Die Digitalisierung hält unaufhaltsam Einzug in unser Leben. Sind Google, Facebook, WhatsApp & Co. Teufelszeug oder Heilsbringer? Gehören Handys und Tablets in der Schule ausgeschaltet oder in den Unterricht? Zwei Standpunkte von Jürgen Kuntzig und Brigitte Mahn.

Die Zukunft ist digital

Es wäre fatal anzunehmen, dass die meisten Schülerinnen und Schüler, die Selfies mit Duckface per Whats-App versenden, dort irgend etwas daddeln, sich per SMS verabreden oder irgendwelche Unterhaltungs-Apps spielen, in der Lage sind, digitale Medien sinnvoll und zielführend in der Schule und späteren Ausbildung anzuwenden. Woher sollen sie das auch können? Das muss gelernt werden. Und wo, wenn nicht in der Schule?

Leider sind wir beim Einsatz von digitalen Medien im Unterricht im internationalen Vergleich noch ein Entwicklungsland, wie es der junge Softwareentwickler Bilal Reffas am 13. Oktober 2016 im TV-Talk bei ‘Markus Lanz’ treffend bemerkte und das Fach Digitalkunde in deutschen Schulen forderte. Aber es reicht eben auch nicht aus, wenn ‘digitaler Unterricht’ sich auf den gelegentlichen Einsatz im Computer-Raum beschränkt und die digitale Ausstattung (PC, Beamer, Verdunklungsmöglichkeit in jedem Klassenraum) an vielen Schulen nicht gegeben ist – von einer brauchbaren W-LAN-Vernetzung ganz zu schweigen.

Was fehlt

Neben einer entsprechenden technischen Ausstattung der Schulen durch den Träger wären ausreichend viele und qualifizierte Fortbildungskurse seitens der Bezirksregierungen dringend erforderlich, damit mehr Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit bekommen, sich mit der Anwendung digitaler Technik und Programmen auseinanderzusetzen. Das Motto sollte heißen: Digitaler Unterricht dort, wo er – sinnvoll und zielführend angewendet – konventionelle Unterrichtsformen ergänzen und unterstützen kann.

Soweit vorhanden, bieten sich in der Schule dazu PC oder mobile Geräte (Smartphones, Tablets) in Verbindung mit Beamern und dem Internet an.
Da heutzutage nahezu jeder Haushalt einen PC mit Internetanschluss besitzt, sind auch Hausaufgaben unter Einbeziehung des Internets möglich und sinnvoll. Bei der Internetrecherche sollten Schülerinnen und Schüler grundsätzlich auch handschriftlich dokumentieren und nicht nur Kopien als Ergebnis vorlegen. Das Internet bietet dazu eine schier unglaublich große Datenquelle, die augenblicklich zur Verfügung steht und mit Erfahrung auch ad hoc im Unterricht verwendet werden kann.

Nützliche Links

Internetportale, die zum Teil interaktive Aufgaben kostenlos anbieten (zum Beispiel www.aufgabenfuchs.de/mathematik/bruch/bruchteile.shtml, www.zum.de/dwu/ oder www.unterrichtsmaterial-schule.de/), können unter anderem in den Fächern Mathematik und Physik eine hervorragende Ergänzung im Unterricht und bei der Hausaufgabenstellung sein.

Das Internetportal ‘YouTube’ nutze ich seit kurzem zur teilweisen Darstellung meines Matheunterrichts. Unter ‘mEINFACHmathe’ können meine Schülerinnen und Schüler dort Versäumtes mit Ihren Mobiles oder PCs anschauen oder einfach wiederholen. Natürlich ist das, erstens, nicht jedermanns Sache und, zweitens, recht zeitaufwändig. Aber für Internet-affine Lehrkräfte kann das eine sinnvolle Ergänzung sein, die obendrein Spaß macht.

Unterricht und Apps

Für die Ergänzung im Unterricht gibt es für viele Fächer hervorragende Apps. Wenn die schulseitige, technische Ausstattung stimmt (idealer Weise mit LAN und W-LAN), benötigen wir eine enthusiastische Lehrkraft, die bereit ist, ihr Smartphone oder Tablet mit geeigneter Schnittstelle (Adapter) für den Beamer im Unterricht einzusetzen. Hier ist schon sehr viel privates Engagement notwendig.

