden Corona-Lage zu ermöglichen. Die Gesamtschule Rheinbach zum Beispiel hat ein Konzept zum Distanzlernen erarbeitet und auf der Schul-Homepage veröffentlicht: www.ge-rheinbach.de/wp-content/uploads/2020/10/Konzept-Distanzlernen-nach-SK-30.09.2020-Homepage.pdf. Es beinhaltet drei Szenarien (Schüler*innen/Klassen in Quarantäne, rollierendes System, vollständige Schulschließung), erklärt Lehrer Tom Schipper. Das Konzept wurde von der Schulkonferenz abgesegnet und mit den Schülerinnen und Schülern besprochen.

»Es gibt mitdenkende Systeme, die zum Beispiel rollierende Pläne mit kleineren Lerngruppen ermöglichen könnten. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die über vielerlei Kanäle versuchen, den Kontakt zu ihren Lerngruppen und Klassen möglichst optimal zu gestalten. Es gibt neue Wege und Möglichkeiten. Leider wird dies oft ausgebremst«, bedauert ein Lehrer einer Realschule im Großraum Köln.

Quarantäne-Lotterie

Kritik üben viele Lehrkräfte an den unklaren Rahmenbedingungen. Einige Gesundheitsämter handhaben Quarantänemaßnahmen sehr streng, andere eher lax. Eine Lehrerin einer Gesamtschule im Rheinland beklagt, dass das örtliche Gesundheitsamt bei bestätigten Covid-19-Infektionen unter Schülern oder Lehrkräften kaum weiter reichende Quarantänemaßnahmen verhängt. Da ja gelüftet werde und alle Beteiligten Masken trügen, seien die übrigen Schüler der Klasse oder die Kolleginnen und Kollegen im Lehrerzimmer nach Auffassung der Behörde pauschal nur Kontaktpersonen zweiten Grades. »Dadurch fühlt man sich schnell hilflos«, so die Lehrerin.

Dort, wo Schüler in Quarantäne müssen, versuchen die Schulen, den Kontakt aufrecht zu erhalten. »Die Kommunikation und das Nacharbeiten für bis zu zweiwöchige Fehlzeiten klappen gut«, resümiert eine Lehrerin aus dem Münsterland, es gebe allerdings leider auch Ausnahmen: »Ein Schüler befindet sich wegen einer infizierten Angehörigen in Langzeit-Quarantäne – da klappt es mit den Aufgaben und dem Arbeiten gar nicht gut, obwohl wir jede Woche etwas schicken und auch Aufgaben wieder einfordern. Aber ich habe das Gefühl, dass uns dieser Schüler durch die Lappen geht. Bei 29 weiteren Schülerinnen und Schülern kann ich mich zeitlich aber nicht um jeden Einzelfall kümmern. Das ist schade! Aber ich fühle mich nicht in der Lage, daran etwas zu ändern.«

Aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 habe man einiges gelernt, sagt die Lehrerin. Ihr selbst falle der Unterricht von Angesicht zu Angesicht wesentlich leichter – und den Schülern ebenso. Es fehlte vor allem der strukturierte Tagesablauf des Präsenzunterrichts. Manche Schülerinnen und Schüler hätten bei Videochats um 11:00 Uhr verschlafen vor der Kamera gesessen. Das habe den Kindern gar nicht gutgetan und müsse bei eventuellen neuerlichen Schulschließungen oder Lockdown-Maßnahmen verändert werden. »Sollten wir geteilte Klassen haben, um die Anzahl der Schüler zu reduzieren, wäre das kein Problem, da wir ja im Präsenzunterricht einen Wochenplan ausgeben und besprechen können, so dass die Schüler eigenverantwortlich zuhause lernen müssen. Wir geben den Input in Präsenz und besprechen in Präsenz, das fände ich gut«, betont die Kollegin.

Flexibilität ist gefragt

Was ist zu tun? Viele Schulen bereiten sich im Hintergrund auf eventuelle lokale oder weitflächigere Schulschließungen vor, wie zahlreiche Rückmeldungen an lehrer nrw zeigen. Viele bauen eine Infrastruktur auf, um Kinder im Fall der Fälle auch zuhause effektiv zu unterrichten. Lernplattformen wie Logineo oder Padlet, Videoplattformen wie Jitsimeet oder Zoom oder Teams oder andere werden eingeübt. Auch Modelle für Zweischichtsysteme oder Hybrid-Unterricht als Kombination aus Präsenz- und Distanzlernen liegen in der Schublade. Beatrix Meuskens und Rüdiger Germer vom lehrer nrw?- Kreisverband Niederrhein bringen es auf den Punkt: »Es ist deutlich mehr Flexibilität gefragt! Die Lehrer und Schulleitungen sind mit ihren Planungen weiter als viele vermuten. Man muss sie nur lassen!«

