Eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland ist unzufrieden mit der schulischen Bildung zu wirtschaftlichen Themen. Das geht aus der kürzlich vorgestellten Jugendstudie 2018 des Bankenverbands hervor.

Die Befunde werfen ein düsteres Licht auf die ökonomische Bildung in Deutschland: Laut der Studie sagen 71 Prozent der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland, dass sie in der Schule »nicht viel« bis »so gut wie gar nichts« über Wirtschaft lernen bzw. gelernt haben. »Die Jugendlichen stellen der Wirtschaftsbildung an deutschen Schulen ein schlechtes Zeugnis aus. Sie wünschen sich eindeutig mehr Informationen über Wirtschaft. Das ist ein klarer Appell an die Politik«, sagte Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes.

Zwei-Drittel-Mehrheit für Fach Wirtschaft

Laut Jugendstudie wünschen sich 84 Prozent der jungen Leute mehr Informationen über wirtschaftliche Zusammenhänge in der Schule. Zwei Drittel fordern sogar die Einführung eines eigenen Unterrichtsfachs. »Beim Schulfach Wirtschaft gibt es zwar Fortschritte in einzelnen Bundesländern, ein flächendeckendes, eigenständiges Schulfach gibt es bisher aber noch nicht. Die Politik muss hier ihre Anstrengungen deutlich erhöhen«, so Krautscheid.

Obwohl sich das Wirtschafts- und Finanzwissen der Jugend seit 2015 leicht verbessert hat, zeigt die repräsentative Umfrage weiterhin große Lücken auf: 82 Prozent der Befragten wissen nicht, wie hoch zurzeit ungefähr die Inflationsrate in Deutschland ist. 53 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen können nicht erklären, was ’Rendite’ bedeutet. 67 Prozent geben an, keine Ahnung davon zu haben, was an der Börse passiert. Krautscheid: »Dies zeigt, dass Wirtschafts- und auch Finanzthemen kein Anhängsel in einem anderen Schulfach sein dürfen. Wirtschaft muss genau wie Mathematik oder Englisch systematisch gelehrt und gelernt werden. Und die Lerninhalte dürfen sich auch nicht auf Verbraucherthemen beschränken, sondern müssen ein breites ökonomisches Grundverständnis vermitteln.«

Info:

Die repräsentative Studie zum Wirtschaftsverständnis, zur Finanzkultur und zur Digitalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat die GfK Marktforschung im Auftrag des Bankenverbandes durchgeführt. Im Mai/Juni 2018 wurden dafür 650 deutschsprachige 14- bis 24-Jährige telefonisch befragt.

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Schule zwischen Wandlungsdruck und Wandlungswahn

Der Tagungsraum der Karl-Rahner-Akademie in der Kölner Innenstadt ist proppevoll. Prof. Dr. Elisabeth Frost (Universität Köln), Prof. Dr. Ladenthin (Universität Bonn), Marcel Fricke (Gymnasiallehrer) und die beiden Gastgeber Prof. Dr. Krautz (Universität Wuppertal) und Dr. Burchardt (Universität Köln) diskutieren über Fehlentwicklungen in der Bildungspolitik und im System Schule.

‘Time for change? Schule zwischen demokratischem Bildungsauftrag und manipulativer Steuerung’ lautet der Titel des neuen Buches, das Krautz und Burchardt als Herausgeber veröffentlicht haben. Der Buchtitel ist an diesem 11. September Programm. Diskussionsgrundlage ist diese These: Die OECD hat ein Bild von Bildungs- und Lernprozessen entworfen, das weltweit propagiert wird und das nicht uneingeschränkt von wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt wird. Eine Überbewertung der selbstgesteuerten, teamorientierten Unterrichtsformen ist die Folge. PISA und die Qualitätsanalyse sind Instrumente, die dieses Unterrichtsbild in die Schulen tragen und eine Notwendigkeit zum Wandel suggerieren.

