Ein heißes Eisen, das es gesellschaftlich zu formen gilt!

Als vor einigen Wochen die Debatte über das Tragen eines Kopftuchs in der Schule wieder einmal hochkochte, wurde ich mehrfach von der Presse nach unserer Meinung gefragt: »Sind Sie von lehrer nrw für oder gegen ein Kopftuch in der Schule?« Meine Antwort lautete jedes Mal: Erst muss ein Diskurs in unserer Gesellschaft über Integration beginnen, um sich unserer Werte bewusst zu werden, dann erst kann auf eine solche Frage eine Antwort gegeben werden, die eventuell auch noch nicht abschließend sein wird. Die Presse fand das offenbar unbefriedigend und nicht plakativ genug – man hörte auch nichts von uns, wohl aber von anderen Gewerkschaften, die sich sofort mit klarer Meinung lautstark äußerten …

 

Eine unbeantwortete Frage

Auslöser war übrigens die Absicht von Minister Stamp, für Mädchen unter 14 Jahren das Kopftuch eventuell verbieten zu lassen. Das war in meinen Augen mutig und beherzt: Die Kopftuchfrage ist nicht leicht zu ’händeln’ und setzt ein gesellschaftliches Miteinander bei der Antwortsuche voraus. Es ist um die Frage mittlerweile wieder ruhiger geworden – dennoch steht sie unbeantwortet im Raum. 

Ich habe es mir nicht leicht gemacht mit der Antwort und bin auf die Suche nach Hilfe gegangen, die Wurzeln und die Bedeutung des Kopftuchs im Islam verstehen zu können. Der Politikwissenschaftler und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad hat mir dabei mit seinem Buch ’Integration – Ein Protokoll des Scheiterns’ sehr geholfen. Es wurde mir beim Lesen klar, dass ein Grundproblem für uns in Deutschland ist, dass wir uns unserer Werte nicht immer bewusst sind. Demokratie und Meinungsfreiheit sind für uns selbstverständlich. Und auch die Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sind Kernwerte unserer westlichen Kultur, die wir mittlerweile für selbstverständlich und nicht verhandelbar halten. Zu unser aller Glück! 

 

Werte vermitteln!

Aber gerade diese Selbstverständlichkeit lässt uns bei Fremden scheitern. Eigentlich müssten wir den Zuwandernden direkt am Grenzübergang schon mitteilen, was uns als Volk ausmacht, worauf sie sich einlassen müssen, welche Werte sie bei uns leben können und dürfen. Und auch, welche ihrer Werte bei uns auf Schwierigkeiten stoßen können, wie zum Beispiel die Alltags-Auswirkungen patriarchalischer Systeme. Stattdessen scheinen wir uns fast dafür zu entschuldigen, dass wir ihnen unsere Werte quasi aufdrängen.

Unsere Zurückhaltung bei der Vermittlung unserer Werte führt in der Folge zu Missverständnissen, zu Separierungen ganzer Völkergruppen und, wenn es schlecht läuft, zu Parallelgesellschaften, die wir zunächst unter dem Mantel vermeintlicher Nächstenliebe dulden, staatlich und kirchlich sogar finanziell unterstützen und dieses Laissez-faire intern als quasi Gott gewollt sanktionieren. Mit fatalen Folgen für uns alle in Deutschland. Dabei kann Vermischung mit anderen durchaus auch als Bereicherung verstanden werden, wenn wir sie klug begleiten und nicht unbeachtet lassen.

 

Keine religiöse Bedeutung, sondern ein moralisches Konzept

Die Diskussion um das Kopftuch ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Auseinandersetzung in die falsche Richtung gehen kann. Hinter dem Kopftuch verbirgt sich keine religiöse Bedeutung, sondern ein moralisches Konzept, so sagt nicht nur Abdel-Samad, sondern auch der Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour: »Das Kopftuch bedeutet Tabuisierung der Sexualität und Geschlechtertrennung und hat absolut nichts mit Freiheit oder Feminismus zu tun. Jemand, der mit einem Kopftuch groß wird und die dahinterstehende Geisteshaltung verinnerlicht hat, wird keine Frau, die einen Minirock trägt, respektieren. Das Kopftuch ist also kein theologisches Identitätszeichen der Muslima, sondern es ist aus dem Gedanken heraus entstanden, dass eine Frau, die ihre Haare zeigt, Männer sexuell erregen könnte.« Das Kopftuch, so Mansour, ist ein Zeichen des Gehorsams und nicht der Freiheit. Abdel-Samad wie Mansour weisen darauf hin, dass diese Entwicklung, nämlich die Zunahme des Tragens eines Kopftuches, in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft mit der Zunahme des Erdogan-Kultes und der zunehmenden Radikalisierung junger Muslime einhergeht.