Jochen Smets

Der Standpunkt von lehrer nrw

»Die von der Landesregierung mantraartig wiederholte Formel, den Präsenz-unterricht so lange wie möglich aufrecht erhalten zu wollen, ist angesichts einer steigenden Zahl von Corona-Fällen und Quarantäne-Anordnungen bei Lehrkräften und Schülern nicht ausreichend«, sagt der lehrer nrw-Vorsitzende Sven Christoffer. Starre Regelungen, die landeseinheitlich und über alle Schulformen hinweg gültig sein sollen, können in der jetzigen Situation nicht mehr funktionieren.

Dringend nötig sind passgenaue, auf den jeweiligen Standort, die Region und die einzelne Schule zugeschnittene Lösungen. Dabei muss den Schulen auch ein Spielraum gegeben werden, der ihre individuelle Situation, die räumlichen Gegebenheiten, die technischen Möglichkeiten, die Infektionslage vor Ort und die Personaldecke berücksichtigt. Viele Schulen haben bereits eigene Konzepte erarbeitet. Ansätze wie ein gestaffelter Schulbeginn, ein Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht oder rollierende Modelle mit kleineren Lerngruppen sind hier zum Beispiel denkbar. »Die Landesregierung muss den Schulen und den Kommunen ein Rahmenkonzept an die Hand geben, innerhalb dessen sie sich rechtssicher bewegen können. Denn die Experten sitzen vor Ort und nicht im Ministerium. Wichtig wäre zudem eine punktgenaue Teststrategie, die ein präzises Bild des Infektionsgeschehens vor Ort liefert und dazu beitragen kann, Quarantänezeiten deutlich zu verkürzen«, so Christoffer.

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»Das Lernen wird lebendiger«

Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung des Unterrichts einen enormen Schwung versetzt. Dazu gehört auch der Einsatz von eBooks. Der Autor und Konrektor der Realschule am Hemberg in Iserlohn, Jochen Ciprina, unterrichtet Physik und Chemie und spricht über die Vorteile des digitalen Lernens.

lehrer nrw: Wie unterscheidet sich eigentlich ein eBook von einem Schulbuch als Printprodukt? Was ist ähnlich, wo liegen die Unterschiede?

Ciprina: Bis vor kurzem war ein eBook häufig einfach nur die digitale Version des Printprodukts. Da gab es kaum Unterschiede, außer natürlich in der Haptik und dass sie weniger wiegen als ein herkömmliches Schulbuch. Inzwischen leisten eBooks viel mehr. Die Schülerinnen und Schüler können Notizen oder Markierungen einfügen und Zusatzfunktionen nutzen. Um ein Beispiel zu nennen: Der Platz im Schulbuch ist begrenzt. Wer mehr zu einem bestimmten Thema erfahren möchte, erhält über Lehrwerkcodes Zugang zu weiteren Materialien auf der Verlagswebsite.

eBooks sind also sehr flexibel einsetzbar. Was können sie noch?

Ciprina: Den größten Nutzen sehe ich in den diversen Zusatzmodulen. Das Lernen wird abwechslungsreicher und dadurch lebendiger. Die Schülerinnen und Schüler können sich passend zum Lernstoff ein interaktives Experiment ansehen oder das Tafelbild meines Unterrichts abfotografieren und bearbeiten. Normalerweise geht ja viel Unterrichtszeit dafür drauf, ein Tafelbild oder einen Versuchsaufbau abzuschreiben bzw. abzumalen.

eBooks machen den Unterricht demnach nicht nur flexibler, sondern auch schneller. Profitieren davon alle Schülerinnen und Schüler?

Ciprina: Ja, denn ich kann als Lehrer in Kombination mit dem digitalen Unterrichtsassistenten steuern, welche Aufgabe oder welche Übung für einen Schüler relevant ist, was er überspringen oder auch vertiefen kann. Der Einsatz von eBooks macht überhaupt nur dann Sinn, wenn ich auch mit einem digitalen Unterrichtsassistenten arbeite. Darin enthalten sind das Schülerbuch, der Lehrerband sowie weitere Materialien und Arbeitsblätter, die auf die digitalen Schulbuchseiten abgestimmt sind. Ich würde sagen, durch den digitalen Unterricht können wir Lehrkräfte individueller auf das Lerntempo der Schülerinnen und Schüler eingehen. Und auch die Kinder selbst können ihr Lerntempo besser bestimmen.

