Wer hat sich noch nicht gefragt, wie Zuwandererkinder bei uns in Nordrhein-Westfalen auf die Schulbank kommen? Beim Versuch, das zu beantworten, gibt es keine Garantie, dass das (noch) immer so geschieht und auch (immer) klappt, wie es hier beschrieben wird. Vieles muss in kleinen Schritten erprobt bzw. umgesetzt werden, da ein Gesamtkonzept fehlt, das landesweit einheitliche, klare Vorgaben macht.

Wenn einmal die elf geplanten EU-Hotspots funktionieren, ‘starten’ die Zuwandererkinder dort, um identifiziert zu werden und einen Asylantrag zu stellen. Hier wird entschieden, in welches EU-Land sie gebracht werden sollen, das über ihren Asylantrag entscheidet, oder ob sie direkt in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.

Beim Grenzübergang nach Deutschland werden alle in sogenannten Ankunftszentren registriert und einer Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) zugewiesen. Über das EDV-System ‘EASY’ (Erstverteilung von Asylsuchenden) des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfolgt die weitere Verteilung innerhalb Deutschlands.

Rund ein Fünftel aller Flüchtlinge (21,2 Prozent), die nach Deutschland kommen, nimmt Nordrhein-Westfalen auf. Berechnet wird das nach dem sogenannten ‘Königsteiner Schlüssel’, der die Bevölkerungszahl und die Steuereinnahmen eines Landes berücksichtigt. Mit dieser Verteilungsquote steht Nordrhein-Westfalen an der Spitze. Es folgen Bayern mit 15,3 Prozent und Baden Württemberg mit 12,9 Prozent.

EAE, ZUE und BüMA

In Nordrhein-Westfalen angekommen, wird man in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) registriert, gesundheitlich untersucht und geröntgt – eventuell auch gegen ansteckende Krankheiten geimpft. Die EAE meldet die Ankunft bei der Ausländerbehörde an, damit man dort die BüMA (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) erhält. Nach wenigen Tagen wird man in einer der 25 ZUE (Zentralen Unterbringungseinrichtung) oder – wenn es dort nicht genügend freie Plätze gibt – in einer Notunterkunft untergebracht.

Die ZUE ist für die Sicherung des Lebensunterhalts (Versorgung, Unterkunft, ärztliche Betreuung, monatliches Taschengeld) zuständig und gibt Informationen über das weitere Verfahren und darüber, welche Außenstelle des BAMF für ein Asylverfahren zuständig ist.

In der Außenstelle des BAMF gibt es die sogenannte Aufenthaltsgestattung. Dieses Dokument bestätigt, dass der Asylantragsteller sich rechtmäßig in Deutschland aufhält. Können Migranten diesen Nachweis nicht führen, kann ihr Aufenthalt in Deutschland ggf. zwangsweise beendet werden. Werden sie anerkannt, gibt es zunächst einen befristeten Aufenthaltstitel. Nach drei Jahren wird eine Niederlassungserlaubnis erteilt, wenn die Gründe für die Anerkennung nicht bis dahin weggefallen sind. Wann die Flüchtlinge die ZUE verlassen können und in die kommunalen Unterkünfte kommen, hängt vom Verfahrensstand beim BAMF ab.

Sobald das BAMF – spätestens nach drei Monaten – entscheidet, dass ein Asylverfahren durchgeführt wird, werden die Flüchtlinge den 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen nach einem festgelegten Verteilerschlüssel, der sich insbesondere an der Bevölkerungsstärke orientiert, zugeteilt. Dort warten sie den Abschluss ihres Verfahrens ab. Eine sogenannte ‘Umverteilung’ (Familienzusammenführung) in eine andere Gemeinde ist unter engen Voraussetzungen auf Antrag möglich.

Unbegleitete Minderjährige, die nach dem 1. November 2015 in Deutschland eingereist sind, werden durch das örtlich zuständige Jugendamt zunächst vorläufig in Obhut genommen. Um die Belastungen der Kommunen gerecht zu verteilen, werden sie innerhalb von vierzehn Tagen bundesweit verteilt.

Wenn eine Familie einer Stadt oder Gemeinde zugewiesen worden ist und sie einen Asylantrag beim BAMF gestellt hat, benachrichtigt die zugewiesene Kommune die Familie über eine mögliche Schulpflicht der Kinder bzw. den Besuch einer Kita. Alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen müssen in den Gesundheitsämtern vor Ort an einer Gesundheitsuntersuchung teilnehmen.

Der idealtypische Weg in eine Schule

Das Kommunale Integrationszentrum (KI) erfasst die Daten der neu zugewanderten und geflüchteten schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen (z.B. vorausgegangene schulische Biographie, vorhandene Sprach- und Schriftkenntnisse). Auch die Erfassung der gesamten Lebenssituation (rechtlich, familiär, wirtschaftlich?…) ist wichtig, da sie Auswirkungen auf einen wünschenswerten Schulplatz hat. Für die erste Einschätzung des Leistungspotenzials eines Kindes/eines Jugendlichen vertrauen die KI auf die unterschiedlichen Ausbildungen, vielfältige Sprachkompetenzen, langjährige Arbeit mit dem Klientel sowie Fortbildungen ihrer Mitarbeiter.

Bei der Beratungstätigkeit hat es sich zunächst als hilfreich erwiesen, mit freiwilligen Dolmetschern die Eltern zu beteiligen. Besser noch ist die Einbindung pädagogischer Fachkräfte mit Herkunftssprachenkompetenzen, von Integrationslotsen, Integrationsberatern etc. Der Bedarf an zusätzlichen Kapazitäten ist hier hoch.