 

Folgen für das schulische Miteinander

Wir haben dem offenbar wenig entgegenzusetzen. Unsere muslimischen Schüler und Schülerinnen treffen in unseren Schulen täglich auf ein ganz anderes Verständnis von Familie und Gesellschaft, als sie es von zu Hause her kennen. Und viele sind, anders als unsere deutschen Schüler, dem Gehorsam ihrem Zuhause gegenüber verpflichtet, wie es ihre patriarchalischen Strukturen vorgeben. Allein werden sie aus diesem Zwiespalt nicht herausfinden. Auch dann nicht, wenn wir Lehrer weggucken und/oder das Anderssein dulden und uns in Toleranz üben. Helfen könnten an dieser Stelle mehr Lehrer mit Migrationshintergrund, allerdings mit der notwendigen Auflage, kritisch gegenüber patriarchalischen Strukturen zu sein. Denn nur so kann freiheitliches und demokratisches Gedankengut diesen Kindern nahe gebracht werden. Sie müssen Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung als Werte in diesem Land schätzen lernen. Auf keinen Fall dürfen wir Lehrer diese Elternhäuser mit Bestrafungen und Angstpädagogik noch unterstützen!

Ein einfaches Verbot des Kopftuchs ohne vorherigen gesellschaftlichen Diskurs wäre fatal und keinesfalls hilfreich in der Sache. Bevor es zu Sanktionen kommen kann, muss erst einmal ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden. Es kann jedoch zurzeit noch kein Verständnis auf beiden Seiten vorausgesetzt werden. Wenn das Kopftuch von Muslimen als Kleidungsstück verstanden wird, das ’gute’ Mädchen, die diesem Gebot folgen, von ’schlechten’ Mädchen, die das nicht tun, trennt, liegt ein langer Weg einer möglichen Verständigung vor uns. Es gilt jetzt erst einmal, eine inhaltliche Positionierung dazu zu finden, denn das Ziel ist ja wohl ein friedliches Miteinander in unserer gesamten Gesellschaft.

 

Diskurs kann in der Schule beginnen

Schule ist ein guter und möglicher Raum, diesen Diskurs zu beginnen. Freiheit und Demokratie müssen für Zugewanderte attraktiv werden. Das ist für den Schulbereich eine große Herausforderung, die jedoch gelingen kann. Dazu braucht es aber ein Gesamtkonzept zur Integration besonders für die Schulen! Das haben wir von lehrer nrw schon seit Jahren gefordert für Nordrhein-Westfalen – bisher leider ohne Erfolg.

Einen schönen Gedanken aus dem Buch möchte ich Ihnen zum Schluss nicht vorenthalten: Wer nicht fordert und umsetzt scheitert – denn zwischen Freiheit und Unfreiheit gibt es keinen Mittelweg … wir verlieren junge Migrantenkinder und gefährden unsere freiheitlich-demokratischen Werte und die innere Sicherheit im Land, das meint Abdel-Samad. Und ihm möchte ich an dieser Stelle von Herzen für sein aufschlussreiches Buch danken! 

 

Mit Mut und Entschlossenheit

P.S.: Als ich kürzlich von einer Tagung nach Hause kam, fand ich eine Presseerklärung der Landesregierung unter meinen Mails, die uns Mut machen kann: »Die NRW-Koalition will Vorbild und Motor für Einwanderungs-, Flüchtlings- und Integrationspolitik in Deutschland werden.« Es soll eine Integrationsstrategie 2030 erarbeitet werden. Na also – packen wir es endlich gemeinsam an, das heiße Eisen! Bitte mit Mut und Entschlossenheit!

Brigitte Balbach

Zur Originalausgabe (PDF-Format)

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