Hier einige Beispiele aus dem App-Store von Apple: Im Fach Physik (‘Solar Walk’) sind Ereignisse im Weltraum wie die Darstellung einer Sonnenfinsternis oder der Größenvergleich von Himmelskörpern, die Mondlandung und vieles mehr einfach unschlagbare Unterrichtsergänzungen.

In der Chemie (‘Merck PSE’, ‘Periodic Table’) gibt es viele oft kostenlose Apps, die das Periodensystem der Elemente sehr dynamisch mit vielen Hintergrundinformationen und zum Teil mit Videos präsentieren. Gefährliche Versuche können bei ‘YouTube’ problemlos angeschaut werden. Wobei die Zeitlupenanschauung gegebenenfalls sicherlich mehr Einblick gewährt als ein Knäuel von oftmals dreißig Schülern, die um einen Versuchsaufbau gruppiert stehen.

In der Biologie (‘Der menschliche Körper’) sind ebenfalls sehr anschauliche Apps zur dynamischen und teilweise interaktiven Darstellung des menschlichen Körpers vorhanden. Tolle Apps habe ich in der Mathematik für viele Themen unter ‘Brainigcamp’ im App-Store gefunden.

Aber auch für Erdkunde (‘Atlas’, ‘Geomaster Plus’, ‘Dynamic Plates’, ‘EarthAge’), Geschichte (‘Londinium’, ‘Geschichte’), Politik (‘Bundesrat’), Musik (‘GarageBand’, ‘Note Trainer’, Kunst (‘Art Gallery’, ‘Collection’), Französisch und Englisch (‘Duolingo’), Deutsch (‘Grammatik’) und andere Fächer gibt es Apps für die Unterrichtsergänzung.

Noch ein weiter Weg zum digitalen Unterricht

Darüber hinaus wäre wie bereits erwähnt natürlich die Einführung des Faches Digitalkunde wichtig, in dem unter anderem Grundzüge von digitalen Vernetzungsstrukturen und Programmiersprachen gelehrt werden. Von einem hauptsächlich ‘digitalen Unterricht’ an dem jeder Schüler mit ‘eigenem Gerät’ teilnimmt sind wir wegen fehlender Finanzen noch meilenweit entfernt. Dabei ist das technisch seit langem machbar. Es gibt ja in Deutschland schon einige Schulen mit ‘iPad-Klassen’.

Einen Lichtblick offenbaren da die Pläne von Bundesbildungsministerin Dr. Johanna Wanka. Sie möchte in den nächsten fünf Jahren fünf Milliarden Euro in ein Digitalpaket für Schulen, Lehrerausbildung und -fortbildung investieren. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 bleibt zu sagen: An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen.

Fakt ist:

Schon in naher Zukunft werden sehr viele Bereiche unseres Alltags (Jobs, Produkte, Medien…) in sehr hohem Maße digital sein. Wenn wir in Deutschland nicht nur User sein wollen, sondern unsere künftigen Arbeitskräfte und Arbeitsplätze maßgeblich mitgestalten möchten, wäre es sicherlich hilfreich, die Weichen dafür rechtzeitig zu stellen. Die Zukunft ist digital! Ob es uns gefällt oder nicht.   

Jürgen Kuntzig

Zur Originalausgabe (PDF-Datei)


 

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Möge die Macht mit uns sein!

Beklagenswert sei es um die frühe Mediennutzung in unserem Land bestellt, wir müssten uns schon jetzt international abgehängt fühlen im Hinblick auf die mangelnden Kompetenzen! Geschimpft wird – natürlich – auf die Bildungseinrichtungen Schule und Hochschule, die unzureichend und viel zu spät einsetzend auf die digitale Lebens- und Arbeitswelt vorbereiten.

Arbeiten wir womöglich alle mit am digitalen Untergang unserer Republik? Zur Beruhigung: Mittlerweile sind statistisch 98 Prozent der Zwölfjährigen täglich zwischen einer halben und einer Stunde online, und die Technik an sich tut den Kindern auch nichts ‘Böses’ an.

