Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Frage, ob der neue Integrationserlass der Mitbestimmung durch die Personalräte unterliegt, abschlägig beschieden. Ein Blick auf die Urteilsbegründung offenbart eine beängstigende Kluft zwischen Theorie und Praxis.

Was bisher geschah: Das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW hat den Runderlass ‘Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte, insbesondere im Bereich der Sprachen’ von 2009 überarbeitet und am 28. Juni 2016 durch den Runderlass ‘Unterricht für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler’ ersetzt. Erst nach seiner Veröffentlichung wurde dieser neue Integrationserlass den Hauptpersonalräten auf Nachfrage hin zur Kenntnis gegeben – ohne die Möglichkeit irgendeiner Art von Mitbestimmung. Ein formales Beteiligungsverfahren sei nicht notwendig, da die Neufassung keine bestehenden Rechtsnormen bzw. Organisationsformen verändere – so das MSW in einer Pressemitteilung vom 8. Juli 2016.

Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis

Das sah der Hauptpersonalrat Realschulen deutlich anders. Maßnahmen, die eine wesentliche Änderung/Ausweitung von Arbeitsmethoden beinhalten, die Hebung der Arbeitsleistung zur Folge haben oder eine Änderung der Arbeitsorganisation nach sich ziehen, sind mitbestimmungspflichtig. Der Hauptpersonalrat vertrat die Auffassung, dass der neugefasste Integrationserlass gleich alle drei Tatbestände erfüllt und zog deshalb vor Gericht. Mit Beschluss vom 28. September stellte das Verwaltungsgericht Düsseldorf nun fest, dass nach ‘summarischer Prüfung’ die reklamierten Mitbestimmungsrechte nicht verletzt worden seien. Wer sich die Mühe macht, die Urteilsbegründung zu lesen, wird sehr schnell feststellen, dass Theorie und Praxis weit auseinander liegen, wie einige Kostproben zeigen.

Das Wörtchen wesentlich ist wesentlich

Im alten Erlass aus dem Jahr 2009 konnten bei Bedarf Vorbereitungsklassen eingerichtet werden. Die Entscheidung hierüber traf die Schule. In der Neufassung heißt es: »Die Schulaufsichtsbehörde kann zeitlich befristet an einer Schule Klassen zur vorübergehenden Beschulung einrichten.« Tut sie das nicht, müssen die neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler vom Zeitpunkt der Aufnahme an in Regelklassen unterrichtet werden.

Das Gericht musste bewerten, ob es sich hierbei um eine wesentliche Änderung oder Ausweitung von Arbeitsmethoden handelt. Der Richter verneinte, da die Änderung oder Ausweitung einer Arbeitsmethode nur dann wesentlich sei, wenn von einer einschneidenden Betroffenheit der Beschäftigten auszugehen sei.
Von einer einschneidenden Betroffenheit sei immer auszugehen, wenn die Änderung für die von ihr betroffenen Beschäftigten ins Gewicht fallende körperliche oder geistige Auswirkungen habe.
Übersetzt heißt das für mich: Das Gericht geht davon aus, dass es für die Lehrkräfte keine nennenswerte Mehrbelastung darstellt, wenn sie künftig in den Regelklassen auch noch Kinder ohne jegliche Deutschkenntnisse unterrichten.

Die weltpolitische Lage

Auch eine ‘Hebung der Arbeitsleistung’ vermochte der Richter nicht zu erkennen. Handelt es sich doch bei derartigen Maßnahmen in der Regel um »Rationalisierungsmaßnahmen, die zur Einsparung von Personal und zur anderweitigen Verwendung des freigesetzten Personals führen«.
Auch ich würde dem MSW nicht unterstellen, dass die Neufassung des Integrationserlasses zuvorderst auf den Weg gebracht wurde, um Personalknappheit und Raumnot zu begegnen, dennoch würde ich nicht ausschließen, dass durch den Erlass ein nicht unerheblicher Einsparungseffekt erzielt wird.

Mein Lieblingssatz aus diesem Abschnitt ist aber folgender: »Wenn es gerade aktuell durch eine massive Erhöhung der Zahlen von zugewanderten Schülerinnen und Schülern mit Sprachschwierigkeiten zu einer erhöhten Belastung der Schulen und der dortigen Lehrkräfte kommt, ist dies keine unmittelbare Auswirkung des Integrationserlasses, sondern vor allem der derzeitigen weltpolitischen Lage und der daraus resultierenden Flüchtlingssituation.«

Abhängigkeit von Ressourcen

Ebenso resultiert dem Gericht zufolge aus dem Integrationserlass keine Änderung der Arbeitsorganisation an den Schulen, denn schließlich gebe es nach wie vor die Möglichkeit innerer und äußerer Differenzierung. Ob letztere allerdings durch die Einrichtung schulinterner Sprachfördergruppen überhaupt zustande kommt, entscheidet laut Erlass »die Schulleitung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen«. Dieses nicht ganz unwichtige Detail blendet das Gericht in seiner Urteilsbegründung allerdings vollständig aus.

Am Ende steht bedauerlicherweise ein Gerichtsurteil, dass aus meiner Sicht die Folgen des neuen Integrationserlasses für die schulische Praxis unterschätzt und deshalb den Interessenvertretungen der Beschäftigten nicht die Möglichkeit einräumt, ihre Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen.

Sven Christoffer

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