Erfahrungswissen wird entwertet

Vor dem Hintergrund dieses Veränderungsdruckes werden die Kollegien direkt und indirekt dazu angehalten, ihren Unterricht nach diesem vorgegebenen Unterrichtsbild auszurichten. Erfahrungswissen der Lehrerinnen und Lehrer wird entwertet und bleibt weitgehend unberücksichtigt. Widerspruch ist nicht erwünscht oder wird gar unterdrückt. In diesem Bild, das Burchardt zeichnet, sind Schulaufsicht und Schulleitungen bisweilen Helfer bzw. Erfüllungsgehilfen eines doktrinär eingeführten Unterrichtsbildes. Sie übernehmen die daraus resultierenden Vorgaben weitgehend ohne Kritik und erwarten, dass die Kolleginnen und Kollegen die entsprechenden Veränderungen annehmen und umsetzen.

Ökonomisierung der Bildung

Als grundlegende Ursache für diesen Prozess des Wandels führt Burchardt den Begriff der Ökonomisierung der Bildung ein. Gemeint ist zum einen die Einführung von Terminologien und Modellen aus der Ökonomie in die pädagogische Welt. Modelle des Managements werden auf die Ebene der Schulverwaltung übertragen. Burchardt bezeichnet diese als ‘Psychotricks’. Der Begriff der Effizienz wird auf ein System übertragen, das nicht nach den Gesetzmäßigkeiten der Effektivität und der Effizienz funktioniert. Zum anderen ist eine Abnehmerorientierung der schulischen Bildung im Hinblick auf Unterrichtsinhalte und -methodik angesprochen. Ein humanistischer Bildungsbegriff wird weitgehend aufgegeben, so Burchardt. Zudem würden diese Change-Bestrebungen dadurch befördert, dass Schulbuchverlage im Zuge der Einführung selbstgesteuerter Unterrichtsverfahren maßgeblich vom Verkauf entsprechender Unterrichts- und Lehrmaterialien profitieren.

Auch wenn Burchardt selbstironisch anmerkt, dass er nicht in die Welt der Verschwörungstheorien abgleiten will, beschleicht manchen Zuhörer mitunter der Eindruck, dass die schulische Welt an diesem Abend zu pessimistisch, zu einseitig und vor allem als geschlossenes, homogenes System gesehen wird. Dabei wird der Gedanke der Innovation und der stetigen Weiterentwicklung von Schule zu kritisch gesehen.

Frank Görgens

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»Im Bildungswesen läuft etwas gewaltig schief«

Im Interview mit lehrer nrw erläutert Dr. Matthias Burchardt den Begriff ‘Change Management’ und den Wert der pädagogischen Freiheit.

Der Begriff ‘Change Management’ ist ein ganz zentraler Begriff in ihrer neuen Veröffentlichung zusammen mit Prof. Krautz. Nicht jeder kennt die entsprechenden Modelle unter anderem von Kurt Lewin oder John P. Kotter. Skizzieren Sie doch bitte in kurzer Form, was sich hinter diesem Begriff versteckt und in einem zweiten Schritt, was Sie an diesem Prozess bedenklich finden.

Burchardt: Die westlichen Demokratien entwickelten nach dem zweiten Weltkrieg unter der Führung der USA Techniken zur Steuerung offener Gesellschaften. Die Einzelnen sollten weniger durch politische Autoritäten als durch gesellschaftliche Kraftfelder und Prozeduren kontrolliert und geführt werden. Hierzu wurden Techniken der Umerziehung und Steuerung erforscht, wie Silja Graupe in unserem Buch zeigt. Kurt Lewin macht sich in diesem Zusammenhang die menschliche Sozialnatur, genauer: unser Bedürfnis nach Anerkennung durch die Gemeinschaft, zu Nutze. Personen sollen in gruppendynamischen Prozessen zunächst ihrer Überzeugungen beraubt (Unfreezing), dann mit neuen Haltungen ausgestattet (Change) und abschließend als neue Subjekte fixiert werden (Refreezing). Auf dem Wege der Organisationentwicklung in der Wirtschaft kehrte diese Psychotechnik auch in die Schulen ein.

Auf Lehrerfortbildungen oder im Zuge von Schulentwicklungsprojekten wurden Reformziele der Bildungspolitik mit den Mitteln dieses Change-Managements durchgesetzt.

Bedenklich ist dieser Ansatz, weil er gerade nicht an die pädagogische Urteilskraft der Lehrkräfte appelliert, sondern mittels diverser Manipulationstechniken deren Vernunft zu umgehen versucht. Dies erscheint mir unwürdig für ein Bildungswesen, das sich dem Humanismus und der Aufklärung verpflichtet sieht.

