Geht schon los!
Trotz der ungewöhnlich langen Laufzeit des aktuellen Tarifvertrags bis zum 30. 9.2021 werfen die kommenden Tarifverhandlungen ihre Schatten schon weit voraus. Denn die Auguren lassen Schlechtes für die Tarifrunde im Herbst 2021 erwarten.
Gegen Ende des letzten Jahres hat die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) im Vorfeld der diesjährigen Tarifverhandlungen bereits die Verhandlungen über die Weiterentwicklung der Eingruppierung der Lehrkräfte (TV EntgO-L) verweigert. Begründet wird dieser Schritt damit, dass die Gewerkschaften bei den Gesprächen zu einem anderen Tarifaspekt (§12 TV-L, Stichwort: Arbeitsvorgang), der keinerlei inhaltliche Verbindung zu den Entgeltverhandlungen aufweist, kein Entgegenkommen gezeigt haben. Damit hat die TdL bereits jetzt eine Blockadehaltung aufgebaut, die die Tarifrunde 2021 erheblich belasten wird.
Lehrerentgeltordnung
Dabei sollte die Weiterentwicklung der Entgeltordnung für die Lehrkräfte schon vor der Tarifrunde 2019 inhaltlich vorbereitet und im Tarifabschluss 2019 verabschiedet werden. Da dies nicht gelang, wurde in einer Protokollerklärung zum Tarifabschluss 2019 vereinbart, nach Abschluss der Entgeltrunde 2019 entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Diese werden nach einem kurzen Verhandlungsauftakt nun wiederum durch die Ablehnung weiterer Gesprächstermine von Seiten der TdL torpediert.
Es stellt sich leider immer wieder heraus, dass von der TdL in Tarifverhandlungen zugesagte Vereinbarungen nicht eingehalten werden, selbst wenn sie in Protokollerklärungen oder sogar im Tarifabschluss schriftlich fixiert werden. Die Qualität derartiger Zusagen des Arbeitgebers ist doch wohl nur von sehr begrenztem Wert. Vertrauensvolle und verlässliche Zusammenarbeit in Tariffragen sieht anders aus.
Digitalisierung
Der Prozess der Digitalisierung, die im Rahmen der Corona-Pandemie als ein offenkundiges Problemfeld deutscher Infrastruktur allseits beklagt wurde, sollte aus Sicht von lehrernrw ebenfalls zu einem wesentlichen Bestandteil der diesjährigen Tarifverhandlungen werden. Auf der Ebene des Bundes wird das Thema schon umfassend diskutiert, ohne dass es bereits zu einer Einigung gekommen wäre. Ein Digitalisierungs-TV könnte in manchen Fragen dieses Bereiches für mehr Klarheit und auch Rechtssicherheit sorgen.
Er könnte Mindeststandards für die Beschäftigten festlegen, z.B. bei der Frage der technischen Ausstattung oder bei der Frage des Schutzes vor ständiger Erreichbarkeit. Es ist doch kaum jemandem zu vermitteln, dass Lehrkräfte in der weitaus überwiegenden Mehrheit beruflich notwendige Tätigkeiten mit einem privaten digitalen Endgerät ausüben (müssen), das sie auf eigene Kosten (!) erworben haben. Aus Gründen der Effektivität und Aufrechterhaltung der Arbeit, gerade in der Zeit der Pandemie, ließ und lässt sich dieses nach wie vor kaum vermeiden.
Arbeitsmittel
Eine Kostenerstattung des Arbeitgebers findet nicht statt, und die steuerliche Absetzbarkeit des Gerätes stellt mitnichten einen gleichwertigen Kostenausgleich dar. Derzeit finanzieren die Lehrkräfte mit einem nicht unerheblichen Teil eines Monatsgehalts ihre eigene digitale Ausstattung. In welchem anderen Berufsbereich der Gesellschaft gilt etwas Vergleichbares?
Das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Digitalverbandes Bitkom ergab, dass die Bundesbürger im Jahr 2020 deutlich mehr Geld für ihre eigene digitale Ausstattung aufgebracht haben; 28 Prozent haben etwas mehr, 37 Prozent sogar deutlich mehr ausgegeben. Unbestreitbar dürfte doch wohl sein, dass Lehrkräfte einen Großteil ihrer beruflichen Tätigkeit im privat finanzierten homeoffice erledigen.
Das Wohlwollen der Lehrkräfte ist da, wo bleibt das Wohlwollen des Arbeitgebers? Wie wäre es mit einem qualitativ adäquaten Dienstgerät oder mit einem jährlichen Zuschuss des Arbeitgebers zu der technischen Ausstattung seiner Landesbeschäftigten?
Strukturelle Verbesserungen
Bei den Strukturfragen des Tarifvertrags kommt immer wieder die Problematik der Anerkennung beruflicher Vorerfahrung sowie der schädlichen Unterbrechungszeit bei befristeten Verträgen zur Sprache. In NRW wird derzeit die berufliche Vorerfahrung für Lehrkräfte im Sek-I-Bereich lediglich auf tariflichem Minimalniveau anerkannt, und eine vertragliche Unterbrechungszeit, die mehr als 6 Monate beträgt, führt schon zu einer Rückstufung. Und dies alles trotz allgemeinen Lehrermangels!
