Viele Lehrkräfte klagen über eine hohe psychosoziale Belastung am Arbeitsplatz Schule. Über Ursachen und mögliche Maßnahmen sprach lehrer nrw mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Stefan Battel. Er steht lehrer nrw-Mitgliedern künftig im Rahmen einer wöchentlichen Telefonsprechstunde zur Verfügung.

Wie hoch ist die psychische Belastung am Arbeitsplatz Schule?
Battel: Orientiert man sich an den durchaus medial präsenten Informationen bzw. Studien, kann man zusammenfassend sagen, dass rund dreißig Prozent der untersuchten Lehrer Kriterien für ein sogenanntes Burn-out relativ erfüllen. Um den Begriff Burn-out nicht inflationär zu strapazieren, erlebe ich in Gesprächen mit Lehrern – ob es gemeinsame runde Tische sind mit Eltern und Schülern oder Einzelgespräche – häufiger resignative Tendenzen die sich im Spannungsfeld multipler Herausforderungen für die Lehrer abbilden.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptbelastungs-Faktoren?
Battel: Als Hauptbelastungsfaktoren erlebe ich aktuell die zunehmende Auseinandersetzung bezüglich der digitalen Ansprüche bzw. deren Umsetzung im Unterricht. Aus meiner Sicht gibt es bezüglich schulischer Entwicklung aktuell kein so kontrovers diskutiertes Thema wie Medienkompetenz bei Schülern (Kleinkindern!). In diesem Zusammenhang erlebe ich oft Lehrer, die neben den präsenten Themen wie vermehrte Kinderarmut, hochstrittige Elternpaare, emotionale Herausforderungen in Bezug auf psychische Belastungen von Schülern (Schulabstinenz, suizidales und selbstverletzendes Verhalten etc.) zunehmend das verlieren, worum es meiner Meinung nach geht: die Entwicklung einer tragfähigen Bindung zum Schüler. Da, wo es eigentlich gut wäre, Teams zu bilden (Eltern gemeinsam mit Lehrern und ggf. Schulpsychologen etc.), entstehen eher Fronten oder Verantwortungsabgaben.

Das, was ich in der Kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis erlebe, eine zunehmend hohe Medienabhängigkeit, spielt auch in Diskussionen mit Lehrern im Hinblick auf die Entwicklung einer zunehmend geforderten digitalen Schule hinein – und in die Auseinandersetzungen mit den Eltern, etwa wenn es im elterlichen Haushalt um Mediennutzung geht und im ferneren auch um eigene Suchtentwicklung hinsichtlich Medien. Hier sehen sich hier die Lehrer in einem Spannungsfeld verschiedener Interessenkonflikte zunehmend belastet.

Wie können Dienstherr/Schulträger/Schulleitung Lehrkräfte im Hinblick auf einen gesunden Arbeitsplatz unterstützen? Und was können Lehrkräfte für sich selbst tun?
Battel: Ein gesunder Arbeitsplatz würde für mich heißen, zunächst ein Raumklima zu schaffen, welches den Bedürfnissen von Lehrern und Schülern gerecht wird, d.h. hier sind erhebliche bauliche Unternehmungen und Leistungen nötig, um dies abdecken zu können. Aber unabhängig von extern politisch wenig beeinflussbaren Faktoren (finanzielle Investitionen), gilt es immer zu schauen: Was ermöglicht meine Schule an Veränderung, was sowohl räumliche Einrichtung als auch, und das finde ich den entscheidenden Punkt, Teamfähigkeit und Unterstützersysteme meines Lehrerkollegiums angeht. Hier bedarf es des deutlichen Ausbaus der schulpsychologischen Stellen/Schulsozialarbeiter. Es bedarf einer Supervisionsmöglichkeit für Lehrer, um herausfordernde Situationen mit Schülern/Eltern in einem professionellen Setting zu reflektieren, sich supervisorischen Rat zu holen. Hier müsste es ein breit gefächertes Angebot geben, um Lehrer in ihrer Art und Weise, Kinder zu unterrichten, zu unterstützen.

Im Weiteren geht es darum, im Kollegium ein Klima zu schaffen, welches sich am Team orientiert. Kollegen müssen das Gefühl haben, sprichwörtlich »die Hose runter zu lassen«, d.h. im Kollegium herausfordernde Unterrichtssituationen anzusprechen und sich auch selbst die Frage stellen, was macht es, dass ein Kind Wut mir gegenüber äußert oder »nicht hören will«? Was löst das in mir aus und wie kann ich damit umgehen? Bis hin zur Frage, tue ich dem Kind oder Jugendlichen mit meinem Handeln gut? Welche Abwehrreaktion sehe ich bei mir? Hier bedarf es einer wirklichen Vertrauensebene im Team. Dies könnte von der Schulleitung forciert werden durch teambildende Maßnahmen, Intervision/Supervision etc.

Welche Erfahrungen haben Sie in der Beratung und Unterstützung von Lehrkräften?
Battel: Genau darum geht es, hier auch als ’neutrale’ Person den Lehrern Verhalten von Schülern zu erklären, das Verhalten von der persönlichen Ebene Lehrer zu trennen, um Handlungsoptionen zu entwickeln, die dem Entwicklungsstand des Schülers zuträglich sind. Fasst man all diese Bedürfnisse zusammen, blase ich in das Horn vieler, die diese Forderung ähnlich sehen, dass für die angeführten Forderungen Geld investiert werden muss. Und dass es nicht darum geht, wer die meisten digitalen Systeme im Klassenzimmer hat, sondern welche Schule psychologisch/schulsozialarbeiterisch gut versorgt wird, externe Supervisoren hat, auf ein wohlwollend orientiertes, an der Zusammenarbeit interessiertes Lehrerkollegium zurückgreifen kann. Ein erster kleiner Schritt ist hier die Einrichtung einer zunächst auf drei Monate begrenzten ’Kleinstudie’ einer fachärztlichen supervisorischen Kinder- und Jugendpsychiatrischen Hotline im Sinne einer Lehrersprechstunde (siehe Infokasten), um den Bedarf der Lehrer an Beratung zu evaluieren.
Das Interview führte Jochen Smets

 

Zur Person:

Dr. med. Stefan Battel hat seine Facharztausbildung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Köln absolviert. Seit 2007 ist er niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit eigener Praxis in Hürth bei Köln und seit 2012 systemischer Familientherapeut (DGSF). Im Rahmen des lehrer nrw?-Fortbildungsprogramms greift er in einer Vortragsreihe regelmäßig verschiedene Themen aus dem Bereich der Jugendpsychologie auf.

Info:

Wenn man mal nicht weiter weiß: Telefon-Sprechstunde mit Dr. Stefan Battel

Ab 2019  bietet Dr. Stefan Battel einmal pro Woche eine Telefonsprechstunde ausschließlich für Mitglieder von lehrer nrw an. Lehrkräfte, die Information, Rat und Hilfe im Umgang mit schwierigen Schülern oder Eltern brauchen oder selbst in einer psychisch belastenden beruflichen Situation stecken, können dieses Angebot nutzen. Dieser Service ist ein exklusives Angebot von und für lehrer nrw

Die Details (Nummer der Hotline, Uhrzeiten etc.) werden an dieser Stelle
und auf der lehrer nrw-Website rechtzeitig bekannt gegeben.

Originalausgabe (PDF-Datei)


Nach oben