Zwar rufen Politiker in Sonntagsreden gern das Ende der ’Kreidezeit’ und der Beginn des digitalen Zeitalters aus, doch die Digitalisierung an den Schulen kommt nicht recht in die Gänge – trotz guter Absichten und voller Fördertöpfe. Es fehlt an Breitbandanschlüssen, technischer Ausstattung und Endgeräten. Vieles bleibt der Eigeninitiative von Lehrkräften überlassen. Was geht und was nicht geht, erklärt der Realschullehrer Jürgen Kuntzig im Interview.

Wie sind die Schulen im Sekundarstufen I-Bereich in Nordrhein-Westfalen aus Ihrer Sicht mit digitalen Medien ausgestattet?

Kuntzig: Einige Schulen in Nordrhein-Westfalen sind gut ausgestattet, was wahrscheinlich leider nicht der Regelfall ist. In einer gut ausgestatteten Schule ist nahezu jeder Klassenraum mit Internetanschluss, PC, Beamer und im Idealfall mit digitalen Tafeln, sogenannten Whiteboards, bestückt. Hinzu kommen meistens ein bis zwei Computerräume mit genügend PC-Arbeitsplätzen in Klassenstärke.

Jedoch reichen oftmals Internetanschlüsse mit Datenströmen von 10 bis 20 Mbit/s für viele Schulen nicht aus. Hier wäre eine Versorgung durch regionale DSL-Anbieter, die pro Leitung bis zu 500 Mbits/s liefern können, wünschenswert. Bis jede Schule mit Glasfaserkabeln versorgt ist, wäre das aus meiner Sicht eine ideale Zwischenlösung.

 

Wie ist die überwiegende Resonanz von Seiten der Schüler auf Unterricht mit digitalen Medien?

Kuntzig: Die Resonanz der Schülerinnen und Schüler ist nach meiner Erfahrung hier durchweg positiv. Weil eben fachbezogene, aktuelle Informationen und Darstellungen aus dem Internet die noch vorhandenen Lehrbücher ideal ergänzen und den ’normalen’ Unterricht auflockern und interessanter machen.

 

Wo oder in welchen Anwendungen halten Sie die Digitalisierung des Unterrichts für sinnvoll, wo nicht?

Kuntzig: Ich bin froh, dass Sie diese Frage so stellen, denn das bisher Besprochene bedeutet nur, dass digitale Medien in den Unterricht einfließen. Von einer Digitalisierung des Unterrichts kann hier noch keine Rede sein. Aber zunächst zum Kern Ihrer Frage, die ich am besten mit konkreten Beispielen beantworte.

Im Fach Mathematik benutze ich interaktive Internetseiten (zum Beispiel Aufgabenfuchs.de), um mit Hilfe von Matheaufgaben Gelerntes zu üben und zu vertiefen. Oder ich stelle mit geeigneten Apps (zum Beispiel Brainingcamp aus dem App-Store) Mathematik grafisch und dabei dynamisch dar.

Im Fach Physik gibt es im Internet eine Fülle von Videos (zum Beispiel bei YouTube) zum Thema Weltraum. Apps wie Solar Walk sind hier bei der Darstellung zum Beispiel von einer Sonnenfinsternis faszinierend.

Ich bin davon überzeugt, dass es für jedes Fach geeignete digitale Anwendungen gibt, um jeden Unterricht sinnvoll zu ergänzen. Aber eben zu ergänzen und nicht zu dominieren. Der Einsatz digitaler Medien um jeden Preis wäre ein schlechter Rat.

 

Sie nutzen Ihren eigenen YouTube-Kanal (mEINFACHmathe) zur Ergänzung Ihres Matheunterrichts, was wollen und können Sie dort für die Schüler tun? Was war ihre Idee dabei?

Kuntzig: Schülerinnen und Schüler können dort Versäumtes nachlernen, nicht Verstandenes wiederholen oder einfach üben. Natürlich ist mein privater Kanal vollkommen unabhängig von meinem regulären Matheunterricht. Der Unterricht soll damit nicht ins Internet verlegt werden. Wer Lust hat, kann halt zuschauen. Rund 6000 Klicks und etwa 130 Abonnenten signalisieren ein gewisses Interesse. Es macht mir einfach Spaß, diesen Kanal zu betreiben.

 

Verbessern digitale Medien das proaktive Lernen, helfen Sie den Schülern beim Verstehen von Lerninhalten, wie sind Ihre Erfahrungen?

Kuntzig: Das ist oftmals dann gegeben, wenn auf der Grundlage von Basiswissen Problemlösungen selbstständig erarbeitet werden. Der Einsatz digitaler Medien stößt hier bei Schülerinnen und Schülern auf großes Interesse, was wiederum eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches proaktives Lernen ist.

 

Sind die Lehrer fit im Umgang mit digitalen Medien?