Welche Veränderungs- und Entwicklungsprozesse halten sie aktuell in Schule für erforderlich bzw. wünschenswert?

Burchardt: Die Frage gibt mir die Gelegenheit, ein Missverständnis auszuräumen: Wenn ich gegen Change-Management argumentiere, heißt das nicht, dass ich Veränderungen von Schule ablehnen würde. Es geht zunächst einmal nur um den Modus operandi. Wer Psychotechniken einsetzt, gerät unter Verdacht, keine guten Argumente zu haben oder sich nicht diskursiv mit dem Kollegium auseinandersetzen zu wollen. Nach meinem Eindruck ist die Schule in den letzten Jahrzehnten auf dem Rücken von SchülerInnen und LehrerInnen beinahe kaputt reformiert worden. Und in Anbetracht dessen, dass sie auch schon vorher so manche Mängel aufgewiesen hat, grenzt es schon an ein Wunder, dass sie überhaupt noch funktioniert.

Was also muss sich ändern? Alles pädagogische Handeln muss am humanistischen und aufklärerischen Gedanken der Bildung orientiert sein. Allgemeine Menschenbildung und berufsqualifizierende Ausbildung dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, die akademische Laufbahn nicht gegen die duale Ausbildung. Die Kompetenzorientierung darf nicht zu Lasten der Fachlichkeit gehen. Klassenunterricht und die Rolle der Lehrkraft müssen aufgewertet werden, ohne dass dabei die didaktisch begründete Methodenvielfalt auf der Strecke bleibt. Die Lehrerbildung an den Hochschulen muss entideologisiert werden – in einer produktiven Balance von empirischer Unterrichtsforschung und geisteswissenschaftlicher Bildungstheorie. Aus der Schulverwaltung sollten die ökonomistischen Steuerungsmodelle der Governance verschwinden, und die lächerlichen Rituale der Qualitätsanalyse gehören abgeschafft.

Die pädagogische Freiheit der Lehrperson ist ein Begriff, der heute Abend vielfach genannt wurde. Was verstehen sie konkret unter dieser Freiheit und wo endet diese Freiheit nach ihrer Einschätzung?

Burchardt: Pädagogische Freiheit ist kein Privileg, das Lehrkräfte fordern, um unkontrolliert ihren Launen nachgehen zu können, sondern die conditio sine qua non jeglicher pädagogischer Tätigkeit. Sie schafft Spielräume für angemessenes Handeln unter prinzipiell unwägbaren Rahmenbedingungen. Kinder sind eben keine Objekte oder beliebig formbares Rohmaterial in einem schematisierbaren Produktionszyklus, sondern Individuum, Subjekte der Würde und der Freiheit. Auf der anderen Seite gibt es verbindliche Normen, die an die Kinder herangetragen werden müssen, damit diese nicht der Unbildung anheimfallen: Ethische Wertorientierungen, fachliche Wissensgehalte, kulturelle Fertigkeiten und eine demokratische Gesinnung sind der Willkür aller Beteiligten enthoben. Nur die pädagogische Freiheit kann zwischen beidem durch wertgeleitete und zugleich situative Entscheidungen eine Brücke bauen. Aus guten Gründen war bisher die Ausübung dieser Freiheit an gewisse Voraussetzungen gebunden: eine fachliche und pädagogische Ausbildung und die Selbstverpflichtung auf die Verfassungsziele. Sicher gehört auch dazu, dass die Lehrperson selbst ein gebildeter Mensch ist, über Selbsterkenntnis und Urteilskraft verfügt.

Ihre Grenze findet diese Freiheit in der pädagogischen Verantwortung für die Bildung der anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Dafür sorgen Gesetze, Verordnungen als äußere Rahmungen und das eigene Gewissen als Prüfstein verantwortlichen Handelns. Die meisten LehrerInnen, die ich kenne, gehen übrigens sehr besonnen mit dieser Freiheit um.

Die heutige Veranstaltung war sehr gut besucht, und ihre letzte Veröffentlichung verkaufte sich dort gut. Bitte skizzieren Sie ihre typischen Leser und Zuhörer.

