Wieviel Macht hat Bertelsmann?

Diese Frage beschäftigt nicht erst seit heute viele Kritiker. Die Denkfabrik aus Gütersloh mischt mit ihren Umfragen, Konzepten, Modellprojekten, Initiativen und Publikationen nicht nur in Düsseldorf eifrig in der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung mit. Gerade im Bildungsbereich mehren sich die Kritiker an der »Macht ohne Mandat«, wie der Tagesspiegel die Bertelsmann-Stiftung einmal nannte.

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Bertelsmann und die Schulentwicklung

von Dr. Joachim Paul
Hochschulpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Landtag NRW

Am 6. April 2016 hat die Piratenfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine große Anfrage an die Landesregierung eingereicht mit dem Titel: »Große Anfrage zu Aktivitäten und politischen Initiativen der Landesregierung im mittelbaren und unmittelbaren Zusammenhang mit der Bertelsmann-Stiftung, ihren Tochtergesellschaften, ihren Gesellschaftsanteilen und mit ihr verbundenen Initiativen, Einrichtungen und Personen sowie der Bertelsmann SE & Co. KGaA, ihren Tochtergesellschaften, ihren Gesellschaftsanteilen und mit ihr verbundenen Initiativen, Einrichtungen und Personen«.

Politische Prozesse für die Öffentlichkeit transparent und nachvollziehbar darzustellen – als Grundvoraussetzung für politische Teilhabe – sowie Einflussnahmen auf die Politik durch Verbände und Lobbyisten deutlich zu machen, ist für die Piraten seit Bestehen der Partei ein Kernanliegen. Etwa seit 2000 standen insbesondere die Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung immer wieder in der Kritik sowohl von Verbänden als auch von namhaften Wissenschaftlern.

In unserer 42 Fragen umfassenden großen Anfrage wollen wir nun von der Landesregierung ganz genau wissen, in welchem Umfang es gemeinsame Projekte mit der Stiftung und Beauftragungen der Stiftung gegeben hat im Zeitraum von 1992 bis heute.

Dem Bereich der Bildungspolitik, Schule wie Hochschule, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da das Unternehmen Bertelsmann und einige der Tochtergesellschaften selbst privatwirtschaftlich im Bildungsbereich aktiv sind. Hinzu kommt, dass die Bertelsmann-Stiftung mehr als drei Viertel des Kapitals des Unternehmens hält.

Wir wollen wissen, wie weit zum Beispiel der Einfluss der Stiftung auf die Schulentwicklung in NRW tatsächlich reicht.

Aus der Tatsache, dass die Stiftung in erster Linie den unbestritten stark neoliberal gefärbten Zielen ihres Stifters folgt, gewinnt diese Fragestellung ihre Brisanz. Dabei bestreitet niemand, dass es ein legitimes Interesse von Stiftungen und auch Verbänden gibt, ihre Vorstellungen in die Politik einzubringen. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass der Einfluss der Bertelsmann-Stiftung verglichen mit anderen Einflüssen auf die Politik überproportional groß ist.

Es gibt relevante, wichtige und sehr zukunftsträchtige Vorstellungen von Verbänden und auch Einzelpersonen außerhalb der Stiftung, die jedoch keine vergleichbare Mittelausstattung besitzen. Hier ist es nach unserer Überzeugung Aufgabe der Politik, einen Ausgleich zu schaffen. Dazu soll unsere Anfrage einen Beitrag leisten.

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Wer hat Angst vorm Bertelsmann?

von Dr. phil. Matthias Burchardt
Universität Köln

Es ist in Nordrhein-Westfalen ein wenig wie beim Hase-und-Igel-Spiel: Egal in welche politische Ackerfurche man schaut, meistens sitzt dort schon ein Vertreter aus Gütersloh, der mit Rat und Tat nicht geizt. Ob Inklusion, Kooperatives Lernen, Integration, Lehrerfortbildung, Hochschulgesetzgebung, Digitalisierung des Lernens – allein im Bereich der Bildung besetzt die Bertelsmann Stiftung Themen, lanciert Konzepte, stellt Experten und nimmt Einfluss auf die politische Agenda. Kritiker fragen seit geraumer Zeit nach der Reichweite und Legitimität dieser politischen Einflussnahme.

