Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel gibt in seiner Kolumne regelmäßig Antworten auf Fragen aus dem Lehreralltag. Diesmal geht es um Respekt vor der Meinung anderer und um eine mögliche Bildungskatastrophe.

In den letzten Tagen bin ich auf ein Buch von Wolfgang Kubicki mit dem Titel ’Meinungsunfreiheit’ aufmerksam geworden. Ja, wir leben in einer vulnerablen Zeit, wenn es darum geht, Demokratie untereinander wirklich zu leben. Meine schon erwähnte Maxime »Respektlosigkeit gegenüber den Ideen von Menschen, aber immer höchsten Respekt vor dem Menschen« sieht sich in der vielfältigen aktuellen Diskussion über das Coronavirus auf eine harte Probe gestellt.

Wer von uns traut sich denn noch, in einer geselligen Runde oder in was für einem Kontext auch immer eine gegenläufige Meinung in einen Diskurs zu stellen, um dann gemeinsam vielleicht auch mal etwas lauter über den Sachverhalt zu diskutieren? Und wie gelingt es uns in der Situation, mit beibehaltenen unterschiedlichen Sichtweisen wohlwollend auseinanderzugehen und uns Menschen nicht aus den Augen zu verlieren?

Nach meiner Meinung sind aktuelle Maßnahmen gefragt, ohne dabei reflexartig gebetsmühlenartig einen Disclaimer voranzuschicken, was ich alles nicht bin und dann meine Meinung zu entsprechenden Themen darzulegen. Ist es nicht zunächst einmal egal, ob ich links, rechts, oben, unten oder sonstwie bin? Geht es nicht erstmal um den Sachgehalt meiner Aussage? All dies macht in meinem Verständnis einen demokratischen Debattenraum aus.

Leichter gesagt als getan. Erleben wir uns doch mitunter zum Beispiel im Gespräch über die Erziehung/Pädagogik unserer Kinder/Schüler dabei, unseren Partnern oder Kollegen eventuell unlautere Motive zu unterstellen und ggf. diese Personen auch als gleichwertiges Gegenüber, als Mensch, abzuwerten. Daraus folgt: Es ist eine hohe Kunst, unterschiedliche Meinungen auszutauschen, den anderen gut dastehen zu lassen und dabei in eine Selbstreflexion zu gehen und diese Herausforderung wissend anzunehmen.

Meiner Meinung nach müssen die Kitas und Schulen so schnell, wie es möglich und im Sinne eines zielgerichteten Gesundheitsschutzes vertretbar ist, wieder öffnen. Streben wir flexible Lösungen an. Wir brauchen den direkten Austausch zwischen Lehrern und Schülern, ansonsten droht eine Entwicklungs-, Bindungs- und Bildungskatastrophe mit Auswirkungen über Jahre! Lassen Sie uns gemeinsam verhältnismäßige, angemessene Maßnahmen und Schutz mit allen Kräften auch für eine ebenfalls vulnerable Bevölkerungsgruppe schaffen – unsere Kinder!

Zur Person:

Dr. med. Stefan Battel ist seit 2007 niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit eigener Praxis in Hürth bei Köln und seit 2012 systemischer Familientherapeut (DGSF). Im Rahmen des lehrer nrw-Fortbildungsprogramms greift er in einer Vortragsreihe regelmäßig verschiedene Themen aus dem Bereich der Jugendpsychologie auf.

Originalbeitrag (PDF-Datei)


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