Und beim Entgelt?
In den allgemeinen Entgeltfragen steht neben einer angemessenen Entgelterhöhung strukturell vorrangig die Vollendung des Angleichungsprozesses von E11 nach E12 sowie ein weiterer Ausbau der Entgeltstufe 6 im Vordergrund. Beide Tarifziele dienen dazu, die Entgeltordnung hin zu einer in sich sachlogisch aufgebauten Tabellenordnung zu entwickeln, was ganz wesentlich zur Attraktivität des öffentlichen Dienstes beitragen würde.
Stichwort: Arbeitsvorgang (§12 TV-L)
Ein Arbeitsplatz besteht aus unterschiedlichen Aufgaben und Einzeltätigkeiten, die zusammen einen Arbeitsvorgang bilden. Für die tarifgemäße Bewertung aller Aufgaben eines Arbeitsplatzes wurde bereits 1975 festgelegt, dass alle Arbeitsschritte, die einem Aufgabenzweck dienen, durch den so genannten Arbeitsvorgang zusammengefasst sind.
Der Arbeitgeber bestimmt durch seine Arbeitsorganisation, wer welche Aufgaben und mit welcher Verantwortung bearbeitet. Anhand der Tätigkeitsmerkmale wird dieser Arbeitsvorgang dann gemäß dem so genannten Regelzeitmaß anhand der Entgeltordnung bewertet. Wird durch einen oder mehrere gleich bewertete Arbeitsvorgänge die Hälfte aller Aufgaben ausgefüllt, ist damit automatisch die Eingruppierung durch eine Entgeltgruppe bestimmt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinen Urteilen aus den Jahren 2018 und 2020 zu dieser Thematik die Position des dbb wiederholt und vollumfänglich bestätigt. Streit dürfte es daher eigentlich nicht geben!
Kommentar von Ulrich Gräler
NRW, zurück auf Los?
In den vergangenen Jahren hat das Land NRW in den Tarifverhandlungen stets eine äußerst zurückhaltende Rolle gespielt. Und das als größtes Bundesland in Deutschland. Lediglich nach der Umstellung des BAT auf den neuen Tarifvertrag TV-L im Jahr 2006 trat NRW nolens volens als eigenständiger Tarifgestalter im eigenen Land hervor. Die Verwerfungen, die das neue Tarifrecht mit sich gebracht hatten, waren auch dermaßen offenkundig und schädlich, dass das Land gar nicht umhin konnte, mit zahlreichen Erlassen für die Beschäftigten in NRW deutlich nachzusteuern.
Seit Jahren nun tritt das Land als aktiver Gestalter des Tarifgeschehens kaum mehr in Erscheinung. Einige der damaligen Erlasse sind ausgelaufen, manche reduziert auf das absolut Notwendige. Damit hat sich die Situation der angestellten Lehrkräfte und des sonstigen pädagogischen Personals nicht verbessert. Mehrere kleinere und größere Baustellen bleiben unbearbeitet und trüben das Bild des Arbeitsplatzes NRW.
Das sozialpädagogische Personal wartet seit Jahren auf eine Arbeitsplatzbeschreibung und eine adäquate Anerkennung beruflicher Vordienstzeiten aus vorherigen Arbeitsverhältnissen. Und die angestellten Lehrkräfte warten seit Jahren auf eine Weiterentwicklung der Lehrerentgeltordnung mit der Vollendung des Angleichungsprozesses und dem Ausbau der Stufe 6.
In der gleichen Zeit hat der Lehrermangel nicht abgenommen. Wer den bekämpfen wollte, der müsste als Arbeitgeber an seiner Attraktivität und an seiner Verlässlichkeit arbeiten. Auch in Corona-Zeiten haben sich die meisten Lehrkräfte über das normale Maß ihrer Arbeitszeit eingesetzt, vom Aufbau einer digitalen Infrastruktur, zumeist mehr schlecht als recht, über die Entwicklung geeigneten didaktischen Materials für digitalen Unterricht bis hin zu umfangreicher zeitintensiver Kontaktpflege bei Schülern und Eltern.
Schon klar, das gesamte medizinische Personal steht bei dieser existenzbedrohenden Pandemie im Vordergrund! Aber auch Lehrkräfte haben währenddessen “in der zweiten Reihe” nicht unwesentlich zum Sozialwesen ihren Beitrag geleistet. Und das zumeist ohne ausreichenden Hygiene- bzw. Impfschutz, d.h. unter Inkaufnahme eines deutlich erhöhten persönlichen Gesundheitsrisikos!
Dann ist es auch nur recht und billig, diesen zweifelsohne ebenfalls systemrelevanten Einsatz unter erhöhten Gefährdungsbedingungen zu würdigen. Dieser sollte sich dann aber auch im Umgang bei tarifrechtlichen Fragen und im Ergebnis von Tarifverhandlungen widerspiegeln!
NRW, los geht’s!