Die Diskussion über das Kopftuch und insbesondere die Frage, ob Lehrerinnen in der Schule ein solches tragen dürfen, ist von vielen Unsicherheiten und Missverständnissen geprägt. Versuch einer Einordnung.

Ein Kleidungsstück macht Karriere oder schafft es jedenfalls in die Mitte gesellschaftlicher Debatten: das Kopftuch. Kein Wunder, denn die Deutung des Tragens eines Kopftuchs, ob vorrangig als religiösem oder weltanschaulichem Ausdruck oder eher als Zeichen der Unterdrückung, beschäftigt Gesellschaften immer mehr. Verbunden damit ist stets die Frage, inwieweit das Tragen des Kopftuches zu verbieten ist. Relevant für das schulische Umfeld in Nordrhein-Westfalen ist speziell das Tragen eines Kopftuchs durch Lehrerinnen. Relevant aus unterschiedlichen Gesichtspunkten, zum Beispiel könnte, wie politisch vielfach gewünscht, mehr Islamunterricht stattfinden, wenn sich mehr Lehrerinnen finden würden, weil sie mit Kopftuch unterrichten dürften.

 

Ein heißes Eisen

Die Vorsitzende von lehrer nrw, Brigitte Balbach, spricht in Ausgabe 3/18 dieser Zeitschrift von einem »einem heißen Eisen, das es gesellschaftlich zu formen gilt«. Gibt es kaum jemanden, an dem das Thema völlig vorübergeht, so gibt es aber viele, denen es nicht leicht fällt, sich eine ausreichende Faktengrundlage zu schaffen, um sich darauf aufbauend eine Meinung bilden zu können. Verständlich, schwirren doch bei dem Thema Anwendungsbereiche, Rechtsgrundlagen, ja sogar Kleidungstypen durcheinander.

Abhilfe soll dieser Beitrag leisten, indem abgegrenzt wird von Verboten, die für Nordrhein-Westfalen und für den schulischen Bereich keine Bedeutung haben. Vor allem aber will dieser Beitrag die rechtlichen Rahmenbedingungen für mögliche Kopftuchtrageverbote für Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen darstellen. Der Beitrag betrachtet die maßgebliche Gesetzgebungstätigkeit und will ein Gefühl für die verfassungsrechtlichen Grundlagen verschaffen.

Klar scheint zwar zu sein, dass betreffende Gesetze sich nicht gezielt an einzelne Religionen oder Weltanschauungen richten können. Faktisch geht es allerdings nahezu ausschließlich um die Kleidung muslimischer Frauen.

 

Rechtliche Grundlagen

Allzu oft werden bei Diskussionen Verbote der Gesichtsverhüllung durch Kleidungsstücke wie beispielsweise Burka, Nikab oder Tschador mit in den Topf geworfen. In Frankreich, Österreich, Bulgarien oder den Niederlanden unter anderem haben solche Verbote von sich reden gemacht. Auch in Deutschland existieren für bestimmte Lebensbereiche, konkret im Beamten-, Soldaten- und Wahlrecht, derartige Einzelnormen. Maßgebliches verfassungsrechtliches Prinzip ist hier das Rechtsstaatsprinzip aus Artikel 20 Absatz 3 GG. Dieses umfasst die Funktionsfähigkeit des Staates, die wiederum Vertrauen in öffentliche Ämter voraussetzt, unter anderem gewährleistet dadurch, dass man einem staatlichen Funktionsträger in das Gesicht schauen kann (Ausnahme: Infektionsschutz, Eigenschutz).

Anders zu beurteilen wären natürlich Verbote für Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen, an Schulen Kopftücher zu tragen. Ein aktueller Entwurf der Landesregierung für ein Neutralitätsgesetz erfasst nur Beschäftigte der Justiz. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass damit Debatten um Kopftuchverbote für Lehrerinnen die Grundlage entzogen ist.

 

Kopftuchverbot unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

Den verfassungsrechtlichen Rahmen für entsprechende Verbote hat das Bundesverfassungsgericht 2015 vorgegeben. Ein generelles Verbot religiöser Bekundungen im Schulgesetz wurde damals kassiert. Ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen im bekenntnisoffenen Schulbereich kann aber dennoch unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein. Zwar würde ein solches für die betroffenen Lehrerinnen Eingriffe in ihre Grundrechte mit sich bringen. Insbesondere die Allgemeine Handlungsfreiheit nach Artikel 2 Absatz 1 GG, das heißt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, sowie die Religionsfreiheit aus Artikel 4 Absatz 2 GG, das heißt die Freiheit, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen nach außen zu bekennen, würden berührt. Allerdings würden diese Engriffe gerechtfertigt durch die Pflicht des Staates zur religiös-weltanschaulichen Neutralität (Artikel 4 Absatz 3, 3 Absatz 3, 33 Absatz 3 GG). Danach muss darauf vertraut werden können, dass die staatlichen Aufgaben, auch die Beschulung, unabhängig von individuellen religiösen oder weltanschaulichen Sichtweisen erfüllt werden.

Konkret bedeutet dies, dass – anders als ein generelles Gesichtsverhüllungsverbot – ein Kopftuchverbot gelten darf, wenn es zeitlich und räumlich begrenzt ist und wenn eine konkrete Gefahr besteht, dass es aufgrund des Kopftuchs zu erheblichen Konflikten in und mit der Schülerschaft oder den Eltern kommt.

 

Schule als Ort kritischer Auseinandersetzung

Dies rührt daher, dass eine Schule ein Ort kritischer Auseinandersetzung ist, an dem Toleranz und Offenheit vermittelt werden sollen. Dieses Umfeld ermöglicht die Diskussion verschiedener Aspekte von Religionen und Weltanschauungen und Verständnisbildung. Wird diese Diskussion friedlich und konstruktiv geführt und tritt sie hinter dem eigentlichen Lehrplan in den Hintergrund, hat sich keine konkrete Gefahr verwirklicht. Anders hingegen, wenn der Schulfrieden nachhaltig durch eine beachtliche Zahl von Unterrichtsstörungen beeinträchtigt wird, die sich nicht nach kurzer Zeit auflösen. Dann kann nicht generell, aber in den oben genannten Grenzen das Tragen des Kopftuchs verboten werden. Soweit, aber nur soweit, könnten entsprechende Gesetzesgrundlagen geschaffen werden.

Christopher Lange

Originalausgabe (PDF-Datei)


 

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