Wenn guter Unterricht und damit gute Bildung gelingen soll, dann muss die Chemie zwischen Lehrern und Schülern stimmen. In diesem Zusammenhang spielt der Begriff Beziehungskompetenz eine wichtige Rolle. Konsequent angewendet, wirkt sie sich nicht nur förderlich auf das Klassenklima, sondern auch auf die Lehrergesundheit aus.

Nicht erst seit der Hattie-Studie wissen wir, dass die Lehrperson ein wesentlicher Gelingensfaktor von Bildungsprozessen ist. Die Aktionen der Lehrperson innerhalb des Unterrichtsgeschehens, aber auch die Interaktion zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern sind wesentliche Einflussfaktoren für die Effizienz von Unterrichts- und Lernprozessen. Nicht zuletzt deshalb setzt sich lehrer nrw dafür ein, die Lehrerrolle zu stärken und den Lehrer nicht zum Lernbegleiter zu degradieren.

Was zeichnet einen guten Lehrer aus?

Selbstredend sind fachwissenschaftliches, fachdidaktisches, methodisches und lernpsychologisches Wissen als grundlegend anzusehen. Darüber hinaus werden Merkmale wie Authentizität, Souveränität, Humor, Sprachfähigkeit, Gerechtigkeitssinn und Offenheit immer genannt, wenn nach den Merkmalen eines ‘guten’ Lehrers gefragt wird.

Der Begriff der Beziehungskompetenz

Seit etwa zehn Jahren wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff ‘Beziehungskompetenz’ des Lehrers oder der Lehrerin genannt. Dieser Begriff taucht in den Veröffentlichungen von Jesper Juuls und auch bei Prof. Dr. Joachim Bauer (Universität Freiburg) immer wieder auf.Prof. Bauer (Arzt, Neurobiologe und Psychotherapeut) forschte zum Thema Gesundheit schulischer Lehrkräfte. Im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin führte Bauer Untersuchungen durch, dabei wies er eine hohe stressbedingte Belastung im Lehrerberuf nach. Auf der Basis einer dezidierten Analyse der Ursachen entwickelte der Wissenschaftler im Auftrag der Bundesanstalt eine Gesundheits-Präventionsmaßnahme für Lehrkräfte (‘Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell’), deren Effektivität im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie nachgewiesen wurde. Dieses Programm wurde ab 2011 von der Landesregierung Baden-Württemberg zu einer bis heute weitergeführten Gesundheitspräventionsmaßnahme für schulische Lehrkräfte gemacht. Ein wesentliches Ziel des Programms ist die Stärkung der Beziehungskompetenz des Lehrers. Dabei wirkt diese Stärkung zum einen präventiv auf die Lehrergesundheit, weil sie die Stresssymptomatik des Lehrers / der Lehrerin durch die positivere Gestaltung von Interaktionsprozessen minimiert. Andererseits optimiert sie Lern- und Unterrichtsprozesse, was zu störungsfreierem und damit effektiverem Unterricht führt. Auch dies stärkt die Berufszufriedenheit der Lehrerin/des Lehrers und wirkt mithin gesundheitsfördernd.

Frank Görgens

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Was bedeutet Beziehungskompetenz?

Prof. Bauer geht davon aus, dass Anerkennung, Zugewandtheit und Vertrauen der neurobiologische Treibstoff für die Motivationssysteme der Schülerinnen und Schüler sind.

Er präzisiert und definiert Beziehungskompetenz durch die folgenden zentralen Begriffe.

  1. Sehen und gesehen werden (zum Beispiel einen Schüler als Individuum betrachten, dessen Interessen, Sorgen wahrnehmen und danach ernsthaft interessiert fragen): Kinder nehmen wahr, wie sie von Erwachsenen wahrgenommen werden, weil sie unbewusst eine Auskunft über sich erwarten: »Zeig mir, durch die Art, wie du auf mich reagierst, wo ich gut bin und wo ich mich verbessern muss.« »Zeig mir, wer ich bin und was ich werden kann, was meine Potenziale sind (was du mir zutraust).« So könnten Leitsätze lauten, die diesen Punkt veranschaulichen.
  2. Gemeinsame Aufmerksamkeit gegenüber etwas Drittem (zum Beispiel einem gemeinsamen Projekt nachgehen oder etwas unternehmen). Sich dem zuzuwenden, wofür sich eine andere Person interessiert, ist die einfachste Form der Anteilnahme und hat ein erhebliches Potenzial, Verbindung herzustellen. Haben Schüler das Gefühl, dass sie sich ausschließlich für das interessieren ‘müssen’, was ihnen die Lehrer vorgeben, ergibt sich daraus nicht das Gefühl einer gemeinsamen Aufmerksamkeit.

    Zeigt ein Lehrer wenig Interesse an dem, was seine Schüler interessiert, wird dies als Geringschätzung erlebt. Das wirkt dämpfend auf die Motivation, sich weiter für die Beziehung zu engagieren: Der Schüler zieht sich oft mit einem beschädigten Selbstwertgefühl zurück.