Der Piraten-Partei gebührt deshalb größter Respekt für diesen Schritt der Aufklärung. In 42 Fragen soll die Verflechtung von Stiftung und Konzern mit der Landesregierung in den letzten Jahrzehnten überprüft werden (www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMD16/11660).
Aus der Konzeption der Anfrage wird deutlich, dass eine gewissenhafte Recherche erfolgt ist und detaillierte Angaben erwartet werden. Wer so fragt, kennt viele Antworten bereits, so dass falsche oder ausweichende Antworten der Regierung sicher unangenehme politische Konsequenzen haben werden.

Noch wichtiger als die Zukunft von Rot-Grün ist aber die grundsätzliche Frage nach der Rolle von think-tanks und Stiftungen in einer Demokratie. Viele Bildungsreformen der letzten Jahre kamen unter Mitwirkung von Lobby-Gruppen zustande, ohne dass die Stimmen von Wissenschaftlern, Lehrern oder Eltern angemessen – das heißt über inszenierte Runde Tische hinaus – berücksichtigt wurden. Stiftungsdämmerung, Morgenröte der Demokratie!

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Logineo NRW:

Wer treibt hier wen?

»LOGINEO NRW – eine geschützte Kommunikations- und Arbeitsplattform für Schulen« so verkündete die NRW-Landesregierung eine ‘Botschaft’ voreilig schon am 21. Dezember 2015: »Im Sommer 2016 ist es endlich so weit: LOGINEO NRW wird allen Schulen … in Nordrhein-Westfalen angeboten. Die Nutzung durch das Schulpersonal finanziert das Land Nordrhein-Westfalen auf Dauer, die überschaubaren Kosten für eine Nutzung durch Lernende müssen auf der kommunalen Seite aufgebracht werden.« Wer entscheidet hier für die Kommunen, was für sie überschaubare Kosten sind? Heißt ‘auf Dauer’, bis kein Geld mehr da ist?

Treibt die Landesregierung das MSW?

Der Trend geht wohl dahin, im politischen Raum Tatsachen zu schaffen oder vorschnell zu verbreiten, obwohl der Mitbestimmungsprozess nicht beendet ist. Das unter Druck stehende Ministerium für Schule und Weiterbildung geht von Herbst 2016 aus.

Wer ist LOGINEO NRW?

Eher müsste man fragen (dürfen): »Wer ist LOGINEO«? Mark E. Zuckerberg wohl nicht – oder kommt der auch aus Gütersloh? Laut Produktbeschreibung haben kommunale IT-Rechenzentren mit LOGINEO NRW einen landesweit verlässlichen, standardisierten und sicheren digitalen Lernraum für alle Schulen entwickelt. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung verspricht einen ‘Vertrauensraum im Internet’.

LOGINEO NRW soll mit folgenden Features Vorteile bieten:

  • Daten ausschließlich auf Servern des IT-Dienstleisters KRZN in Kamp-Lintfort
  • Support durch LVR-InfoKom
  • einheitliche E-Mailadressen (statt zum Beispiel privat@gmail.com)
  • geschützte Dateiordner (statt zum Beispiel dropbox.com)
  • Terminkalender für kollegiale Zusammenarbeit und Organisationsaufgaben
  • alle Medien von learn:line NRW durch Single Sign-On
  • Zugriff für alle Lehrkräfte auf vom Ministerium für Schule und Weiterbildung erstellte Fortbildungsmaterialien
  • offizielle Schnittstelle des Landes für alle digitalen Produkte des Schulmarktes – keine Konkurrenz zu anderen Plattformen (die angedockt werden können)

 

Treibt das MSW die Lehrerschaft?

Froh machend ist die Botschaft nicht, wenn das Ministerium für Schule und Weiterbildung mit LOGINEO beginnen und erste ‘Erfahrungen sammeln’ will. Dass das Ministerium für Schule und Weiterbildung meint, die Lehrkräfte würden nicht be-, sondern entlastet, versteht sich von selbst. Wer möchte aber für die nächsten fünf bis zehn Jahre mit einem Produkt arbeiten, das in Pilotschulen erprobt wurde, die selbst natürlich nur Positives berichten (dürfen)?