Medienkompetenz

Was sagt es aus, wenn Kinder und Jugendliche fleißig über Bildschirme wischen? Genau … gar nichts! Medienkompetenz bedeutet nicht, online viel Zeit am Bildschirm des selbstverständlich modernsten Smartphones oder Tablets zu verbringen, da nur diese den Zugang zur modernen Welt offenbaren könnten. Das wird gerne suggeriert und geglaubt, obwohl wirtschaftliche Interessen allzu offensichtlich sind: ‘The big four’ – Amazon, Apple, Facebook und Google – haben mittlerweile einen Marktwert von 1728100000000 US-Dollar! (Quelle: wdr.aks vom 5. Februar 2016). Medienkompetenz bedeutet vielmehr, dass grundsätzlich – also auch offline – eine Kritikfähigkeit vorhanden sein muss. Diese wird nicht per App aktiviert, wenn ein schick designtes digitales Gerät hochfährt und auf dem Bildschirm eine bunte Scheinwelt aufleuchtet!

Diese Kritikfähigkeit muss ganz altmodisch in der realen Welt erworben werden! Ja, das kostet Zeit und ist anstrengend für alle Beteiligten – aber dafür funktioniert diese Kritikfähigkeit sogar bei weltweitem Stromausfall. Eine ernsthafte Konkurrenz zum WorldWideWeb! Ist sie unter Umständen deshalb einigen Interessenvertretern ein Dorn im Auge?

Eigenständiges Denken ist yesterday

Wer könnte sehenden Auges die weltumspannend vorhandenen negativen Einflüsse von Unternehmen und Konzernen (siehe ‘big four’) leugnen? Dennoch: Wer Fragen hat, sucht die Antworten immer seltener in inhaltlich und rechtlich abgesicherten Printversionen seriöser Nachschlagewerke, die wird es wohl bald gar nicht mehr geben. Na egal, eigenständiges Denken ist ja ohnehin sowas von yesterday! Zudem stört es wenig, dass Facebook-Freunde selten Zeit zum Helfen haben, denn es warten noch gefühlt weitere 499 Facebook-Freunde auf tiefgründige Nachrichten und Likes. Macht nichts, Google hat ja immer Zeit und weiß beinahe alles – auch über uns! Und nun?

Nicht nur die Antwort scheint vom Winde verweht, lange galt das auch für die Warnungen kritischer Wissenschaftler wie die des Wirtschaftsprofessors Scott Galloway. Der Börsenwert der ‘big four’ mit bald zwei Billionen US-Dollar ist fast so groß wie das Bruttosozialprodukt von Kanada, die tatsächliche Macht dürfte weitaus größer sein, und täglich füttern wir die Datenkrake Google und ihre Freunde. Mittlerweile scheint die Politik die Gefahr zu erkennen, aber im Hinblick auf Datenschutz hat sogar die EU ihre liebe Not, die Onlinekonzerne in ihre Schranken zu weisen – eine Gefahr auch für die Demokratie!
Die Geister, die wir riefen … haben ihre Macht durch uns!

Möge die Macht zu uns zurückkehren!

Erwerb von Medienkompetenz bedeutet nicht zuletzt, junge Leute immer wieder auf diese in Schieflage geratenen Entwicklungen und die Verantwortung eines jeden Individuums hinzuweisen. In letzter Konsequenz heißt das natürlich, dass man sich dieser Lage selbst jederzeit bewusst sein muss, selbst adäquat handeln muss, um diese kritische Haltung authentisch verkörpern zu können.    Brigitte Mahn

Info:
Lernen im Digitalen Wandel

Zum Abschluss des breit angelegten Dialogprozesses zum Thema ‘Lernen im Digitalen Wandel’ hat die Landesregierung ihr Leitbild für Bildung in Zeiten der Digitalisierung vorgelegt. Folgende übergreifende Ziele werden darin benannt: Teilhabe am digitalen Leben, Bildungsqualität, Bildungsgerechtigkeit, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, mehr Fachkräfte für den digitalen Wandel.

Die Landesregierung geht davon aus, dass ‘digitale Schlüsselkompetenzen’ neben Schreiben, Lesen, Rechnen zu einer neuen vierten Kulturtechnik werden. Dazu zählen insbesondere Medienkompetenz, Anwendungs-Know-how und informatische Grundkenntnisse.

Das Leitbild ‘Lernen im digitalen Wandel’ steht unter folgendem Link zum kostenlosen Download zur Verfügung: www.bildungviernull.nrw/landnrw/de/home/file/fileId/503/name/Leitbild_LernenImDigitalenWande

Zum Originaldokument (PDF-Datei)

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