Burchardt: Ich weiß gar nicht, ob es einen bestimmten Typus gibt. Generell spüren inzwischen alle Beteiligten, dass etwas im Bildungswesen gewaltig schiefläuft. Das Realitätsprinzip kann weder durch wohlklingende ideologische Verheißungen nach durch vermeintliche Erfolgsstatistiken dauerhaft außer Kraft gesetzt werden. Unsere Publikation dient einerseits der Aufklärung über die Abläufe hinter den Reformkulissen und schafft andererseits Spielräume zur Formulierung von Alternativen. Bildungspolitik ist eben nicht alternativlos den Sachzwängen von Ökonomisierung oder Digitalisierung ausgeliefert, sondern kann auf der Basis von pädagogischer Evidenz und klarer Werteorientierung demokratisch gestaltet werden. Insofern möchten wir Leser/innen stärken und ermutigen, an diesem Gestaltungsprozess teilzunehmen. Denn auch das soll nicht verschwiegen werden: Die Change-Prozesse haben erhebliche Verletzungen gerade in den Seelen von engagierten Pädagog/inn/en hinterlassen.

Das Interview führte Frank Görgens

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50. Mülheimer Kongress:

50 Jahre und kein bisschen leise
Es ist ein besonderes Jubiläum: Am 15. November feiert lehrer nrw die fünfzigste Auflage des Mülheimer Kongresses. Seit dem Premierenkongress 1968 hat sich der MüKo schnell zu einer der bedeutendsten Fachveranstaltungen zum Thema Schule in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Diesem Ruf wird auch der Mülheimer Kongress 2018 gerecht. Das Motto lautet: ’50 Jahre und kein bisschen leise’.

Festredner ist Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Er wird den Bogen schlagen von der Schul-Vergangenheit in die Schul-Gegenwart. Für musikalische Unterhaltung sorgt schon traditionell die Big Band der Erich-Klausener-Realschule in Herten.

Ein vielfach gewünschtes Wiedersehen gibt es auch mit dem Pädagogen und Regisseur Wolfgang Endres, der beim Mülheimer Kongress des Vorjahres den Abschlussvortrag hielt und mit seiner ganz speziellen Art vielen das Herz aufgehen ließ. Diesmal wirft Endres im ersten Teil seines Vortrags einen dankbaren Blick zurück auf fünfzig Jahre und im zweiten Teil einen hoffnungsvollen Blick voraus auf die Schule von morgen.

Info/Anmeldung:

www.lehrernrw.de/fortbildungen/muelheimer-kongress/muelheimer-kongress-2018.html

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Systembedingte Überforderung

Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sieht in der massenhaften Einstellung von Seiteneinsteigern keine Lösung für den Lehrermangel.

Es gab schon immer Quer- und Seiteneinsteiger an deutschen Schulen. Was die heutige Situation davon unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Seiten- oder Direkteinstieg von Lehramtsbewerbern ohne jegliche pädagogische Vorbildung in einigen Bundesländern wie Sachsen und Berlin zum Regelfall geworden ist, aber auch sonst zahlenmäßig stark ansteigt.

Den Seiteneinstieg unterscheidet vom Quereinstieg, dass man hierbei vom ersten Tag der Anstellung an eigenverantwortlich unterrichtet und die pädagogisch-fachdidaktisch-methodische Ausbildung – wenn überhaupt – berufsbegleitend erfolgt. Offensichtlich sind viele Landesregierungen der Ansicht, man könne das in fünf Jahren Studium, mit einer Reihe von Praktika während des Studiums und in einem 18- bis 24-monatigen Referendariat an professionellem Lehrerwissen und an Handlungskompetenzen Erworbene auch ’berufsbegleitend’ in wenigen Monaten nachholen. Dabei ist diese Einschätzung grundfalsch, was übrigens auch die hohen Abbrecherzahlen von Seiteneinsteigern und die teilweise verdoppelten Durchfallerzahlen bei den nachgeholten pädagogischen Examensprüfungen zeigen.

Landesregierungen haben gar nicht oder zu spät reagiert

Seiteneinsteiger sind willkommene Nothelfer bei dem in vielen Bundesländern selbstverschuldeten massiven Lehrermangel insbesondere an Grundschulen, weil die dortigen Regierungen nicht oder zu spät auf steigende Geburtenraten und stark anwachsende Zuwanderung reagiert haben. Deshalb haben die zuständigen Ministerien in der Regel ein hohes Interesse, dass die ’Neulehrkräfte’ von Anfang an viele Unterrichtsstunden geben und ein geringes Interesse, die potenziellen Seiteneinsteiger auf ihre Eignung hin zu überprüfen – etwa zu der Frage, ob diese überhaupt eine besondere Affinität zu Kindern besitzen.

