Wie kann an Schulen in herausfordernden Lagen der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen von den individuellen Voraussetzungen ihres Elternhauses und sozialen Umfeldes entkoppelt werden? Dieser Thematik hat sich der Schulversuch Talentschulen verschrieben. Am 8. Mai kamen alle für den Schulversuch ausgewählten Schulen aus ganz Nordrhein-Westfalen zu einer Auftaktveranstaltung in Bochum zusammen.

Schulministerin Yvonne Gebauer legte in ihrem Grußwort dar, dass die 35 am Schulversuch teilnehmenden Schulen Pionierarbeit leisten würden und deshalb eine große Verantwortung trügen: »Die Erfahrungen an den Talentschulen sollen zukünftig auch für andere Schulen beispielgebend sein und so dazu beitragen, dass wir in ganz Nordrhein-Westfalen unserem Ziel näherkommen, die Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern im Bildungsbereich zu überwinden und allen Kindern und Jugendlichen faire Aufstiegschancen zu eröffnen.«

Zwanzig Prozent mehr Ausstattung = zwanzig Prozent bessere Abschlüsse?

Auf einer Podiumsdiskussion erörterten Staatssekretär Mathias Richter sowie Vertreterinnen und Vertreter der Talentschulen, der Auswahljury und der Schulträger die Chancen, die der Schulversuch beinhaltet. Richter erwartet vom Schulversuch Aufschluss darüber, ob zwanzig Prozent mehr Ausstattung tatsächlich auch zwanzig Prozent bessere Abschlüsse generieren würden.

Die 35 Schulen (29 Schulen mit Sekundarstufe I und 6 Berufskollegs) wurden von einer unabhängigen Jury aus Expertinnen und Experten zwischen Anfang Dezember 2018 und Ende Januar 2019 aus insgesamt 149 eingegangenen Bewerbungen ausgewählt. Der Vorsitzende der Auswahlkommission, Prof. Dr. Ewald Terhart, betonte, dass es keinerlei Proporz-Vorgaben gegeben habe (zum Beispiel im Hinblick auf regionale Ausgewogenheit oder Schulformzugehörigkeit). Von zentraler Bedeutung bei der Auswahl der Talentschulen sei vielmehr die Darlegung der Schule gewesen, wie die Inhalte des Schulversuchs vor dem Hintergrund der bestehenden Herausforderungen umgesetzt werden sollen.

Der Jury seien dabei zur Einschätzung der Herausforderungen Daten zur Schule und zur Schülerschaft zur Verfügung gestellt worden.

Agenda des Schulversuchs

Zum Abschluss der Auftaktveranstaltung stellte der zuständige Referatsleiter, Ministerialrat Engelbert Sanders, die Agenda des Schulversuchs vor. Zu den Setzungen für Schulen mit Sekundarstufe?I zählen:

  • Ausdifferenzierung eines Profils im Bereich MINT oder Kulturelle Bildung
  • die Ausweitung der Stundentafel im gewählten Profil um zwölf Unterrichtsstunden in der Sekundarstufe I
  • die Einführung eines durchgehenden sozialen Trainings in den Stufen 5 bis 10
  • die Verankerung verbindlicher individueller Beratungselemente zur Lern- und Leistungsentwicklung ab der Klasse 5 (später in Verbindung mit Maßnahmen der Beruflichen Orientierung).

Im Verlauf des Aufwachsens des Schulversuchs werden Stellen(anteile) zur Verfügung gestellt für:

  • •    Schulsozialarbeit (eine Stelle unabhängig von der Schulgröße)
  • •    die Kooperation mit externen Partnern
  • die innerschulische Koordination des Schulversuchs
  • verwaltungsunterstützende Tätigkeiten zur Entlastung des Leitungsteams (soweit es sich um Landesaufgaben handelt) Als Unterstützungselemente sind im Schulversuch Talentschulen darüber hinaus vorgesehen:
  • zusätzliche Stellen zur standortspezifischen Umsetzung der Vorgaben
  • ein zusätzliches Fortbildungsbudget pro Schule
  • an jeder Schule Schulentwicklungsberatung
  • Fachtage (zum Beispiel Kulturelle Bildung / MINT, Schulleitungsteams, Schulformen …)
  • weitere Angebote (zum Beispiel Hospitationen, Angebote von Stiftungen, externe Partner)
  • wissenschaftliche Begleitung und Evaluation

Wie geht es weiter?

Die ersten 35 Talentschulen gehen zum Schuljahr 2019/2020 an den Start, in einer zweiten Auswahlphase werden zum Schuljahr 2020/2021 weitere Schulen bis zu einer Gesamtzahl von 60 (45 allgemeinbildende Schule mit Sekundarstufe I sowie 15 berufsbildende Schulen) in den Schulversuch aufgenommen. Er hat eine Dauer von sechs Jahren und wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Nach Auffassung von lehrer nrw? hat dieser Schulversuch eine echte Chance verdient. Prof. Dr. Terhart brachte es in Bochum auf den Punkt: »Talente brach liegen zu lassen, ist nicht nur unsozial und ungerecht, sondern auch unwirtschaftlich.« Erst recht in einem Land, dessen kostbarste Ressource die Bildung ist!

Sven Christoffer

Info

Lesen Sie hierzu auch das Interview mit Prof. Dr. Ewald Terhart, dem Vorsitzenden der Auswahljury für die Talentschulen.

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