Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, bemängelt die Darstellung des Judentums in deutschen Schulbüchern. Er fühle sich mitunter eher an Propagandazeitschriften aus der Nazi-Zeit erinnert. Ein schwerer Vorwurf gegen Autoren und Verleger. Doch ist die Kritik inhaltlich gerechtfertigt? Und vor allem: Ist die Wortwahl angemessen?

»Es gibt dort zuweilen Bilder, die von antisemitischen Stereotypen geprägt sind und damit eher an den ’Stürmer’ erinnern, als dass sie eine sachliche Darstellung bieten würden«, sagte Josef Schuster in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Der ’Stürmer’ war das berüchtigtste antisemitische Hetzblatt der Weimarer Republik und der NS-Zeit und wurde von dem später hingerichteten Kriegsverbrecher Julius Streicher geleitet. Zudem kritisierte Schuster, dass es sehr viele Lehrbücher gebe, die das Thema Judentum nur sehr rudimentär aufzeichneten. Judentum beschränke sich nicht auf die Zeit zwischen 1933 und 1945.

 

Enormes mediales Echo

Starker Tobak! Deshalb darf es auch nicht verwundern, dass die Reaktionen stante pede erfolgten: Der ’Spiegel’ und die ’Süddeutsche Zeitung’ widmeten der Thematik ausführliche Artikel, Ministerpräsident Laschet kündigte im Vorfeld seiner Israelreise eine »Überarbeitung der Schulbücher in Nordrhein-Westfalen zur Tilgung etwaiger judenfeindlicher Inhalte« an, und der Vorsitzende des Bayerischen Realschullehrerverbands forderte seine Mitglieder dazu auf, Darstellungen in Schulbüchern, »die antisemitische Vorurteile vermuten lassen oder direkt enthalten«, an den Verband zu melden, damit dieser das Ministerium gezielt darauf hinweisen könne.

 

Berechtigte Kritik?

Laut Presseberichterstattung bezieht sich Schuster bei seiner Kritik auf die Ergebnisse einer Studie der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission (Dirk Sadowski/Martin Liepach ’Jüdische Geschichte im Schulbuch’) aus dem Jahr 2015. Ein Kritikpunkt war, dass antisemitische Darstellungen der NS-Propaganda (wie zum Beispiel das Plakat zur Ausstellung ’Der ewige Jude’, die von 1937 an in mehreren deutschen Städten zu sehen war) zu wenig eingeordnet würden. Dadurch würden antisemitische Stereotypen reproduziert, aber nicht kritisch reflektiert. Und tatsächlich lassen sich vereinzelt ältere Schulbücher finden, in denen antisemitische Bilder und Zeichnungen abgedruckt sind, die zwar fachlich kommentiert und in den historischen Zusammenhang gestellt werden, in denen aber Arbeitsaufträge fehlen, die die Schüler dazu anhalten, die Bilder zu dekonstruieren. Aber kann man daraus tatsächlich ableiten, eine solche Seite sei aufgemacht wie der ’Stürmer’?

Angemerkt sei an dieser Stelle auch, dass der Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes darüber entscheidet, in welchem Umfang die jüdische Geschichte in Bildungsmedien abgebildet wird. Es greift also zu kurz, ausschließlich die Verlagshäuser dafür zu kritisieren, dass die Jahre 1933 bis 1945 zwar ausführlich thematisiert werden, aber jüdisches Leben in Deutschland vor und nach der NS-Zeit zu wenig Beachtung findet.

 

Eine verpasste Chance

Nach der Veröffentlichung der Studie der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission vor drei Jahren haben die Verlagshäuser die dort gemachten Befunde in die Planung ihrer Lehr- und Lernmaterialien einfließen lassen. So arbeiten beispielsweise im ’Klett Verlag’ die Redaktionen seit mehreren Jahren intensiv mit Mitgliedern der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission sowie mit ausgewiesenen Religionswissenschaftlern zusammen. Auch der Präsident des Zentralrats der Juden räumt ein, dass inzwischen »neue und verbesserte Auflagen produziert« worden seien. Diese konstruktiven Lehrwerksbeispiele in den Mittelpunkt der gegenwärtigen Debatte zu stellen, wäre dazu geeignet gewesen, neue Wege im Umgang mit dem Antisemitismus zu gehen. So bleibt leider nun im Hinterkopf der Vergleich deutscher Schulbücher mit Propagandaschriften aus der Zeit des Nationalsozialismus haften – und nicht etwa die durch eine Studie der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission angestoßene positive Entwicklung, die die Darstellung der deutsch-jüdischen Geschichte in Schulbüchern seit einigen Jahren genommen hat.

Sven Christopher

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