Kuntzig: Wenn damit der Einsatz von PC und Beamer gemeint ist, um Internetrecherche zu betreiben, YouTube-Videos zu schauen, interaktive Matheseiten mit einzubeziehen oder Word, Excel und ähnliche Programme anzuwenden, sehe ich da keine Probleme.

Wie ich eingangs erwähnte, ist das aus meiner Sicht aber nur bedingt digitaler Unterricht. Der findet dann statt, wenn sogenannte iPad-Klassen zum Einsatz kommen. Das bedeutet, die Lehrkraft und jeder Schüler hat ein iPad und ist über WLAN und einer Software miteinander verbunden. Über Beamer und Leinwand bzw. Whiteboard kann eine Klasse mit Apps bzw. Webseiten im Unterricht gemeinsam arbeiten.

Es gibt auch schon vereinzelt Schulen mit sogenannten iPad-Klassen. Diese sind aber zur Zeit noch die Ausnahme. Der Umgang mit dieser Hardware und Software erfordert Fachwissen, dass nicht vorausgesetzt werden kann. Hier sind Qualifizierungsmaßnahmen und Schulungen aus meiner Sicht unbedingt erforderlich. Außerdem sollten iPad-Klassen in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung eine zentrale Rolle spielen.

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Im Schweigen gefangen

Christina leidet unter selektivem Mutismus. Sie kann in bestimmten Situationen nicht sprechen. Gerade die Schulzeit war für die junge Frau sehr schwierig. Wie sie damit umgeht und was Schule und Lehrer tun können, um Betroffenen zu helfen, beschreibt sie im folgenden Artikel.

Ich bin Christina, 22 Jahre alt – und manchmal bleibe ich stumm. Bin im Schweigen gefangen, obwohl ich gerne reden möchte. Ich habe selektiven Mutismus. Das ist eine psychische Kommunikationsstörung, durch die ich unfähig bin, in bestimmten Situationen oder mit bestimmten Menschen zu sprechen. Obwohl ich gerne würde, und obwohl ich eigentlich ganz normal sprechen kann. Aber in manchen Situationen, da verstumme ich, obwohl ich das gar nicht will, was mir mein Leben oft ziemlich erschwert. Ich habe Angst vor vielen Situationen, es kommt zu Missverständnissen, Leute finden mich ’komisch’ oder ’gestört’. 

 

Das Gefühl, nicht normal zu sein

Während der Schulzeit wusste niemand, was es mit meinem ’Nicht-Sprechen’ auf sich hatte. Das Störungsbild ist unbekannt, und die Lehrer haben sich nicht großartig dafür interessiert, herauszufinden, was hinter meinem Schweigen und Verstummen steckt. Es wurde so hingenommen oder von einigen unter ’normaler Schüchternheit’ verbucht. Jahrelang kassierte ich Fünfen und Sechsen in den mündlichen Noten, da es mir während der gesamten Schulzeit nicht möglich war, mich mündlich im Unterricht zu beteiligen. Das fand ich nicht toll, da ich schriftlich eine sehr gute Schülerin war und die mündlichen Noten all meine Zeugnisse ziemlich runtergezogen haben. 

Aussagen von Lehrern wie »Jetzt melde dich doch einfach mal! Ich will, dass du dich ab morgen ganz normal meldest wie jeder andere auch!«, waren gar nicht hilfreich, sondern haben mich nur noch mehr unter Druck gesetzt. Und ich stand sowieso schon unter einem enormen Druck. Auch andere blöde Sprüche von Lehrern sowie Mitschülern, mit denen sie sich über mein ’Nicht-Sprechen’ lustig machten, haben die Situation nicht verbessert. Ganz im Gegenteil. Ich bekam immer mehr das Gefühl, total falsch und komisch zu sein. Nicht normal. Mir fiel es während der Schulzeit überhaupt nicht leicht, Kontakte zu meinen Mitschülern aufzubauen; ich war eigentlich immer für mich alleine, sehr einsam und war tagtäglich nur noch unglücklich. 

 

Wenn Unterstützung fehlt

Ich selbst bin erst im letzten Schuljahr vor meinem Abitur auf den Begriff ’selektiver Mutismus’ gestoßen, da ich natürlich versucht habe, herauszufinden, was mit mir nicht stimmt, warum ich so bin wie ich bin. In einer späteren Therapie, die ich durch Hilfe einer sehr engagierten Lehrerin einige Zeit nach meinem Abitur begonnen habe, wurde mir diese Diagnose dann bestätigt. 

