Die von der AfD lancierten Lehrermeldeportale sind widerwärtig, keine Frage. Das ist die ethisch-moralische Seite. Aber wie steht es mit der juristischen Einordnung solcher Plattformen? Dem geht lehrer nrw-Justitiar Christopher Lange nach.

Nicht selten wirft man Politik und Verwaltung vor, altbacken zu funktionieren und mit digitalisierten Arbeitswelten nicht Schritt zu halten. Das ist nicht ganz richtig, denkt man an das Schlagwort Meldeportale. Es scheint fast Mode zu sein, speziellen Personengruppen oder dem geneigten Bürger allgemein die Möglichkeit zu geben, konkrete Informationen insbesondere an Behörden oder bestimmte Stellen online zu melden, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen können. Man denke nur an die Möglichkeit für Bürger, Funklöcher melden zu können oder für Arbeitgeber, ihre Verpflichtungen zur Zahlung von Mindestlöhnen zu melden. So unterschiedlich die Portale von Zweck und Funktionsweise her aufgebaut sind und so oft sich Sinn oder Effektivität hinterfragen lassen, so wenig erregen die Portale öffentliche Aufregung oder drehen sich Diskussionen um ihre Rechtmäßigkeit. Anders ist dies hingegen bei Online-Portalen, die von Fraktionen der Partei AfD initiiert wurden, damit Schüler und Eltern Verstöße gegen das für Lehrer geltende Neutralitätsgebot melden. Darüber sollen Namen von Lehrern, die sich im Unterricht in einer vermeintlich nicht neutralen Weise über die AfD äußern, veröffentlicht oder an Schulbehörden übermittelt werden.

»Ekelhafte Gesinnungsschnüffelei«

An Verurteilungen dieser Meldeportale mit lautstarken und mächtigen Worten mangelt es nicht. Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Helmut Holter (Linke) beispielsweise spricht von einer Erinnerung »an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte«, Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) redet von »ekelhafter Gesinnungsschnüffelei«, Baden-Würtembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) von »Bausteinen ins Totalitäre« und Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) von »organisierter Denunziation«.

In Hamburg bringen – wie der stellvertretende Vorsitzende von lehrer nrw Sven Christoffer in diesem Heft beschreibt – Bürgerinnen und Bürger mit ironischen Kommentaren zum Ausdruck, was sie vom Meldeportal halten.

Allein aufgrund dieser Reaktionen kann man aber nicht davon ausgehen, dass AfD-Meldeportale uns bald nur noch als Posse der Politik in Erinnerung bleiben. Dies hängt vielmehr davon ab, ob dafür eine besondere Legitimation beziehungsweise Notwendigkeit besteht, und ob diese als solche mit geltendem Recht vereinbar sind. Dazu einige Gedanken.

spickmich.de war anders gelagert

Wenn ein Lehrer wegen einer Äußerung gemeldet wird, kann er in seinem Einzelfall die Unterlassung der Sammlung persönlicher Daten oder im Falle deren Veröffentlichung auch diese gerichtlich einklagen; hier stehen die Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Datenschutznormen im Raum. Diese Situation ist anders zu beurteilen als der vielen Lesern sicher lebhaft in Erinnerung gebliebene Fall ’spickmich.de’: 2009 hatte der Bundesgerichtshof die reine Bewertung der beruflichen Leistung einer Lehrerin zum Beispiel nach ’fachlich kompetent’, ’gut vorbereitet’, ’menschlich’ oder anderen Charakterisierungen nicht als Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte und das Recht auf informelle Selbstbestimmung angesehen.

Getrennt davon zu betrachten ist aber die Legitimation für Meldeportale als solche. Die AfD sieht geradezu eine Verpflichtung, derartige Plattformen zu etablieren, und leitet dies aus dem sogenannten Neutralitätsgebot ab. Denn das Neutralitätsgebot impliziere ein Verbot, sich im Unterricht AfD-feindlich zu äußern. Wenn dies zutrifft, fragt sich, ob dies gebietet, darauf mit einem Meldeportal zu reagieren. Dies kann aber dahingestellt bleiben, wenn das Neutralitätsgebot tatsächlich AfD-Kritik gar nicht unterbindet.

Nach § 2 Absatz 8 Schulgesetz NRW haben Lehrkräfte ihre Aufgaben unparteilich wahrzunehmen. Sie dürfen in der Schule keine politischen Bekundungen abgeben, die die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen Schulfrieden gefährden oder stören. Für Beamte manifestiert § 33 Satz 2 Beamtenstatusgesetz diese Pflicht nochmals. Sie haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung der Allgemeinheit gegenüber und aus Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.

Diskutieren ist erlaubt

Diese Grundsätze bedeuten aber nicht, dass das Klassenzimmer frei von jeder politischen Aussage der Lehrkraft bleiben muss. Vielmehr muss kontrovers diskutiert werden, was auch in der ’realen’ Politik umstritten ist (Kontroversitäts-/Ausgewogenheitsgebot). Lehrerinnen und Lehrer dürfen nur nicht verhindern, dass sich Schüler ihre eigenständige Meinung bilden (Überwältigungs-/Indoktrinitätsverbot) oder Angst vor negativer Bewertung haben. Politiklehrer kennen diese Prinzipien auch aus dem sogenannten ’Beutelsbacher Konsens’, einer Sammlung von Leitlinien für den Politikunterricht. Aus dem Neutralitätsgebot folgt dementsprechend keine Legitimation für Meldeportale, wie die AfD sie sieht.

Aber auch ohne Verpflichtung aus dem Neutralitätsgebot, Meldeportale zu schaffen, kann dem Betrieb eines Portals Weiteres entgegenstehen: Er kann sich als Verstoß gegen Ordnungsrecht erweisen. Denn das Ordnungsrecht, welches in den Händen der Länder liegt, schützt unter anderem auch die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen wie auch der Schulen. Entstehen durch Meldeplattformen erhebliche Unruhen und Störungen des Schulbetriebs, könnten – je nach Strenge der länderspezifischen Normen – ordnungsbehördliche Maßnahmen den Betrieb von Plattformen beschränken oder untersagen.

Es muss allerdings letztendlich gar nicht intensiv nachgedacht werden, inwieweit überhaupt Gerichte künftig angerufen werden, um schlussendlich über die Rechtmäßigkeit von Meldeportalen zu urteilen. Denn da das Neutralitätsgebot AfD-Kritik nicht entgegensteht, könnte der Anreiz für Schüler und Eltern, die betreffenden Portale zu nutzen, ohnehin absehbar schnell verblassen.

Christopher Lange

Originalausgabe (PDF-Datei)


 

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