Die berufsbegleitende Ausbildung fristet dagegen sowohl stundenmäßig als auch qualitativ – wegen des Mangels an qualifizierten Seminar- und Ausbildungslehrkräften – meist ein Schattendasein. Für die Seiteneinsteiger stellen deshalb diese ersten beiden Jahre eine systembedingte massive Überforderung dar. Weder haben sie die Zeit und das Wissen, sich ordentlich auf den Unterricht vorzubereiten, noch die nötigen Freiräume sowie das Reflexionsvermögen, von der berufsbegleitenden Lehrerausbildung zu profitieren.

Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Seiteneinstieg

Natürlich kann man auch als Seiteneinsteiger im Lehrberuf erfolgreich sein – kein Zweifel. Allerdings erfordert dies bestimmte Grundvoraussetzungen:

  1. Das absolvierte Studium sollte, auch wenn es kein Lehramtsstudium war, zumindest einen fachlichen oder pädagogischen Bezug zur Lehrertätigkeit aufweisen.
  2. Es erfolgt eine pädagogisch-didaktisch-methodische Nachqualifizierung, die, wenn sie schon nicht in einem Referendariat besteht, dann zumindest qualitativ ebenbürtig ist.
  3. Der Anteil von Seiteneinsteigern an einer Schule darf nicht zu hoch sein, so dass in der Einstiegsphase erfahrene Lehrkräfte diese etwa in Form von Tandems persönlich unterstützen und coachen können.
  4. Es muss bereits bei der Prüfung der Bewerbung darauf geachtet werden, dass es sich um Personen handelt, die genügend Motivation mitbringen und die – sehr wichtig – auch die deutsche Sprache sehr gut beherrschen. In Berlin hat die frühere Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, Franziska Giffey, erst vor wenigen Monaten darüber geklagt, dass das bei einer Reihe von Seiteneinsteigern im Grundschullehramt erkennbar nicht der Fall sei.

Es wird gerne die Frage gestellt, was die Alternative zu Seiteneinsteigern sei – schlechter Unterricht sei doch immer noch besser als ausgefallener.

Dies ist wohl auch die heimliche Begründung dafür, dass bei Seiteneinsteigern viele bisher gültige Qualitätsstandards in den Bundesländern heimlich über Bord geworfen wurden.

Langfristige Bedarfsplanung, kurzfristige Qualitätssteigerung

Die grundsätzliche Alternative ist jedoch eine langfristige Bedarfsplanung, was den Lehrerbedarf und den Ausbau der Lehramtsstudienplätze an Hochschulen betrifft. Die kurzfristige Forderung muss aber sein, die Qualität der berufsbegleitenden Nachqualifizierung deutlich zu steigern und das derzeitige Unterrichtsdeputat für Seiteneinsteiger massiv abzusenken.

Heinz-Peter Meidinger
Präsident des Deutschen Lehrerverbandes

 

Guter Austausch

Die aktuelle schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat die Bedeutung des Seiteneinsteigerthemas erkannt. lehrer nrw steht in gutem Austausch mit dem Schulministerium und dem Wissenschaftsministerium, um dafür zu sorgen, dass Seiteneinsteiger mit entsprechender Qualität ausgebildet werden und ein solides Fundament im didaktisch-pädagogischen Bereich erhalten. Gerade Seiteneinsteiger, die nicht an der OBAS (Ordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern und der Staatsprüfung in Nordrhein-Westfalen) teilnehmen können, brauchen eine fundierte Nachqualifizierung. Angebote im Rahmen der einjährigen Pädagogischen Einführung gibt es bereits.

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Wendepunkt bei der Inklusion

Kurz vor den Sommerferien hat Schulministerin Yvonne Gebauer die Eckpunkte ihres neuen Inklusionskonzepts vorgestellt. Aus Sicht von lehrer nrw weisen sie in die richtige Richtung, auch wenn es in vielen Details noch Klärungsbedarf gibt.