Diese schöne neue Unterrichtswelt braucht die passende digitale Ausstattung. Wie haben Sie diese Herausforderung an Ihrer Schule gelöst?

Ciprina: Da kam uns Corona zu Hilfe. Das muss man ganz klar so feststellen. Dadurch stieg die Aufgeschlossenheit sowohl bei den Kolleginnen und Kollegen als auch bei den Eltern. Konkret heißt das: Inzwischen arbeitet jeder meiner 49 Kolleginnen und Kollegen mit einem iPad, und in einem Pilotprojekt nehmen zurzeit zwei siebte Klassen an dem Projekt iPad-Klasse zum tabletgestützten Unterricht teil. Ich beobachte dabei, dass die Kinder ganz unbefangen und mit viel Spaß zugange sind. Ein Schüler hat zum Beispiel beim Ausprobieren einfach mal eine Seite im digitalen Buch durchgestrichen. Macht ja nichts. Kann man rückgängig machen. Geplant ist, dass alle Klassen der Jahrgangsstufe 7 iPad-Klassen werden. Das ist bereits von der Schulkonferenz abgesegnet. Wir haben die Eltern, die zum vergangenen Schuljahr ihre Kinder bei uns angemeldet haben, bei den Aufnahmegesprächen informiert, und sie haben zugestimmt. Was noch wichtig ist, wenn Sie nach Technik fragen: Wir haben jetzt im ganzen Gebäude WLAN.

Warum konzentrieren Sie sich auf die Klassen 7?

Ciprina: Unsere iPads werden durch die Eltern finanziert. Wenn wir in der Klasse 5 beginnen würden, müssten die Schülerinnen und Schüler die iPads über mindestens sechs Schuljahre verwenden. Ob die Geräte technisch so lange durchhalten, ist fraglich. Für die Eltern hätte dies dann erneute Anschaffungskosten zur Folge. Da wir in der Klasse 7 beginnen, können wir davon ausgehen, dass das iPad vier Jahre bis zum Ende der Schulzeit an der Realschule genutzt werden kann.

Eine Frage zur Digitalisierung in den Elternhäusern: Während des Lockdowns hatte sich gezeigt, dass viele Familien für einen Online- oder auch Hybrid-Unterricht nicht gut genug ausgestattet waren. Passt das auch zu Ihrer Beobachtung?

Ciprina: Allerdings. Eltern und Kinder haben Smartphones – und das war es dann auch schon. PCs und Drucker fehlen in vielen Familien. Was mich aber noch mehr gewundert hat: E-Mails gelten bei den Kindern als absolutes ’Oldschool’-Medium zur Kommunikation. Inzwischen hat bei uns jede Schülerin und jeder Schüler eine eigene Schulmail und auch alle Eltern.

Zurück zu dem Einsatz von eBooks im Unterricht. Haben Sie noch Wünsche an die Hersteller?

Ciprina: Ja, es wäre zum Beispiel gut, wenn die Nutzung der eBooks für zwei Jahre statt nur für ein Jahr möglich wäre. Wir arbeiten an unserer Schule in Doppeljahrgängen und müssen nach jedem Jahr neu bestellen. Außerdem sind manche Lizenzen daran gebunden, das Printprodukt ebenfalls zu kaufen. Das finde ich nicht so gut.

Was meinen Sie: Wie sieht der Unterricht der Zukunft aus?

Ciprina: Ich denke, die Zukunft liegt eindeutig im digitalen Lernen. Ich habe zum Beispiel bei einer Englisch-Kollegin gesehen, wie die Schülerinnen mit Hilfe der Green Screen-Technik – dafür braucht man ein grünes Tuch – ihre englischen Dialoge vor dem Piccadilly-Circus in London sprachen. So kann man authentische Sprachanlässe generieren, ohne dorthin reisen zu müssen. Eine super Sache! Andere Kollegen experimentieren mit Stop-Motion-Filmen, dafür gibt es inzwischen eigene Apps. Die Möglichkeiten sind einfach enorm!    

Das Gespräch führte Inge Michels

Dieses Interview ist im Klett-Themendienst, Ausgabe 11/2020, erschienen

Zur Person

Jochen Ciprina ist Lehrer für Physik und Chemie an der Realschule am Hemberg in Iserlohn und schreibt als Autor unter anderem über digitale Grundbildung.

Originalbeitrag (PDF-Datei)


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