Nach Ansicht des Hauptpersonalrats Realschulen bestehen große Zweifel,

  • ob und für wen das Produkt von Nutzen ist,
  • wie der Zeitplan des Ministeriums für Schule und Weiterbildung bei noch weiter anstehenden Erörterungen eingehalten werden soll,
  • ob der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen auch dem Endprodukt zustimmen wird.

Der LDI forderte in seiner Vorabkontrolle eine klar erkennbare datenschutzrechtlich geregelte Verantwortung bei den Verträgen mit hinreichender Kontrollmöglichkeit. Eine funktionierende Intranet-Struktur (geschlossene Netze, verschlüsselter Datentransfer) als Voraussetzung, bevor Digitaltechnik und Netzdienste an Schulen überhaupt eingesetzt werden dürfen, ist aber nicht vorhanden.

Die Lehrkräfte sollen individuell freiwillig Nutzungsbedingungen und Datenschutzerklärung akzeptieren, wie das Schulgesetz sie nicht zulässt. Die erforderlichen Veränderungen der Verordnungen über die zur Verarbeitung zugelassenen Daten (VO DV I und II) stehen noch aus. Und das Verfahrensverzeichnis von Schild-NRW wurde noch nicht geändert.

Die Entscheidung über die Erreichbarkeit und die Bearbeitungszeiten von Lehrern will das Ministerium für Schule und Weiterbildung einer sogenannten neuen ‘Schulkultur’ überlassen. Im schlimmsten Fall würde so die Schulkonferenz entscheiden, ob und wie lange die Lehrer durch die digitale Vernetzung be- und nicht entlastet werden.

Die Rolle der Medienbeauftragten der Schulen ist seitens des Ministeriums für Schule und Weiterbildung nicht geklärt. Welche Verantwortung tragen sie letztlich als Ansprechperson bei Betriebsstörungen, wie es im Supportkonzept heißt? Entlastung ist für sie nicht vorgesehen!

Bezüglich der Vertrags- und Kostenfragen (s.u.) sind ebenfalls noch Fragen offen. Welche Rolle übernehmen die Schulleitungen – und mit welchen Konsequenzen, wenn sie Verträge aushandeln?

Treibt Bertelsmann die Landschaftsverbände?

Da die kommunalen Spitzenverbände der Umsetzung von LOGINEO zugestimmt haben, sind die Kommunen nun aufgefordert, etwas für die Kinder zu tun. Das heißt, sie übernehmen die Kosten für die Schüler, damit auch diese mit LOGINEO NRW vernetzt werden. Wenn mit einem Netto-Entgelt pro Jahr und Schule von 275 Euro für Grundschulen bis 850 Euro für Berufskollegs zu rechnen ist, würden für die Nutzung durch Schüler zum Beispiel in Gelsenkirchen jährlich mehr als 33000 Euro an Kosten netto anfallen. Das ist zwar nicht einmal ein Euro pro Kopf bei rund 38000 Schülern. Man muss aber jetzt schon befürchten, dass es wegen der klammen kommunalen Kassen landesweit eine uneinheitliche Versorgung der Schüler geben wird.

Sollte das Geld aber doch für fast zweieinhalb Millionen Schüler vorhanden sein, weil wir in Nordrhein-Westfalen ja kein Kind zurücklassen, müsste man mal skalieren, wie viel Geld landesweit pro Jahr von den Eltern dieser Kinder – über die Steuer – an das KRZN und die Landschaftsverbände (wen sonst?) gezahlt wird. Da kann man nur noch stiften gehen – denn die Adresse eines Zweckverbands INFOKOM lautet (zufälliger Weise?): Carl-Bertelsmann-Straße 29 in 33332 Gütersloh. Könnte es sein, dass eine Zentralisierung und Digitalisierung der Lehr- und Lernmedien angestrebt wird, deren Umsetzung man aber Landesbehörden überlässt oder gar dem Bund? Der amtierende IT-Beauftragte der Bundesregierung Klaus Vitt jedenfalls bekleidete unter anderem schon verantwortliche Positionen bei der Bertelsmann AG (nicht der Stiftung!).

Heribert Brabeck

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