Mit erheblichen Investitionen und zusätzlichen Ressourcen will Schulministerin Gebauer einen Neustart in der schulischen Inklusion anschieben. Der von der rot-grünen Vorgängerregierung überhastet und konzeptlos begonnene Inklusionsprozess hatte an vielen Schulen wegen mangelnder personeller, räumlicher und finanzieller Ausstattung für Wut und Frust gesorgt.  

Künftig kann die Schulaufsicht mit Zustimmung des Schulträgers nach Paragraph 20 Absatz 5 Schulgesetz an weiterführenden Schulen künftig nur dann Gemeinsames Lernen einrichten, wenn die folgenden konzeptionellen, inhaltlichen und personellen Qualitätsstandards erfüllt sind:

  1.  Die Schule muss über ein pädagogisches Konzept zur inklusiven Bildung verfügen.
  2. An der Schule müssen Lehrkräfte für die sonderpädagogische Förderung unterrichten und pädagogische Kontinuität gewährleisten.
  3. Das Kollegium muss systematisch fortgebildet werden.
  4. Und auch die räumlichen Voraussetzungen müssen gegeben sein.

 25 – 3 – 1,5: die neue Inklusionsformel

An den Schulen des Gemeinsames Lernens der Sekundarstufe I gilt künftig die neue Inklusionsformel: 25 – 3 – 1,5. Das heißt: Die Schulen nehmen so viele Schülerinnen und Schüler auf, dass sie Eingangsklassen bilden können, in denen durchschnittlich 25 Schülerinnen und Schüler lernen, davon durchschnittlich drei mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung. Für jede dieser Klassen erhält die Schule eine halbe zusätzliche Stelle. Die Schulaufsicht kann mit Zustimmung des Schulträgers nur dann weitere Schulen des Gemeinsamen Lernens einrichten, wenn die Zahl von durchschnittlich drei Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung pro Eingangsklasse erreicht ist. Fachexpertise soll an künftigen Schulen des gemeinsamen Lernens gebündelt werden (Bündelschulen).
 
Über 9.000 zusätzliche Stellen

Die Neuausrichtung der Inklusion beginnt mit dem Schuljahr 2019/2020. Die neue verbindliche Systematik wird dann in der Jahrgangsstufe 5 eingeführt und wächst schrittweise weiter auf, bis im Schuljahr 2024/ 2025 der Endausbau erreicht und die komplette Sekundarstufe I umgestellt ist. Das Schuljahr 2018/2019 wird ein Jahr des Übergangs sein, kündigte Gebauer an. Im Endausbau zum Schuljahr 2024/2025 stehen nach der Modellrechnung an den weiterführenden Schulen insgesamt 9.133 Stellen zusätzlich, also über die normale Schüler-Lehrer-Relation hinausgehend, zur Unterstützung für das Gemeinsame Lernen zur Verfügung.  

Zusammen mit den Eckpunkten für die Neuausrichtung der Inklusion in der Schule hat die Landesregierung auch den Entwurf einer neuen Mindestgrößenverordnung für die Förderschulen vorgelegt. Sie schafft durch eine Senkung der Mindestgrößen mehr Flexibilität und sichert damit Standorte und Wahlmöglichkeiten. Erstmals können Schulträger für ein wohnortnahes Förderschulangebot in der Sekundarstufe I auch Förderschulgruppen als Teilstandorte von Förderschulen im Gebäude einer allgemeinen weiterführenden Schule einrichten.

lehrer nrw: Kritische Punkte im Auge behalten

lehrer nrw bewertet das neue Inklusionskonzept positiv. In der praktischen Umsetzung gilt es gleichwohl, einige Punkte im Auge zu behalten:

  1. Wie wird die Ausstattung der Schulen sein, die nicht Bündelschulen werden, aber trotzdem die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf bis Klasse 10 auch weiterhin beschulen müssen? Solche Schulen dürfen nicht benachteiligt werden.  
  2. Förderschulen haben eine ganz andere räumliche Ausstattung als Regelschulen. Wenn Förderschul-Standorte an Regelschulen gebildet werden, muss dies Berücksichtigung finden.
  3. Die entscheidende Frage lautet: Wie viele der zusätzlich ausgeschriebenen 9.133 Stellen bis zum Endausbau können angesichts des Lehrermangels besetzt werden? Davon hängt das Gelingen des Inklusionsprozesses entscheidend ab.

Sarah Wanders/Jochen Smets

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