Die Kommune prüft in Abstimmung mit der Schulaufsicht und der betroffenen Schulleitung die altersgerechte Zuweisung in eine Auffang- bzw. Vorbereitungsgruppe an die entsprechende Schulform – möglichst wohnortnah.

Grundlagen für den späteren Schulbesuch sind neben der Kooperation mit den Eltern wesentliche Informationen über die Schulpflicht, kostenlosen Zugang zur Bildung, zur Koedukation, zur Schulbesuchsdauer, zum Schulsystem etc.

Im ländlichen Raum kam es früher eher zur Einzelintegration (Primarstufe bis gymnasiale Oberstufe). Inzwischen starten die Schüler in sog. Auffang- und Vorbereitungsklassen (Sekundarstufe I) bzw. internationalen Förderklassen (Berufskolleg).
Erforderlich ist – wie immer – die kontinuierliche, eng aufeinander abgestimmte Kommunikation und Koordination der verschiedenen Partner: Kommunales Integrationszentrum, Kommune als Schulträger, Schulaufsicht und die Schulen aller Schulformen.

Beschulung in größeren Städten und kleineren Kommunen

In kleinen Kommunen oder Kreisen wohnen entsprechend weniger Flüchtlinge als in größeren Städten von Nordrhein-Westfalen, zu denen Köln, Dortmund, Düsseldorf, aber auch schon Münster zählen. Aus diesem Grund verläuft auch die Beschulung der Zuwandererkinder und Jugendlichen verschieden.

In kleineren Städten erhalten die Schülerinnen und Schüler meist Regelunterricht in Regelklassen. Für mehrere Förderstunden werden sie aus der Klasse herausgenommen und haben Deutschunterricht.

Größere Städte stellen Vorbereitungsgruppen (noch vor Beginn des Schuljahres), Auffangklassen oder internationale Förderklassen bereit. In Auffangklassen lernen viele Flüchtlinge gemeinsam. Internationale Förderklassen an Berufskollegs dauern ein Jahr und ermöglichen Jugendlichen den Übergang in einen weiterführenden Bildungsgang und somit den Erwerb eines Schulabschlusses.

Begabte Schülerinnen und Schüler ausländischer Herkunft beispielsweise aus dem Rhein-Kreis Neuss, die entweder über keine Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen oder große Sprachdefizite aufweisen, werden im Neusser Quirinus Gymnasium auf den gymnasialen Unterricht vorbereitet bzw. zusätzlich im Fach Deutsch gefördert.

Ziel der Maßnahme ist es, die deutsche Sprache in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren auf einem Niveau zu vermitteln, das eine erfolgreiche Teilnahme am gymnasialen Unterricht ermöglicht. Zwei Drittel der Projektabsolventen erreichten das Ziel der Integration am Gymnasium. Mehr als sechzig Prozent von ihnen erlangten bereits das Abitur oder die Fachhochschulreife, die anderen sind noch im regulären Schulbetrieb.

lehrer nrw fordert:
  • Einschulung nur nach Gesundheitsprüfung im Gesundheitsamt – sonst nicht
  • Ein landesweit einheitliches, klares Gesamtkonzept, das perspektivisch die Ressourcen und den Ausbau multiprofessioneller Teams berücksichtigt
  • Stärkung multiprofessioneller Teams durch Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter, Kräfte des offenen Ganztags, Fachleute aus der Jugend- und Integrationshilfe (wenn möglich selbst mit Migrationshintergrund)
  • Zusätzliche Stellen für die Schulsozialarbeit und Schulpsychologen vor Ort
  • Fortbildungen zur Sprachförderung (unter anderem DaZ für alle interessierten Lehrkräfte) sofort
  • Spezielle Kräfte, die sich ausschließlich um traumatisierte Kinder kümmern und ggf. auch deren Lehrkräfte betreuen
  • interkulturelle Trainer für diejenigen, denen aufgrund ihrer Sozialisation in ihrem Herkunftsland die Werte unserer Gesellschaft noch nicht vertraut sein können
  • Schulungen in interkultureller Kompetenz für alle Akteure der aufnehmenden Schulen
  • Schulungen und Fortbildungen der KI-Mitarbeiter
  • Rekrutierung zusätzlicher pädagogischer Fachkräfte mit Herkunftssprachenkompetenzen für die KI
  • Einbindung von Pensionären ggf. durch finanzielle Anreize oder Reaktivierung
  • Vereinfachungen bei den formalen Anforderungen für die Lehrerlaubnis von Deutsch als Zweitsprache für eine Übergangszeit (z.B. durch Anstellung von Absolventen des Goethe-Instituts und auch VHS-Dozenten, bei denen Honorardumpings drohen)

Heribert Brabeck

VERTIEFENDE INFOS

  • Migration nach Deutschland www.bamf.de/DE/Migration/migration-node.html
  • Willkommen in Deutschland www.bamf.de/DE/Willkommen/willkommen-node.html
  • Ein Wegweiser für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge www.b-umf.de/images/willkommen/willkommendeutsch-web.pdf
  • Informationen für Flüchtlinge www.bezreg-arnsberg.nrw.de/integration_migration/fluechtlinge_in_nrw/info_fluechtlinge/index.php
  • Beschulung von Flüchtlingen und anderen Kindern und Jugendlichen in vergleichbaren Lebenssituationen www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Integration/Fluechtlinge/index.html

Zur Originalausgabe (PDF-Datei)


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