Die Störung hat ihren Beginn meist in der Kindheit und wird daher oft im Kindergarten oder der Grundschule erkannt, sodass die betroffene Person die notwendige Unterstützung und Behandlung bekommt. In manchen Fällen wird das Kind aber übersehen oder das ’Nicht-Sprechen’ wird für normale Schüchternheit gehalten und Außenstehende glauben, das Problem werde sich im Lauf der Jahre schon bessern. Das Kind erhält keine passende Unterstützung, bleibt weiterhin sich selbst und dem Schweigen überlassen. Betroffene sitzen mitunter jahrelang mit diesem großen Problem im Unterricht und stoßen auf viel Unverständnis, Ablehnung oder sogar Mobbing – bei den Mitschülern als auch beim Lehrpersonal. 

 

Der Unterschied zwischen Mutismus und Introvertiertheit

Es ist für Außenstehende oft schwer, den selektiven Mutismus von normaler Schüchternheit / Introvertiertheit zu unterscheiden bzw. diesen zu erkennen. Von Mutismus Betroffene sind jedoch nicht einfach nur schüchtern. Auch ist es nicht so, dass diese Kinder keine Lust hätten, sich im Unterricht zu beteiligen, oder dass sie durch ihr Verhalten provozieren wollen. Im Gegenteil, diese Kinder wollen in der Regel unbedingt sprechen, um Teil der Klassengemeinschaft zu sein – aber sie können nicht. 

Kinder mit selektivem Mutismus sprechen in bestimmten Situationen nicht (in anderen hingegen schon), oft haben sie einen leeren Gesichtsausdruck, wirken traurig und verschlossen. Sie vermeiden außerdem jeden Blickkontakt und haben eine sehr verkrampfte Körperhaltung/-sprache, wirken in diesen Situationen oft wie ’eingefroren’ oder erstarrt. Beim selektiven Mutismus besteht häufig nicht nur eine Sprechblockade, sondern auch die körpersprachliche Kommunikation ist blockiert, genauso wie Lautäußerungen wie beispielsweise Husten oder Niesen. Öffentlich zu essen, fällt vielen mutistischen Kindern ebenfalls sehr schwer. 

 

Was Schule und Lehrer tun können

Ein erster Schritt ist immer die Kontaktaufnahme zu den Eltern. Die Eltern sind meistens sehr überrascht – da sich diese Kinder zu Hause häufig ganz anders verhalten als in der Schule und zu Hause viel reden. Als Intervention in der Schule ist in erster Linie eine verständnisvolle Haltung wichtig und dem Kind Hilfe und Unterstützung anzubieten, zum Beispiel in Form von Patenschaften, einer Wissensvermittlung an die Mitschüler, Eingreifen bei Mobbing. Um das Schweigen zu durchbrechen, ist in den meisten Fällen professionelle Unterstützung notwendig, zum Beispiel in Form von Logopädie und/oder Psychotherapie. 

Ich möchte mit diesem Bericht mehr Verständnis und Akzeptanz für mutistische Kinder schaffen. Denn niemand sollte wegen seines ’Andersseins’ ausgeschlossen oder benachteiligt werden!

 

Info:

Für Betroffene und Interessierte gibt es im Internet verschiedene Informationsmöglichkeiten:  

  • www.mutismus.de (Website des Vereins ’Mutismus Selbsthilfe Deutschland e.V.’)
  • www.selektiver-mutismus.de (Website des Vereins ’StillLeben e.V.’)
  • www.mutismus-forum.de (Online-Forum für Information und Austausch)

 

So geht es Christina heute:

Heute leide ich noch immer unter dem selektiven Mutismus, allerdings komme ich mittlerweile schon viel besser zurecht, als noch vor vier Jahren oder während meiner Schulzeit. Ich bin seit einigen Jahren in psychotherapeutischer Behandlung – da dort aber überwiegend andere Symptomatiken im Vordergrund stehen, bin ich auch noch in logopädischer Behandlung, um dort ausschließlich am Mutismus zu arbeiten, und dadurch konnte ich in den letzten zwei, drei Jahren einige Fortschritte erreichen.

Ich habe noch immer Schwierigkeiten und Hindernisse in meinem Alltag – zum Beispiel versuche ich, auf Telefonate zu verzichten und stattdessen lieber Mails zu schreiben, wenn sich Telefonieren nicht vermeiden lässt, schreibe ich mir Wort für Wort vorher auf, was ich sagen möchte; manche Situationen im Alltag vermeide ich auch von vornherein. Aber es wird besser, und ich merke immer wieder, dass ich Fortschritte mache und weiterkomme. 

Zurzeit bin ich ehrenamtlich in einer Grundschule tätig; im Herbst möchte ich mein Psychologie-Studium anfangen. Das wird sicherlich auch nicht leicht werden, aber ich versuche, dieser Herausforderung optimistisch entgegen zu blicken!

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ZP 10 – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

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Nach dem Ärger um die letzten Zentralen Prüfungen in Klasse 10, die viele Schüler und Lehrer als deutlich zu schwierig empfanden, richtet sich der Blick nun auf die nächste Auflage.