  3. Emotionale Resonanz (zum Beispiel Betroffenheit über Misserfolge oder belastende Ereignisse im Umfeld eines Jugendlichen oder gemeinsame Freude über Erfolge). Gemeint ist die Fähigkeit, sich zu einem gewissen Grade auf die Stimmung eines anderen einzuschwingen oder andere mit der eigenen Stimmung anzustecken. Wem diese Fähigkeit nicht von Natur aus geschenkt ist, kann durch etwas innere Achtsamkeit zumindest verhindern, dass durch Nichtbeachtung dieses Elements in Beziehungen Schaden entsteht. Einem Schüler, der gerade vom Tod seines Haustieres berichtet, unvermittelt zu sagen, dass wir schließlich alle einmal sterben müssen, wäre ein Beispiel fehlender Resonanz. Mitfühlende Betroffenheit, die sich in einer kongruenten Mimik ausdrückt, ohne im Mitleid aufzugehen, wäre ein Zeichen gelungener emotionaler Resonanz.

    Eine besondere Form sozialer Resonanz ist das gemeinsame Lachen. Forscher konnten zeigen, dass Humor und das damit verbundene Lachen an eine Reaktion der Dopamin-Achse gekoppelt ist. Die Dopamin-Achse erhält von den Emotionszentren des Gehirns Informationen darüber, ob in der Außenwelt Objekte vorhanden sind, für die es sich lohnt, aktiv zu werden. Alles, was zwischenmenschliche Resonanz und soziale Verbundenheit erzeugt, scheint für die Bildung dieses Glücksbotenstoffes gut zu sein: Auch das gemeinsame Singen stimuliert die Oxytocin-Produktion. Menschen, mit denen wir gute Erfahrungen machen, aktivieren unsere Motivationssysteme.

  4. Gemeinsames Handeln (zum Beispiel die gemeinsame Renovierung des Klassenzimmers oder der Kuchenverkauf in der Pause). Etwas miteinander zu machen, ist ein unterschätzter, tatsächlich aber in hohem Maße Beziehung stiftender Aspekt. Trotzdem werden gemeinsame Aktionen oft als pädagogischer Luxus angesehen. Es empfiehlt sich, pro Schuljahr mehrere gemeinsame Aktivitäten durchzuführen. Wenn die Schüler ihren Lehrer bei solchen Aktivitäten erleben, wird dies auch ihre Bereitschaft steigern, die schulische Lernarbeit als gemeinsame Aufgabe zu sehen, was sich unmittelbar positiv auf die Beziehung auswirkt.
  5. Grundsätzliche Kooperationsbereitschaft und das angeborene Bedürfnis nach Fairness. In verschiedenen Experimenten fand man heraus, dass der Mensch auf Kooperation und Fairness angelegt ist, allerdings mit einer Einschränkung: Kooperation ist nur dann eine Strategie, wenn der Mensch im Falle einer Nicht-kooperation des Partners, Gleiches mit Gleichem zu vergelten bereit ist. Dieses ‘Zurückzahlen’ steht allerdings ganz im Dienst des Grundbedürfnisses nach Beziehung und ist diesem untergeordnet. Demnach lautet die Erfolgsstrategie: Sei freundlich (sei als Erster bereit zu kooperieren), ‘schlage’ bei Unfreundlichkeit ‘zurück’ (reagiere auf den Versuch, dich zu übervorteilen). »Sei nicht nachtragend« (versuche es, nachdem du ‘zurückgeschlagen’ hast, erneut mit Kooperation).

    Gerade im Umbruch befindliche Jugendliche brauchen Partner, die die jugendliche »Suche nach dem richtigen Weg« nicht als persönliche Provokation empfinden, sondern erkennen, dass der Schüler Partner braucht, die ihm durch ihr Verhalten spiegeln, welches richtige und falsche Wege sind.

  6. Das wechselseitige Verstehen von Motiven und Absichten (zum Beispiel keine vorschnellen Annahmen über die Motive eines/einer Schüler/in treffen, sondern über diese in Dialog gehen, Motive des eigenen Handelns offen legen). Dieser Punkt ist die ‘Königsklasse’ der Beziehungskunst und gelingt, wenn auch die anderen Komponenten eingelöst sind. Um jemanden zu verstehen, bedarf es nicht nur einer guten Beobachtungsgabe und intuitiver Fähigkeiten, sondern vor allem auch des Gesprächs. Wo Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern schwierig sind und man den Rat gibt, doch einmal miteinander zu sprechen, hört man von Schülern oft: »Mit ihm oder ihr kann man nicht reden!« Eine Überfülle von Aufgaben lassen oft keinen Raum für diese so wichtige Komponente der Beziehungsgestaltung.

    Eine Sparmaßnahme unseres Gehirns ist, dass es sich immer wieder neues Verstehen erspart und stattdessen anderen Menschen Motive und Absichten nach einem Schema unterstellt. Das Ergebnis im Hinblick auf aktuelle Beziehungen ist dann mitunter nicht positiv. Diese Gefahr ist besonders für Lehrer groß, weil sie Jahr für Jahr mit immer ähnlichen Problemen aber doch jedes Mal wieder mit ‘neuen’ Menschen zu tun haben.

Info:

Die schulpsychologischen Dienste der nordrhein-westfälischen Kommunen bieten oftmals Lehrerfortbildungen zum Thema Stärkung der Beziehungskompetenz des Lehrers an. lehrer-coachinggruppen.dehttps://lehrer-coachinggruppen.de/ Bauer2010_PaedagogikBeziehung.pdf

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