Dass Lehrkräfte an Sekundarschulen in kleineren Klassen weniger Pflichtstunden unterrichten als ihre Kolleginnen und Kollegen an Haupt- und Realschulen, ist von der Landesregierung gewollt. Um motivierte Lehrkräfte zu gewinnen, soll die neue Schulform, jenseits ideologischer Ansätze, besonders attraktiv erscheinen. Aber ist dieser Anreiz durch Ungleichbehandlung auch rechtens?

Sekundarschulen bieten ihren Beschäftigten vieles, wofür lehrer nrw seit Jahrzehnten engagiert eintritt. Im Vergleich zu Haupt- und Realschulen kleinere Klassen, eine optimierte Relation ‘Schüler je Stelle’ und weniger wöchentliche Pflichtstunden zeigen deutlich, welchen Stellenwert die neue Schulform gegenüber den bestehenden Schulformen für die Landesregierung hat.

Insbesondere die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden begegnet jedoch tiefgreifenden juristischen Bedenken. Zwar bestimmt §2 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Ausführung von §93 Abs. 2 SchulG, dass die Zahl der Pflichtstunden der Lehrerinnen und Lehrer an Realschulen in der Regel 28 Stunden wöchentlich beträgt. Eine entsprechende Pflichtstundenzahl gilt auch für Lehrkräfte an Hauptschulen. Für Sekundarschulen sieht §2 Abs. 1 Nr. 4 derselben Verordnung allerdings eine wöchentliche Pflichtstundenzahl von lediglich 25,5 Stunden vor. Die unterschiedliche Pflichtstundenzahl für Lehrkräfte an Sekundarschulen ist gegenüber Haupt- und Realschulen mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz jedoch nicht vereinbar. Der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 GG ist verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt wird, ohne dass es hierfür eine sachliche Rechtfertigung gibt.

Gleiche Rahmenbedingungen – ungleiche Einstufung

Aufgrund des demografischen Wandels und des veränderten Schulwahlverfahrens vieler Eltern war es zum Erhalt eines leistungsfähigen, umfassenden und wohnortnahen Schulangebots notwendig, eine neue Schulform zu schaffen, auch um kleineren Städten und Gemeinden zu ermöglichen, weiterhin weiterführende Schulen anzubieten. Nach den Regelungen der §§10 ff. SchulG sind die Anforderungen an die Ausbildung der Schüler in der Sekundarstufe I sowie die zu erreichenden Schulabschlüsse an den genannten Schulformen weitestgehend gleich. Auch die Bildungsgänge an den verschiedenen Schulformen unterscheiden sich nicht wesentlich. Insbesondere macht es keinen Unterschied, dass an der Sekundarschule auch gymnasiale Standards gewährleistet werden sollen. Hintergrund hierfür ist nicht die Angleichung der Sekundarschule an Gymnasien, sondern an Real- und Gesamtschulen. An Realschulen wird für Schülerinnen und Schüler mit besonders guten Leistungen die Berechtigung zum Besuch der Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe ebenso erteilt. Schließlich gibt es auch in der Lehrerausbildung für den Unterricht an den verschiedenen Schulformen keinen Unterschied. Entsprechend wird die Sekundarschule auch vom Gesetzgeber in der Lehrerausbildung mit den anderen Schulformen der Sekundarstufe I gleichgesetzt und nicht mit den Gymnasien. Dies unterstreicht, dass die Lehrerausbildung in der Sekundarstufe I gleich ist und die Befähigung zum Sekundarschullehrer keine spezielle Ausbildung verlangt.

