Wenn eine Studie zum Problem wird

Die OECD ist als Träger der PISA-Studie zum globalen Schiedsrichter über Mittel und Ziele von Bildung in der ganzen Welt aufgestiegen. Die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie wurden am 12. Dezember 2016 in Düsseldorf vorgestellt. Anlass genug, die Studie und die Rolle der OECD kritisch zu beleuchten.

PISA – die vier Buchstaben stehen für den weltweit größten Schulvergleichstest. Organisiert wird er seit 2000 alle drei Jahre von der OECD – wohlgemerkt einer Wirtschaftsorganisation – in Paris. Getestet werden Fünfzehnjährige mit wechselnden Schwerpunkten in Mathematik, Naturwissenschaften sowie Lesen/Textverständnis. Zusätzlich beantworten die Schüler Fragen zu ihrem persönlichen Hintergrund, ihren Schulen, ihrem Wohlbefinden und ihrer Motivation. Am PISA-Test 2015 nahmen mehr als eine halbe Million Schüler aus 72 Ländern teil, darunter alle 35 OECD-Staaten und 37 sogenannte Partnerstaaten. Die Ergebnisse der jüngsten Studie erläuterte Dr. Christine Sälzer am 12. Dezember in Düsseldorf. Sie ist Projektleiterin des Nationalen Projektmanagements PISA am Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) der Technischen Universität München.

Deutschland im internationalen Bildungsvergleich

Der Erkenntniswert aus der jüngsten PISA-Studie ist begrenzt. Dr. Christine Sälzer führte aus, dass die deutschen Schüler in allen drei Domänen über dem OECD-Durchschnitt lägen. Es bestünden allerdings signifikante Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen sowie zwischen Jugendlichen mit und ohne Zuwanderungshintergrund. Zudem hänge die Kompetenz der Fünfzehnjährigen signifikant mit dem sozialen Hintergrund zusammen. Darüber hinaus berichteten die Fünfzehnjährigen in Deutschland allgemein über weniger Freude und Interesse an Naturwissenschaften. Betrachte man die Veränderungen im Vergleich zu PISA 2006, so sei eine Abnahme an instrumenteller Motivation und Selbstwirksamkeitserwartung zu beobachten.

Einfach mal das Thermometer in die Bildungslandschaft halten

Weitaus interessanter hingegen waren die Ausführungen von Dr. Sälzer zur eigenen Rolle. Sie könne den Hype, den die PISA-Studien in Deutschland in der Vergangenheit ausgelöst hätten, nicht nachvollziehen. Schließlich halte man lediglich in regelmäßigen Abständen das Thermometer in die Bildungslandschaft Deutschland, um anschließend die Temperatur zu verkünden. Aha! Dass die PISA-Ergebnisse regelmäßig als unhinterfragbare Autorität zitiert werden, dass Bildungspolitik im Zeitalter von PISA hauptsächlich daran ausgerichtet wird, im PISA-Ranking ein paar Plätze nach oben zu klettern, dass sich die OECD mit der Aufmerksamkeit auf die PISA-Studie in den vergangenen Jahren in die Rolle eines globalen Bildungsministeriums manövriert hat, scheint an der guten Frau vorbei gegangen zu sein.

Fakt ist, dass man die mediale Wirkung der PISA-Studien gar nicht überschätzen kann. Die Bild-Zeitung nutzte die Veröffentlichung der jüngsten PISA-Ergebnisse zur allgemeinen Lehrerschelte und titelte: »Schüler okay – Klatsche für die Lehrer. In der PISA-Studie wurde ein Schwerpunkt auf Naturwissenschaften gelegt und da offenbaren sich in der Motivation der Schüler große Schwächen – und das liegt an den Lehrern.« Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie die Schlagzeile gelautet hätte, wenn neben der Motivation auch die Leistung der Schüler rückläufig gewesen wäre…

Ein fragwürdiger Auftraggeber

Auch dass die OECD als Organisation für wirtschaftliche Entwicklung naturgemäß auf die ökonomische Rolle der öffentlichen Schulen fokussiert ist, ficht Dr. Christine Sälzer nicht an. Es sei schließlich verständlich, dass die Finanz- und Wirtschaftswelt wissen möchte, was der Nachwuchs so drauf hat. Aber die Vorbereitung auf einträgliche Arbeit kann nicht das einzige, ja nicht einmal das Hauptziel öffentlicher Bildung und Erziehung sein. Seitdem es das Länder-Ranking gibt, wird alles dem Gedanken untergeordnet, dass sich a) Bildung messen lässt und dass b) ein Schulsystem wettbewerbsfähig sein muss, und zwar ähnlich wie ein Wirtschaftssystem. Schulen werden einem Input-Output-Kalkül untergeordnet. Dabei ist dieser Gedanke in Bezug auf Bildung völlig anfechtbar. Sind Schulen nicht auch und vor allem Orte, an denen Menschen wachsen, ihren eigenen Weg finden und ihre Persönlichkeit entwickeln? Diese Form von Bildung lässt sich aber nicht messen, schon gar nicht im Sinne eines Länder-Vergleichs, der unterschiedliche nationale und kulturelle Hintergründe überhaupt nicht berücksichtigt. In der OECD herrscht ein großes Interesse an Wettbewerbsfähigkeit, nicht an Bildung. Wenn sich die Bildungspolitik nun also dem PISA-Diktat unterwirft, mag das sehr im Sinne der Wirtschaft sein – ob es aber im Sinne der Bildung und damit der Schüler ist, muss bezweifelt werden.Winston Churchill wird der Ausspruch zugeschrieben, er traue keiner Statistik, die er nicht selbst gefälscht habe. Ich wünsche uns Deutschen einen ähnlich gelassenen Umgang mit dem Datenmaterial, das Dr. Sälzer & Co. wohl auch zukünftig in regelmäßigen Abständen ausschütten werden – selbst bei hohem Fieber.Sven Christoffer

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