Erlebnisse aus einer Seiteneinsteigerklasse

Am Ende meiner Dienstzeit hatte ich das echte Vergnügen, hospitieren zu dürfen. Aber anders als gedacht, verließ ich bald den Beobachterposten in einer Seiteneinsteigerklasse bzw. Sprachfördergruppe und übernahm selbst kleinere Gruppen oder einzelne Schüler, um ihnen zu helfen – und zwar bei

•    der Alphabetisierung von Kindern, die zum ersten Mal in einer Schule waren…

•    Schreibübungen mit Kindern, die zum Beispiel sehr schön Arabisch schreiben können (es aber hier nicht dürfen)…

•    Dialogen mit Kindern, die sich in ihrer Muttersprache und gelegentlich in einer Zweitsprache unterhalten, es hier aber nicht dürfen, weil sie Deutsch lernen sollen…

Chaotischer Ablauf

Die junge Kollegin (mit Zertifikatskurs für Deutsch als Zielsprache) bemühte sich in der ersten Unterrichtsstunde alleine, 28 Schülerinnen und Schüler aus etwa sieben verschiedenen Herkunftsländern zu beschulen, bis sie diese im Laufe des Tages in den Fachunterricht schicken konnte oder in zwei getrennten Gruppen (Klassen fünf bis sieben und acht bis zehn) mit ihnen Deutsch lernte. So gut – so schön. Was vor der tatsächlichen ‘Unterrichtung’ zu beobachten war, ist schwer zu fassen. Nichterscheinen (auch wegen Ramadan) bzw. Verspätung zur Stunde, ungezügeltes Schreien (auch im ‘Dialog’ in der jeweiligen Muttersprache) in die Klasse, Aufstehen und Herumlaufen. De facto war das alles untersagt, da es aber ohne (spürbare?) Konsequenzen blieb, wurde es ständig wiederholt.

Mein erster Gedanke war, diese Kinder bräuchten Einzel- oder Gruppenstunden, d.h. persönliche Zuwendung, die sie aufgrund ihrer Erlebnisse in der Heimat (Traumata?), auf der Flucht und jetzt in neuer ungewohnter Umgebung besonders benötigen.

Sprachfördergruppe – was sonst?

Ob ‘echter’ Flüchtling oder nicht: lehrer nrw? bleibt bei der Forderung, auch künftig halbjährige Deutschkurse einzurichten – mit höchstens fünfzehn (schon) alphabetisierten Schülern. Diese Vorbereitungskurse müssen der Zuweisung in Regelklassen oder ergänzenden Sprachförderkursen vorgeschaltet werden.

Statt von multiprofessionellen Teams nur zu schwärmen, brauchen wir tatsächliche Einstellungen von Schulkrankenschwestern, Sozialarbeitern (für Respekt, Toleranz und Friedfertigkeit) und Psychologen (nicht nur bei Traumata). Wir müssen Trainings- und Fortbildungsangebote machen in Sozialkompetenz, interkultureller Kompetenz (diversity training) etc. Und dann brauchen wir Förderschullehrer, die auch zur Integration von förderbedürftigen Flüchtlingskindern eingestellt werden müssen.

Beispiel Basel: Es geht doch!

Aus Basel wurde schon im März 2016 beispielhaft berichtet, dass dort zum Beispiel vier Lehrkräfte bis zu 28 Flüchtlingskinder betreuten. Jedes Kind müsse dort abgeholt werden, wo es stehe. Das Lernen sei oft durch Traumatisierung eingeschränkt. Was jeder Kollege besonders brauche, sei deshalb vor allem eine riesige Portion Geduld.

Im Zentrum stehe vorrangig das zügige Erlernen der Sprache. Denn erst die Sprache verleihe das Gefühl, verstanden und geliebt zu werden. Um ankommende Flüchtlingskinder besser integrieren zu können, würden Kinder nicht direkt in eine Regelklasse geschickt. Einstiegsgruppen würden den Kindern mit mehr individueller Förderung das Ankommen schneller erleichtern, sie schneller Deutsch lernen lassen und dadurch spätere Schulchancen verbessern.

Heribert Brabeck

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