Keine Rechtfertigung ersichtlich

Bei den betroffenen Schulformen handelt es sich somit um wesentlich Gleiches. Die Festsetzung der Pflichtstundenzahl für Lehrkräfte an Sekundarschulen mit 25,5 Stunden gegenüber der an Haupt- und Realschulen mit 28 Stunden behandelt wesentlich Gleiches aber ungleich. Eine derartige Ungleichbehandlung führt zwar nicht zur Rechtswidrigkeit der entsprechenden Regelung, wenn eine sachliche Rechtfertigung hierfür existieren sollte. Eine sachliche Rechtfertigung ist jedoch nicht ersichtlich. Denn die Lehrkräfte aller drei Schulformen finden eine vergleichbare Zusammensetzung der Klassen bei gleichen Ausbildungszielen der Schülerinnen und Schüler vor und verfügen über die gleiche Lehrerausbildung. Darüber hinaus kann auch an Realschulen spätestens seit Einführung des §132 c SchulG mit dem 12. Schulrechtsänderungsgesetz ab Klasse 7 ein Bildungsgang ‘Hauptschule’ eingeführt werden, welcher in ähnlicher Form durchgeführt wird wie der Unterricht an der Sekundarschule gemäß §17?a Abs. 3 SchulG. Auch insoweit wurden die Anforderungen an die Lehrer an Realschulen und Sekundarschulen angeglichen.

Daraus folgt, dass eine niedrigere Pflichtstundenzahl auch für Lehrerinnen und Lehrer an Haupt- und Realschulen geboten ist. Die aktuelle Regelung in §2 Abs. 1 der VO zu §93 Abs. 2 SchulG verstößt damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Fürsorgepflicht verletzt

Die unterschiedliche Pflichtstundenzahl ist zudem mit der aus Art. 33 Abs. 5 GG abgeleiteten Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht vereinbar. Bei der Bestimmung der Arbeitszeit hat der Dienstherr dafür Sorge zu tragen, dass er seine Beamten nicht überlastet. Eine Überlastung ist nicht erst dann gegeben, wenn Gesundheitsschädigungen drohen. Die Fürsorgepflicht steht vielmehr auch einer ständigen Arbeitsüberlastung entgegen, urteilte bereits 2008 das Bundesverfassungsgericht. Gerade die Festlegung der wöchentlichen Pflichtstunden ist erforderlich, um einer Arbeitsüberlastung vorzubeugen. Da die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler und das Ausbildungsziel identisch sind und eine unterschiedliche Arbeitsbelastung nicht erkennbar ist, hat der Dienstherr selbstredend die gleiche Fürsorgepflicht gegenüber Lehrkräften an Haupt- und Realschulen wie gegenüber Lehrkräften an Sekundarschulen. Dieser Pflicht trägt er aber nicht hinreichend Rechnung, wenn er unterschiedliche Pflichtstundenzahlen festsetzt.

Durch die unterschiedliche Einordnung der Arbeitsbelastung und die entsprechende Festsetzung der Pflichtstunden verletzt der Dienstherr seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten. Die ideologisch motivierte Ungleichbehandlung verstößt also gegen Verfassungsrecht.

Wie ich es sehe

Die motivierende Wirkung einer Verbesserung in der Gestaltung des Arbeitsplatzes verliert schnell ihren Reiz, wenn sie sich bei näherem Hinsehen als ideologische Ungleichbehandlung der übrigen Kolleginnen und Kollegen erweist. Das gilt für die Klassengröße. Das gilt für die Relation ‘Schüler je Stelle’. Und das gilt auch für die Festsetzung der wöchentlichen Pflichtstunden: Jede sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Lehrkräften spaltet. Eine unterschiedliche Einordnung der gleichen Arbeitsbelastung ist nicht zu rechtfertigen – und lehrer nrw nimmt sie auch nicht kampflos hin.Dass die Bezirksregierungen die von lehrer nrw formulierten, seit Sommer 2015 zahlreich gestellten Anträge beamteter und tarifbeschäftigter Lehrkräfte an Haupt- und Realschulen auf Angleichung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl abschlägig beschieden haben, war absehbar. Absehbar ist aber auch, dass das von lehrer nrw? bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen anhängige Musterverfahren einer Dortmunder Kollegin im Falle seiner positiven Entscheidung zu einer Korrektur des aus Sicht von lehrer nrw erkennbar unhaltbaren § 2 Abs. 1 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG führen wird. Und dafür lohnt es sich doch!Michael König

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