Aus Sicht von lehrer nrw ist es dringend nötig, die Prüfungsanforderungen stärker vor dem Hintergrund einer zunehmend heterogenen Schülerschaft zu sehen.

Die Ergebnisse der zentralen Prüfungen bestätigen einen nun schon einige Jahre anhaltenden Trend. Die Tatsache, dass es – schulformunabhängig – zwischen Vor- und Zeugnisnote praktisch keinen Unterschied, wohl aber im Hinblick auf die Prüfungsnote gibt, lässt folgenden Schluss zu: Orientieren sich die Lehrer bei der Vergabe der Vor- und Zeugnisnote an der Realität des Schulalltags, so tun sie dies bei den Prüfungen an den Vorgaben des Schulministeriums (MSB).

Im Landesdurchschnitt existieren faktisch zwei unterschiedliche Anforderungsniveaus. Was hat eine Note dann für eine Aussagekraft auf dem Zeugnis? Viele Schulen bieten Zertifikatskurse (zum Beispiel Cambridge Certificate) an. Diese definieren einen weltweit einheitlichen Standard und sind somit verlässlich. Die fehlende Aussagekraft einer Zeugnisnote über das tatsächliche Sprachniveau schwächt die Wertigkeit von Schulabschlüssen. 

 

Realschulen vor immensen Herausforderungen

Es ist dringend nötig, die Prüfungsanforderungen stärker vor dem Hintergrund einer zunehmend heterogenen Schülerschaft zu sehen. Insbesondere Realschulen stehen durch Inklusion, Migration und die Auflösung von Haupt- und Förderschulen vor immensen Herausforderungen. Sie sind bemüht, ihre Schülerinnen und Schüler trotz teilweise erheblicher Unterschiede (sozial, personell und fachlich verfügbarer Kompetenzen) individuell zu unterstützen, um sie einem angemessenen Abschluss mit beruflicher Perspektive zu führen. 

Auf der einen Seite soll »kein Kind zurückgelassen werden«2. Das bedeutet, dass Lehrer im Alltag eine Adaption des Lerntempos, der Quantität, Qualität und Progression von Unterrichtsinhalten für die schwächeren Schüler vornehmen. Dieser individuelle Lernprozess spielt dann spätestens am Prüfungstag keine Rolle mehr, denn da wartet das standardisierte, einheitliche Prüfungsset (MSA), das alle Schülerinnen und Schüler bewältigen müssen. Die individuellen Möglichkeiten der Kinder sind unterschiedlich und bei einigen begrenzt. Das bedeutet, dass Fördermöglichkeiten, selbst bei optimaler Raumsituation, bestens ausgebildeten Fachkräften und abgestimmten Material schlichtweg ihre Grenzen haben. 

 

Was bedeutet das für die Zukunft?

Es wird nicht reichen, wenn man Realschulen ’gestattet’, einen zusätzlichen Hauptschulzweig einzurichten (und damit ein HSA Prüfungsset anbietet) und sie unter (schlechteren) Realschulbedingungen (zum Beispiel die Wochenarbeitszeit) zu verkappten Gesamtschulen zu machen. 

Wir brauchen zweierlei: Zunächst eine sachliche Analyse darüber, in wie weit das gemeinsame Lernen bei innerer Differenzierung bei allen Schülerinnen und Schülern zu einer soliden Bildung führt. Schließlich geht es um nicht weniger als die größte Ressource, die ein Land hat: das Bildungspotenzial seiner Menschen.

Ich setze Hoffnung in die neue Landesregierung, dass sie den Mut aufbringt, Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren und Weichen für die Zukunft zu stellen. Nimmt man die Leitlinie Binnendifferenzierung wirklich ernst, so ist dazu ein deutlich höherer Mehraufwand für die Lehrerinnen und Lehrer nötig. Woher sollen insbesondere Realschullehrer aber die Zeit dafür nehmen, wenn die Bedingungen dieselben sind wie zu Zeiten, in denen es weder Inklusion, Ganztag und Zuwanderung, dafür aber Haupt- und Förderschulen gab? Vor dieser Frage drücken sich die politischen Entscheidungsträger und überlassen die Antwort gleichzeitig den Lehrkräften. Diese versuchen den Spagat zwischen dem Anspruch des MSB und ihrer Verantwortung für die Schülerinnen und Schüler zu leisten, was die oben beschriebene Diskrepanz zwischen Prüfungs- und Zeugnisnoten verdeutlicht.

Es wird Zeit, sich der Realität offen zu stellen.

Peer Brändel
Lehrer
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  1. www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/upload/zp10/berichte/ZP10_Ergebnisbericht_2017.pdf
  2. www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Praevention/Kein-Kind-zuruecklassen/index. html

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